Schande für die Religion: Frauen schildern ihre Zeit als Gefangene des IS

Die Titel sind schlicht, die Geschichten erschütternd: Junge Frauen veröffentlichen Bücher über ihre Zeit als Gefangene der Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS). Sie können auch als Weckruf für Europa gelesen werden. Von Paula Konersmann

Seit zwei Jahren haben die Jesiden im Nahen Osten traurige Bekanntheit erlangt. Immer wieder werden Angehörige der Minderheit von der Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) hingerichtet und entführt; laut Schätzungen des Zentralrats der Jesiden in Deutschland wurden bis Ende des vergangenen Jahres 5.000 Frauen versklavt. Mehrere neue Bücher machen einige Einzelschicksale hinter den Schlagzeilen nun greifbar.

Jungen würden als Kindersoldaten ausgebildet, Mädchen «misshandelt, vergewaltigt, entmenschlicht», so beschreibt es der Psychologe Jan Kizilhan im Interview des Europa-Verlags. Er behandelt hunderte Betroffener, darunter eine Jesidin, die unter dem Pseudonym Shirin das Buch «Ich bleibe eine Tochter des Lichts» veröffentlicht hat. Das Land Baden-Württemberg sorgt für die psychosoziale Betreuung von insgesamt 1.000 misshandelten Frauen. «Wieso können Menschen anderen Menschen so etwas antun?», habe Shirin ihn immer wieder gefragt, sagt Kizilhan. «Sie schaute in meine Augen, als wartete sie auf eine Antwort. Ich hatte keine.»

Antworten auf diese Frage darf auch der Leser von Jinan Bandels Buch «Ich war Sklavin des IS» nicht erwarten. Ihre Schilderungen von Gewalt sind erschütternd; kaum weniger die Hintergründe, die sie zum alten Hass auf die Jesiden nennt. «Seit vielen hundert Jahren sind wir hinter euch her», zitiert sie einen IS-Kämpfer, «ihr kafir, ihr Abtrünnigen, ihr Atheisten!»

Farida Khalaf gibt in «Das Mädchen, das den IS besiegte» Licht- und Schattenseiten von Religion wieder: Regelmäßige Gebete hätten ihr in der Gefangenschaft Halt gegeben, betonte die Autorin im Interview des Bastei-Lübbe-Verlags. «Für mich war klar, dass ich meine Religion nie verraten würde, auch wenn ich dafür sterben müsste.» Auch beschreibt sie im Nachwort, wie sich deutsche Ordensschwestern nach ihrer Flucht um sie gekümmert haben.

Gleichzeitig prangert Khalaf den Missbrauch von Religion an. So schildert sie, wie Terroristen vor Vergewaltigungen zum Gebet niederknien und ihre Tat so «als eine Art Gottesdienst» zelebrieren. Dabei, so betont Khalaf, sei ihr Tun «nicht im Geringsten gottesfürchtig», sondern «eine große Schande für ihre Religion, die sie damit beschmutzten.»

Eher indirekt kritisieren die Autorinnen Teile ihrer eigene, von religiös motivierten Tabus geprägte Erziehung. «Wenn man versucht, dich zu besudeln, nimm dir das Leben», riet man Jinan Bandel; nach ihrem Schein-Übertritt zum Islam befürchtete die Jesidin den Ausschluss aus ihrer Religionsgemeinschaft.

Die Selbstvorwürfe der Frauen seien vielleicht das Schlimmste an der Gefangenschaft gewesen, schreibt ihre Leidensgenossin Khalaf: «Wir alle waren so erzogen worden, dass wir uns selbst die Schuld gaben.» Am Schicksal anderer Frauen habe sie jedoch erkannt, «dass das falsch war».

Solch differenzierte Töne beeindrucken. Umso irritierender ist es, wenn die Titeleingabe bei Online-Händlern als weitere «Kaufempfehlungen» Sadomaso-Groschenromane oder Fetisch-Outfits zutage fördert. Offenbar gibt es hierzulande ein Publikum, das sich an voyeuristischer Kriegspornografie weidet.

Dabei könnte die Lektüre womöglich jene Stimmen dämpfen, die lautstark und ohne Differenzierung fordern, Deutschland solle keine «Anreize» für die Aufnahme neuer Flüchtlinge schaffen. Wer einen Weg wie Khalaf, Bandel oder Shirin hinter sich hat, der braucht wohl keinerlei Kenntnis über Sozialsysteme, um in Europa das Paradies auf Erden zu vermuten. Betroffene wie Bandel betonen aber auch, dass Asyl kein Allheilmittel ist. Die Probleme müssten vor Ort gelöst werden, unterstrich sie unlängst in einem Interview einer Zeitschrift.

Die Bücher der vom IS verfolgten Frauen zeigen: Es sind dieselben Fanatiker, die für die Anschläge in Paris im vergangenen Jahr verantwortlich waren. Der Terror kann jeden treffen. Wobei ein gewisses Maß von Realitätsverleugnung aus Selbstschutz offenbar normal ist. Die Grenze zu Syrien liegt 50 Kilometer von Khalafs Heimatort im Nordirak entfernt. Dennoch, so schreibt sie, habe sich der Krieg vor ihrer Entführung für sie «irgendwo im Fernsehen» abgespielt - «weit entfernt von meiner eigenen Realität und meinem Alltagsleben.» (KNA)

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