Deutsche Justiz hat Bedenken gegen Vollverschleierung vor Gericht

Die Vollverschleierung von Frauen vor Gericht hat bundesweit Bedenken hervorgerufen. Nach einem Fall in Hamm steht nun eine Muslima vor dem Landgericht München in der Kritik, wie die «Bild»-Zeitung (Donnerstag) berichtet. Die 43-Jährige habe sich geweigert in einem Prozess ihr Gesicht offen zu zeigen.

Vor Gericht erschien die Frau laut Berichterstattung, weil ein Mann sie beleidigt haben soll. Der Amtsrichter habe ihn auch freigesprochen, weil die Muslima aus Glaubensgründen ihre burkaähnliche Verschleierung, einen sogenannten Niqab, nicht abgenommen habe.

Wegen eines vergleichbaren Falls vor einem Jugendschöffengericht, bei dem die geständige und rechtskräftig verurteilte Angeklagte ihren Gesichts- und Ganzkörperschleier nicht abgenommen habe, verfasste die Hammer Generalstaatsanwältin Petra Hermes vor einer Woche ein der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegendes Schreiben. Darin bittet sie ihre Amtskollegen in Deutschland um Mitteilung, ob es bei ihnen gleichartige Fälle gegeben habe.

Nach vorläufiger Bewertung von Hermes hindert die Vollverschleierung ein Gericht daran, die Identität und Verhandlungsfähigkeit von Angeklagten und Zeuginnen festzustellen, so wie es in der Strafprozessordnung vorgesehen sei. Zudem könnte die Verhandlung gegen eine Vollverschleierte den Unmittelbarkeitsgrundsatz beeinträchtigen. Danach müssen das Gericht und die übrigen Prozessbeteiligten Gestik und Mimik einer Angeklagten oder Zeugin wahrnehmen können, um daraus Rückschlüsse auf deren Glaubwürdigkeit ziehen zu können.

Hermes nannte es fragwürdig, ob in einer Hauptverhandlung eine Vollverschleierung aus religiösen Gründen hinzunehmen sei. Die Abwägung zwischen Religionsfreiheit und Rechtsstaatsprinzip dürfte in der Regel zugunsten des letzteren ausfallen. Denn das Interesse des Staates an einer rechtsfehlerfreien, durch äußere Einflüsse weitgehend unbeeinflussten Beweiswürdigung dürfte das Interesse an einer Verschleierung übersteigen. «Die Durchsetzung der Entfernung des Gesichtsschleiers in der Hauptverhandlung scheint mir im Rahmen sitzungspolizeilicher Maßnahmen möglich», so die Generalstaatsanwältin.

Im aktuellen Fall in München hat die Staatsanwaltschaft laut «Bild» gegen den Freispruch des Mannes Berufung eingelegt. Der Richter befürchte jedoch, dass sich die Muslima wieder weigern werde, ihr Gesicht zu zeigen. Deswegen sei «eine Expertise des hochrangigen Islam-Rechtsgelehrten Scheich Abdullah Al Muslih aus Saudi-Arabien» eingeholt worden. Darin heiße es, dass das Ablegen des Niqab vor Justizorganen auf Grund von Notwendigkeiten und Schadensverhinderung erlaubt sei. Die Berufsverhandlung in München findet am 17. März statt. (KNA)

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