Fahrplan in eine unzensierte Welt

Bereits ein Jahr seit ihrer Gründung stößt das neue panarabische Magazin "The Outpost" aus Beirut inzwischen auch international auf Resonanz. Astrid Kaminski hat sich das Magazin näher angesehen und über das Erfolgsrezept der Zeitschrift mit Chefredakteur Ibrahim Nehme unterhalten.

Von Astrid Kaminski

Die Geschichte von Gustave Courbets Gemälde "Der Ursprung der Welt" von 1866 könnte einen Abenteuerroman füllen. Sie führt über die Villa eines osmanischen Diplomaten, einen ungarischen Tresor, das Landhaus des Psychoanalytikers Jacques Lacan und schließlich ins Pariser Musée d’Orsay. Noch heute wird das Bild mit dem Fokus auf eine Vulva, wo es als Abbildung auftaucht, zuweilen zensiert.

Nun diente sein Titel, allerdings ohne Abbildung, ausgerechnet einem Kinderbuch als Inspiration. "L'origine du monde" heißt die liebevoll illustrierte Geschichte, die vor einem Jahr der ersten Ausgabe des neuen Beiruter Magazins "The Outpost, a magazine of possibilities" beilag. Darin schickt der Autor Raafat Majzoub den kleinen Gamal aus, um zu entdecken, was man in der Schule seiner Heimat nicht lernen kann. Fliegen zum Beispiel, oder wie man Hefte aus "Papiersuppe" herstellt. Oder dass auch zwei Frauen eine Familie gründen können.

Eltern als "Experten im Warten"

Die wunderbare Geschichte von Gamal steht für Multiplikatoren zum freien Download zur Verfügung. Der Ursprung der Welt sind die Menschen: das ist die klare Botschaft, die sie verbreiten möchte, und das ist auch der Motor, der das gesamte "Magazin der Möglichkeiten" antreibt.

Cover der zweiten Ausgabe von "The Outpost"
„Magazin der Möglichkeiten und Motor der Notwendigkeit": das vierteljährlich erscheinende panarabische Magazin "The Outpost" aus Beirut

Dabei gehören Kinder nicht zur eigentlichen Zielgruppe von "The Outpost", vielmehr symbolisiert die erzieherische Erzählung den idealistischen Veränderungswillen der Macher: Sie wollen die arabische Welt von Grund auf neu gestalten, Mauern niederreißen, Perspektiven und neue Kulturwerte schaffen, Funktionalität einfordern. "Es wird von uns erwartet, dass wir wie unsere Eltern Experten im Warten werden. Wir haben lange genug gewartet ..." lautet eine der vielen Devisen der aktuellen Nummer.

Man kommt an dem Heft schwer vorbei. Das liegt mitunter an seinem Äußeren. Es sieht aus, als wäre es in irgendeinem angesagten Graphiklabor als Modellmagazin entstanden, das viel zu gut ist, um wahr zu sein. Unmittelbar nach der Nullnummer wurde "The Outpost" schon von der weltweit operierenden Magazin-Plattform "Magpile's" in den Kategorien "Best Magazine" und "Best Design" nominiert.

Markus Peichl, Vorstand der jährlich im deutschen Hamburg verliehenen "LeadAwards" für Mediendesign, der "The Outpost" seit der ersten Ausgabe liest, kommentiert: "Ich habe lange nichts mehr in der Hand gehabt, von dem ich wie in diesem Fall gleich wusste: da tickt etwas!"

Deutschland ist außerhalb der arabischen Welt der größte Absatzmarkt des englischsprachigen Magazins, in Berlin gibt es inzwischen fünf Verkaufsstellen. Für den arabischen Raum sind der Libanon und Dubai bislang die größten Märkte.

"Künstlerisches Artefakt"

Ein "künstlerisches Artefakt" haben sich die Macher vorgenommen, etwas, dessen Inhalt wie Produktcharakter das Leben schöner machen. Genuss bezieht sich hier vor allem aus der richtigen Mischung von kreativem Journalismus und dem in Spanien ausgeführten Design. Santos Henarejos und Gema Navarro haben einen spielerischen Infogrammstil entwickelt, eine Mischung aus Dia- und Piktogrammen, mit Hilfe derer sowohl navigiert, veranschaulicht, als auch erzählt werden kann.

