Indonesische Literatur zwischen Feminismus und dem Traum von Bildung

Offen, experimentell und wild, aber zugänglich: So präsentiert sich die Gegenwartsliteratur des Gastlandes Indonesien zur Frankfurter Buchmesse. Dabei stehen Gedichte über Armut, Mord und Sexualität neben Bildungsromanen und feministischen Motiven. Von Nora Frerichmann


Junge Frauen aus Großstädten melden sich zu Wort: Provokativ und mit schonungsloser Ehrlichkeit, vereinen sie westliche Einflüsse mit östlichen Traditionen. Diese Autorinnen aus dem diesjährigen Gastland Indonesien werden auf der Frankfurter Buchmesse vom 14. bis 18. Oktober besonders im Fokus stehen.

Die Initialzündung lieferte die international bekannte Autorin Ayu Utami 1998. Die heute 46-Jährige schreibt offen über weibliche Sexualität und Selbstbestimmung. Ihr Buch «Saman» schockierte mit seinem Ton die indonesische Öffentlichkeit und inspirierte viele weibliche Autorinnen zu eigenen Werken.

«Das war ein Paukenschlag für alle jungen Frauen», sagt der Schriftsteller Martin Jankowski. Seit fast 15 Jahren arbeitet der Berliner mit indonesischen Literaturvereinen zusammen. «Da nahm eine Frau sich auf einmal 'raus, freimütig über Sex zu schreiben, dass sie nicht heiraten und keine Kinder kriegen will. Ein absoluter Tabubruch im damaligen Indonesien.»

Weniger Empörung, sondern breite Begeisterung löste Andrea Hirata mit seiner «Regenbogentruppe» aus. Das Buch gilt als meistgelesener Roman Indonesiens und erschien 2013 auch auf Deutsch. Die Geschichte des jungen Ikals, der es mit Hingabe und Bildung aus der Ärmlichkeit der indonesischen Provinz bis nach Paris schafft wird oft mit Khaled Hossinis afghanischem «Drachenläufer» verglichen.

Leicht, mit fast romantisch anmutender Sprache und feinem Humor erzählt Hirata vom großen Wert der Bildung für indonesische Arbeiterkinder. Dabei schwingt auch Kritik an der Ressourcen-Politik des Inselstaates mit. Obwohl Indonesien zu den rohstoffreichsten Ländern der Erde zählt, profitiert der Großteil der Bevölkerung nicht von den Erträgen. Im Gegenteil: In dem Roman soll eine Schule für Arbeiterkinder einem Zinn-Bergwerk weichen.

Dass Romane in Indonesien so erfolgreich sind, ist nach Jankowskis Erfahrungen eine Seltenheit. Wegen des feucht-warmen Klimas gebe es in Indonesien kaum papiergestützte Literatur. «Literatur ist dort immer auch eine Gemeinschaftsaktivität und wird mündlich weitergegeben», sagt der Autor. «Es gibt Gedichtwettbewerbe, Kurzgeschichten werden erzählt und Essays diskutiert. Man liest nicht einfach alleine auf seiner Couch.» Da viele Indonesier kein Geld für Bücher hätten, finde über die Hälfte der indonesischen Literatur im Internet statt.

Auch die Autorin und Journalistin Dorothea Rosa Herliany veröffentlicht viele ihrer Gedichte online. Mit klarer, manchmal brutaler Sprachgewalt schreibt sie über Sexualität, politischen Machtmissbrauch und Gewalt gegen Frauen. Die 51-Jährige gilt als bedeutendste Lyrikerin des Inselstaates.

Ähnlich wie auch Utami sorgte Herliany mit der Veröffentlichung ihres ersten Gedichtbandes 1987 für Aufruhr. Sie stellte schonungslos alle Regeln auf den Kopf, die in einer patriarchalischen, von Religionen dominierten Gesellschaft wie der indonesischen lange für Frauen galten. In ihren Gedichten sind Frauen nicht die Unterworfenen, sondern machen sich den Mann, durchaus auch gewaltsam, zum Untertanen.

Herliany scheut sich nicht vor detaillieren Beschreibungen von Sexualität, Gewalt, dem Leben der Armen an Schauplätzen wie Metzgereien oder Häfen. Manche Verse bestehen lediglich aus Schlagworten. «blüte. frau. messer. blut, mann, dauergeil», heißt es etwa in dem Gedicht «Szenisches Liebesdrama». So hat ihre Poesie eine eindrückliche, manchmal beklemmende Wirkung.

Dafür, dass Poesie einen großen Anteil an der indonesischen Literaturszene habe, komme sie auf der Buchmesse zu kurz, kritisiert Jankowski. «Es ist schade, dass die reichhaltige Kultur an Kurzgeschichten und Lyrik nicht stärker vertreten ist», sagt der Autor. Deutsche Verlage scheuten sich noch immer, den Lesern etwas anderes als Romane anzubieten «Das ist eine verpasste Chance», findet Jankowski. (epd)

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