Feridun Zaimoglu zu Kölner Übergriffen: «Krise des muslimischen Mannes»

Für den Schriftsteller Feridun Zaimoglu muss die Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln schonungslos offen auch innerhalb der islamischen Gemeinschaft geführt werden. «Frauenverachtung ist geradezu ein Gebot im Judentum, im Christentum und im real existierenden Islam - das nur an die Adresse der Heuchler, die vom Abendland schwätzen und nicht ein einziges Mal die Bibel aufgeschlagen haben», sagte der Kieler Schriftsteller türkischer Herkunft der Deutschen Presse-Agentur. «Gleichzeitig ist es aber auch genauso falsch zu sagen im relativierenden Ton: Weil es so ist, müssen wir uns nicht damit auseinandersetzen, wir Moslems.»

Der 51-jährige Schriftsteller, der sich selber als Moslem mit einem Kinderglauben bezeichnet, forderte: «Wir  Moslems müssen in unserem eigenen Saustall aufräumen. Denn wir haben einen Saustall. Der gelebte Dorf-Islam ist unter aller Sau.» Er als Schriftsteller könne sich dabei nicht aus der Verantwortung ziehen: «Das wäre ein bisschen feige.»

Die Übergriffe in Köln seien keine Ausreißer gewesen. Es handle sich nicht um eine Krise des Islam, «sondern wir haben eine Krise des moslemischen Mannes. Wir haben eine Krise moslemischer Männer mit Minderwertigkeitskomplexen.» «Wenn ein Mann unfähig ist, die starke mündige Frau als gesellschaftliche Realität zu sehen, und sich in seiner Herrlichkeit beeinträchtigt fühlt, dann lege ich ihm professionelle Hilfe nahe.»

Insgesamt bewertete Zaimoglu die Debatte über die Kölner Silvesternacht als sehr positiv: «Entgegen irgendwelcher seltsamen Vermutungen ist die freie Rede bei uns in Deutschland vorherrschend - und das ist wunderbar.» Die sexuellen Übergriffe müsse man geißeln,  «so wie man sonst von ostdeutschen Nazis spricht oder westdeutschen Hooligans. Ich verstehe nicht, warum man sich plötzlich an dieser Stelle zurückhalten muss oder wieso die Beschwichtiger dann darauf hinweisen wollen, dass man jetzt vorsichtig sein soll», sagte Zaimoglu.

Er zollte den beteiligten Journalisten Anerkennung: «Ein sehr anständiger Umgang mit dem Thema.» Das einzige was falsch laufe sei, dass Männer schon wieder über Frauen sprächen. Die Gefahr einer wachsenden Kluft in der Gesellschaft sieht Zaimoglu durchaus: Es fehle an Solidarität untereinander. Die Stimmung sei gekippt wegen bestimmter seltsamer Entscheidungen von oben. «Und unten zünden jetzt irgendwelche Vollidioten Flüchtlingsheime an oder träumen von einem reinen Abendland. Die armen Schweine gehen aufeinander los. So war es immer, so wird es immer weitergehen.»

Dabei führten die christlichen Kirchen und die islamischen Verbände schon seit einiger Zeit einen Dialog und kämen friedlich miteinander aus. «Es geht nicht um Religionen, es geht darum, dass Menschen mit religiösem oder nationalem Anstrich - seltsame Borderline-Menschen da draußen - den sozialen Frieden zu Klump schlagen wollen. Und darüber müsste man sich unterhalten», sagte Zaimoglu.

Opfer von Stereotypen oder Vorurteilen sei er selber noch nie geworden. «Deutschland ist mein herrliches Land.» Ja, er habe einen sauschweren Nachnamen, sagte er lachend. Aber wenn er bei einer Taxi-Zentrale anrufe, seinen Name nenne und zugleich zu buchstabieren beginne «Zeppelin, Anton, Martha...», herrsche schnell Heiterkeit. 

Feridun Zaimoglu wurde 1964 im anatolischen Bolu geboren und verbrachte die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens in München, Berlin und Bonn. 1985 kam er nach Kiel, um dort Kunst und Medizin zu studieren. Zaimoglu arbeitet als Journalist, er schreibt Theaterstücke («Die zehn Gebote»), Romane («Siebentürmeviertel», «Leyla») und Drehbücher. Außerdem ist er bildender Künstler. Zu seinen vielen Auszeichnungen gehören der Berliner Literaturpreis, Mainzer Stadtschreiber, Kieler Kulturpreis, Grimmelshausen Preis und der Adelbert-von-Chamisso-Preis. (dpa)

Ein Interview mit Feridun Zaimoglu bei Qantara.de