Gottes Denkwerkstatt

Theologie als Wissenschaft plausibler machen und den Nachwuchs fördern - das will ein neues interreligiöses Graduiertenkolleg, an dem vier Hochschulen zusammen arbeiten. Von Stefan Toepfer

Von Stefan Toepfer

Gehören Theologen zu einer Art universitär-gesellschaftlichem Prekariat? Die Frage liegt nahe, folgt man der Einschätzung, nach der zwar Religionen in der Öffentlichkeit eine neue Aufmerksamkeit erfahren, "die Deutungskompetenz der Theologie(n) und ihr Wissenschaftscharakter zunehmend als prekär empfunden" werden. So schreiben es die Antragsteller eines neuen, interreligiösen Graduiertenkollegs - und gehen zugleich gegen diese Entwicklung an.

An dem Kolleg "Theologie als Wissenschaft - Formierungsprozesse der Reflexivität von Glaubenstraditionen in historischer und systematischer Analyse" sind vier Hochschulen beteiligt: die Frankfurter Universität, die Universität Mainz, die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt und die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Seit April arbeiten elf Stipendiaten an ihren Promotionen, hinzu kommen zwölf Kollegiaten, meist Postdoktoranden.

Interreligiöser Ansatz

Sie untersuchen, wie Theologie als Wissenschaft, als Reflexion des Glaubens, entstanden ist und wie sie als solche heute neu plausibel gemacht werden kann. Ein erstes Ziel haben die Initiatoren erreicht: "Für uns ist das Graduiertenkolleg eine Stärkung innerhalb der Universität", sagt Claus Arnold. Der Kirchenhistoriker am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität ist Sprecher des Kollegs und einer von zehn Professoren, die die Arbeiten der Stipendiaten betreuen. Mit dem Kolleg assoziiert sind noch elf weitere Professoren.

Hanna Liss; Foto: © Hochschule für jüdische Studien Heidelberg
Auch Impulse für den interreligiösen Dialog: Hanna Liss fordert dazu auf, das Deutungsmonopol in keinem Fall jenen zu überlassen, die einer wissenschaftlichen Reflexion traditioneller Texte feindlich gegenüber stehen.

​​Wichtig ist den Initiatoren der interreligiöse Ansatz des Kollegs. Gezeigt werden soll einerseits, dass Reflexion über den Glauben religionsübergreifend ist. "Theologie ist eine eigentümliche Form des Nachdenkens über Religion und hängt nicht an einer bestimmten Konfession", sagt Thomas Schmidt, Philosophie-Professor am Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität.

Andererseits unterscheiden sich christliche, jüdische und islamische Theologie in ihren Herangehensweisen - auch das wird berücksichtigt. Die Arbeiten der Stipendiaten haben entweder einen eher historischen oder einen eher theologisch-systematischen Ansatz. Das Kolleg soll zeigen, wann und wie das Nachdenken über Religion entstand und wie es heute fruchtbar gemacht werden kann.

Mukkader Tuncel zum Beispiel befasst sich mit der Koranexegese in frühislamischer Zeit. Davon ausgehend, will die Stipendiatin der Frage nachgehen, wie der Koran heute angemessen ausgelegt werden könne. Ulrike Kleinecke widmet sich der Entwicklung jüdischer Theologien des Christentums in Amerika von 1945 bis heute.

Eva Bucher fragt nach dem Verhältnis von Kants Religionsphilosophie und seiner praktischen Philosophie, und Ana Honnacker schreibt ausgehend von einer bestimmten Religionstheorie über das Verhältnis von Glaube und Vernunft. "Sie schließen einander nicht aus", sagt sie. Acht der elf Stipendiaten sind Frauen. Das entspricht dem Wunsch der Verantwortlichen, den Anteil der Wissenschaftlerinnen in der Theologie zu erhöhen. Aber nicht nur das. "Die Frauen unter den Bewerbern waren meist besser qualifiziert", urteilt Arnold. 28 Nachwuchswissenschaftler hatten sich beworben.

Impulse für Universitäten und Religionsgemeinschaften

Hand mit Rosenkranz; Foto: picture-alliance/dpa
Religionsübergreifender Ansatz: Die interreligiöse Herangehensweise des Graduiertenkollegs unterstreicht die Idee, dass Theologie eine Reflexion über den Glauben beinhaltet, die nicht an eine bestimmte Konfession gebunden ist.

​​Von dem Kolleg sind spannende Impulse zu erwarten, nicht nur für die Bedeutung von Theologie an der Universität, sondern auch innerhalb der jeweiligen Glaubensgemeinschaft.

Zum Beispiel verweist Hanna Liss, Professorin an der Hochschule für Jüdische Studien und stellvertretende Sprecherin des Kollegs, auf innerjüdische Kontroversen. Sie fordert, das "religiöse Deute-Monopol der hebräischen Texttradition" nicht jenen zu überlassen, "die der wissenschaftlichen Reflexion über die traditionellen Texte bestenfalls indifferent, schlimmstenfalls feindlich gegenüberstehen". Auseinandersetzungen über die Sichtweise von Theologie auf Glaubenstraditionen kennen auch das Christentum und der Islam.

Das Kolleg, zu dem mehrere Kolloquien und zwei Summer Schools in Istanbul und Jerusalem gehören, will auch dazu beitragen, "islamische Theologie im deutschen universitären Kontext zu etablieren". Dafür gibt es mit dem Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam an der Goethe-Universität und dessen Leiter Ömer Özsoy einen wichtigen Partner.

Bezogen auf das Judentum ist dies außer Liss der Inhaber der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie in Frankfurt, Christian Wiese. Von Mainz und Sankt Georgen aus werden durch Mechthild Dreyer und Rainer Berndt vor allem die Philosophie- und Theologiegeschichte des Mittelalters gestärkt.

Finanziert wird das Kolleg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft; für die ersten viereinhalb Jahre stehen etwa 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Im günstigsten Fall kann es neun Jahre gefördert werden. Das bedeutet, dass drei Jahrgänge von Nachwuchswissenschaftlern davon profitieren können. Die Stipendien werden jeweils für drei Jahre gewährt. Die öffentliche Auftaktveranstaltung soll am 15. November stattfinden. Zu Gast ist dabei der Schriftsteller Navid Kermani.

Stefan Toepfer

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de