Rückzug in die Diplomatie?- Was Putins Wende in Syrien bedeutet

Waffenruhe, Friedensgespräche, Truppenabzug: Mit seinem unerwarteten Rückzugsbefehl im Syrien-Konflikt mischt Kremlchef Putin die Karten neu. Wachsen damit die Chancen auf Frieden nach fünf Jahren Krieg? Antworten von Thomas Körbel und Jan Kuhlmann

Wie sieht die militärische Lage in Syrien aus?

Seit Ende Februar gilt eine Waffenruhe, die trotz regelmäßiger Verstöße mehr oder weniger hält. Nicht zuletzt Russland hat seine Luftangriffe auf gemäßigtere Rebellen reduziert. Allerdings war es den Anhängern des Regimes in Damaskus vor Beginn der Waffenruhe mit russischer Hilfe gelungen, wichtige Geländegewinne zu erzielen. So konnten sie die wichtigste Versorgungsroute der Rebellen durch Teile der nordsyrischen Stadt Aleppo kappen. Durch die Erfolge hat das Regime im Bürgerkrieg wieder die Oberhand gewonnen.

Welche Auswirkungen hat Putins Entscheidung auf den Bürgerkrieg?

Ohne massive russische Luftunterstützung dürfte es den Anhängern der Regierung kaum gelingen, die Rebellen zurückzudrängen. Die Truppen von Präsident Baschar al-Assad sind nach fünf Jahren Bürgerkrieg ausgelaugt. Umgekehrt dürften auch die Gegner des Regimes zu geschwächt sein, um verlorenes Gebiet zurückzugewinnen. Generell wird eine militärische Lösung unwahrscheinlicher. Dennoch bleiben offene Fragen: Zwar haben die ersten russischen Kampfjets Syrien bereits verlassen, doch gibt es Ausnahmen. So sollen Militärberater wie auch Truppen zum Schutz russischer Militärbasen im Land bleiben.

Lässt Putin seinen Verbündeten Syrien jetzt fallen?

Nein, Moskau bleibt neben dem Iran der wichtigste Partner von Machthaber Baschar al-Assad. Kremlsprecher Dmitri Peskow schließt ausdrücklich aus, dass Russland mehr Druck auf Assad ausüben will. Allerdings wird deutlich, dass die russischen und syrischen Interessen nicht identisch sind. Assad würde den Krieg gerne weiterführen. Putin aber scheint nicht gewillt, der Regierung zu einem militärischen Sieg zu verhelfen. Vielmehr spricht seine Entscheidung dafür, dass Moskau eine politische Lösung will. Diplomaten gehen sogar davon aus, dass Russland bereit sein könnte, Assad fallen zu lassen, wenn Moskaus Interessen gewahrt bleiben.

Wird Russland weiter den IS und andere Extremisten bekämpfen?

Ja. Der Teilabzug solle nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung des Kampfes gegen den Terrorismus führen, beteuern ranghohe Funktionäre in Moskau. In welcher Form Russland gegen Terrorgruppen wie den Islamischen Staat (IS) und die Al-Nusra-Front vorgehen will, bleibt zunächst offen. Eine Fortsetzung der Luftangriffe trotz reduzierter Schlagkraft schließt der Kreml jedenfalls nicht aus.

Warum hat Putin diese Entscheidung jetzt verkündet?

Einen besseren Zeitpunkt hätte Putin kaum treffen können: Die von ihm selbst mit auf den Weg gebrachte Waffenruhe hält seit fast drei Wochen weitgehend, und in den kniffligen Friedensgesprächen wurde am selben Tag in Genf ein neuer Anlauf gestartet. Die positiven Tendenzen nutzt der Kremlchef auch, um internationale Kritik an seinem harten Kurs in Syrien verstummen zu lassen. Nach der militärischen Keule schaltet Moskau nun verstärkt auf Diplomatie. Zugleich wächst seit langem der Druck von Staaten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit wie Saudi-Arabien auf Russland, denen Putins Intervention zugunsten einer Schiiten-Allianz aus Syriens Machthaber Assad, dem Iran und der libanesischen Hisbollah-Miliz ein Dorn im Auge ist. 

Steigen mit der Entscheidung die Chancen auf eine politische Lösung?

Durch Putins Entscheidung wachsen die Chancen auf einen Kompromiss bei den Friedensgesprächen deutlich. Schon die Waffenruhe im Vorfeld hatte die Hoffnung auf eine Verhandlungslösung gesteigert. Auch Regierung und Opposition sind im Ton wesentlich zurückhaltender als noch bei der ersten Verhandlungsrunde vor einigen Wochen. UN-Vermittler Staffan de Mistura will bei den laufenden Gesprächen schnell zu den Kernthemen kommen: eine Übergangsregierung, eine neue Verfassung sowie freie Wahlen.

Hat Putin seine Ziele in Syrien erreicht?

Mit seiner umstrittenen Intervention hat Putin den Verlauf des Syrien-Konflikts Beobachtern zufolge maßgeblich beeinflusst. Er hat seinem Verbündeten Assad zu militärischem Erfolg verholfen und einen gewaltsamen Sturz unwahrscheinlicher gemacht, er hat sich als Kämpfer gegen den Terrorismus inszeniert und vor allem hat er Russland international wieder zu einem unverzichtbaren Partner gemacht. Moskau ist wichtiger geworden als Akteur im Nahen Osten. Darauf dürfte sich Putin aber kaum ausruhen: Seit Wochen knüpft er Kontakte zu vielen Staaten in Nahost, um Russlands Position zu festigen. Schon an diesem Mittwoch werden Besucher aus Ägypten und Israel in Moskau erwartet. (dpa)

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