Die Sprachwahl überrascht zunächst bei der panarabischen Ausrichtung des vierteljährlich erscheinenden Magazins. Angesprochen werden "World Makers", wie es im Editorial heißt, die bereit sind, eine neue arabisch-demokratische Welt zu gestalten, einem "unzensierten Fahrplan in eine Welt, von der wir träumen" zu folgen.

Cover der ersten Ausgabe von "The Outpost"
"Magazin der Möglichkeiten und Motor der Notwendigkeit": das vierteljährlich erscheinende panarabische Magazin "The Outpost" aus Beirut

Wer sich dahinter verbirgt, formuliert Nehme weniger platonisch so: "Wir richten uns zunächst an ein junges Publikum, was seine Medien ohnehin auf Englisch konsumiert, weil es dadurch einen Zugang zu einem besseren, unabhängigeren Journalismus bekommt. Daneben sind auch die Leser in Ländern außerhalb der arabischen Welt ein Faktor. Sofern die Finanzen es erlauben, haben wir aber durchaus in einem nächsten Schritt auch vor, die Texte in arabischer Übersetzung zugänglich zu machen."

Inhaltlich geht die panarabische Ausrichtung von "The Outpost" erst einmal von einer Negativsumme aus: Stagnierende Politik, religiöser Fanatismus, Kriegsschäden, totaler Kollaps der Rechts- und Moralordnungen werden von Ibrahim Nehme in seinem Editorial zur dritten Ausgabe konstatiert. Ein solch "feindseliger Ort zum Leben" sei eine seltsame Grundlage, um "ein Magazin der Möglichkeiten" zu starten. Aber natürlich auch der Motor der Notwendigkeit.

Überblick über die politische Theaterszene

Eine politische Medienlizenz besitzt "The Outpost" bislang nicht, das könnte noch ein Problem werden. Wer Gesellschaft verändern will, landet schnell bei der Politik. Studien zu Laizismus und Religionsfreiheit, ein Überblick über die politische Theaterszene werden genauso detailliert aufgezeigt wie konkrete Möglichkeiten zu temporärer Gebäudebesetzung, einem Hackerspace in Bagdad, einem Auffangzentrum für syrische Künstler, einem Leben als Transgender in den Arabischen Emiraten.

Schwierig wird es, wenn der Fokus auf den palästinensisch-israelischen Kontext gelenkt wird. Hier ist "The Outpost" zu einer pro-palästinensischen Haltung entschlossen, die soweit geht, auf Landkarten das gesamte in Frage stehende Territorium als Palästina zu bezeichnen.

So solle das von westlichen Medien meist unhinterfragt übernommene Narrativ Israels gekontert werden, erklärt Ibrahim Nehme. Die Suche nach einem palästinensischen Standpunkt ist für ihn ein Schritt, der noch vor dem bedingungsreichen Dialog zu kommen hat.

Könnte durch diese provokative Herangehensweise aber auch die Gefahr bestehen, mit der panarabischen Ausrichtung weniger gemeinsame Notwendigkeiten als gemeinsames Ressentiment zu schaffen? Das ist absolut nicht im Sinn von "The Outpost", und so ist abzuwarten, ob die empathische und progressive Qualität der Texte auch hier einen Weg findet.

Darüber hinaus gibt es aber auch reine Lifestyle-Themen. Aus den besten Orten arabischer Metropolen werden in der ersten Nummer Traumstädte gebaut. Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Kunst des orientalischen Klinkerbaus und eine Erläuterung der jordanischen Friedensmaschine (einer ökologischen Dachinstallation) erfüllen in der dritten Ausgabe die Herzen von Heimwerkern – der Wohlfühlfaktor von "Change Cafés" diejenigen der Medienkünstler und Kreativbranche.

Zum ersten Geburtstag des Magazins nun bekam der Chefredakteur das schönste Geschenk, was sich ein Romantiker vorstellen kann. In einem Stapel alter Bücher am Straßenrand fand er einen Scheck von der "Banque of Happiness & Peace", die dem Empfänger 365 Tage Glück gutschreibt. Der Scheck stammt aus dem Jahr 1974, dem Jahr vor dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges. Nun ziert er das Cover der aktuellen Ausgabe, als Talisman, dem man nichts mehr vormachen kann.

Astrid Kaminski

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de