Werner Herzog: Gertrude Bell war ihrer Zeit 100 Jahre voraus

Für seinen aktuellen Film holte Werner Herzog Hollywoodstars wie Nicole Kidman, James Franco und Robert Pattinson vor die Kamera. Er erzählt von einer großen und revolutionären Abenteuerin.

Starke Persönlichkeiten interessieren Werner Herzog schon seit langem. Egal, ob er mit Klaus Kinski drehte oder in seinen Dokumentationen faszinierenden Charakteren näher kam. Nun hat der deutsche Regisseur die Geschichte der Britin Gertrude Bell auf die Leinwand gebracht: Im Berlinale-Wettbewerbsbeitrag «Queen of the Desert» mit Nicole Kidman in der Hauptrolle erzählt der 72-Jährige von deren Reisen durch die Wüsten im heutigen Nahen und Mittleren Osten Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Der Film spielt zu einer Zeit, in der das Osmanische Reich auseinanderbricht und Grenzen neu gezogen werden. Sehen Sie da Parallelen zu der Situation heute?

Werner Herzog: Wir sollten vorsichtig sein, damals mit heute zu vergleichen. Zufälligerweise spielt im Film auch die Frage eine Rolle, ob es wirklich richtig war, die Grenzen vor 100 Jahren so zu ziehen, wie sie dann gezogen wurden. Heute sehen wir, wie eine Alternative in der Praxis aussehen könnte: Wie der Islamische Staat Grenzen auflöst und ein Kalifat ausruft, das mehrere Länder der Region vereinen will. Heute mögen wir also etwas besserwisserisch zurückschauen und die Entscheidungen von vor 100 Jahren in Frage stellen. Da war sicher nicht alles richtig, aber deswegen ist vielleicht nicht das Ganze falsch gewesen.

Wir brauchen Dialog und Respekt zwischen den Kulturen. Gertrude Bell war da ein perfektes Beispiel. Sie respektierte die Welt des Islam. Sie verstand die Würde der Beduinen besser und tiefgründiger als irgendjemand anderes, vielleicht sogar als heute. 

Wie haben Sie von der Figur Gertrude Bell erfahren?

Werner Herzog: Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, wer Gertrude Bell war, bis ein Produzentenfreund aus Damaskus mir von ihr erzählte. Er brachte mir stapelweise Kopien ihrer Tagebücher und Briefe. Ich brauchte da nur kurz durchzuschauen und ich wusste, dass das etwas sehr Großes ist. Das spürte ich sehr vehement; ich musste es einfach auf die Leinwand bringen.

Was genau hat Sie persönlich an ihr so fasziniert?

Werner Herzog: Gertrude Bell war ihrer Zeit mindestens 100 Jahre voraus. Damals durften Frauen in England nicht wählen. Als sie (Gertrude Bell) in Oxford studierte, mussten Frauen in einigen Klassen ihre Gesichter zur Wand drehen, damit die männlichen Studierenden durch sie nicht abgelenkt wurden. Alles, was Gertrude Bell machte, war also revolutionär.

ZUR PERSON: Werner Herzog, am 5. September 1942 in München geboren, ist einer der profiliertesten Regisseure seiner Generation. Mit Klaus Kinski drehte er in den 1970ern und 80ern mehrere Filme, darunter «Aguirre, der Zorn Gottes» und «Fitzcarraldo». Seine Fans verehren ihn aber auch für seine  Dokumentationen wie etwa «Grizzly Man» und «Begegnungen am Ende der Welt». Für seine Werke gewann Herzog zahlreiche Preise, darunter bei den Filmfestivals in Berlin, Cannes und Venedig. Er dreht häufig auf Englisch und lebt seit vielen Jahren in den USA. (Interview: Aliki Nassoufis/dpa)

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