«Wir kommen immer wieder»: Syrische Olympia-Starter trotzen dem Krieg

Der Gefechtslärm aus der Ferne ist unüberhörbar. Er übertönt sogar das Dröhnen der alten Generatoren am Rande der Laufbahn, doch immerhin: Das Tishrin-Stadion ist diesmal nicht das Ziel der Granaten. Also läuft Ghofrane Mohammad ihre Runden, den Traum Rio immer vor Augen.

Was die Hürdenläuferin erlebt, ist der traurige Alltag der syrischen Athleten, die sich in Damaskus auf die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro vorbereiten. Seit Februar herrscht in der Hauptstadt offiziell Waffenruhe, doch die Frontlinie, an der sich die Terrormiliz Islamischer Staat, Rebellengruppen und Truppen der syrischen Regierung schwere Gefechte liefern, ist nur wenige Kilometer entfernt.

Wie trainiert man in einem Land, das vom Bürgerkrieg zerstört und von einer islamistischen Miliz terrorisiert wird, für das größte Sportereignis der Welt, die Olympischen Spiele? Einige der syrischen Athleten blieben trotz des seit 2011 herrschenden Krieges in Damaskus. Sie trainieren im Tishrin-Stadion im Nordwesten der Stadt, das wiederholt angegriffen wurde.

Dennoch bemüht man sich um Normalität. «Es gibt viele Probleme, das Tishrin-Stadion steht häufig unter Beschuss. Viele Athleten wurden verwundet, einige sind sogar gestorben», sagte Ghofrane Mohammad: «Trotzdem kommen wir immer wieder. Wir werden weiter trainieren und der Welt zeigen, dass Syrien noch existiert.»

Seit nunmehr fast fünf Jahren sind Syrer dem Bürgerkrieg und dem Bombardement des Machthabers Baschar al-Assad ausgesetzt. Im Zuge des Arabischen Frühlings waren auch in Syrien Anti-Regierungsproteste ausgebrochen, die vom Regime blutig niedergeschlagen wurden. Vor allem europäische und andere arabische Länder erließen daraufhin Sanktionen, darunter Reiserestriktionen.

Das erschwert die Vorbereitungen der Sportler zusätzlich. Der Hochspringer Majed Addin Ghazal erklärt: «Wegen der Visa ist es kompliziert, sich auch außerhalb Syriens zu messen. Ich habe von vier Wettkämpfen drei verpasst, da ich für Birmingham, Rom und Marokko keine Einreiseerlaubnis bekommen habe. Wir verpassen viele Turniere, und das erschwert es, das Level zu erreichen, das wir benötigen.»

Hinzu kommt die Bedrohung durch den Islamischen Staat. Die Terrormiliz, die größere Gebiete im Norden und Ostens Syriens und des Iraks beherrscht und einen islamistischen Gottesstaat ausgerufen hat, bekämpft sowohl die Regierung als auch die oppositionellen Kräfte. Das hat auch Auswirkungen auf die Sport-Gemeinschaft. Manche Sportler stehen auf der Seite der Regierung, andere schlossen sich den Rebellen an, manche sogar den dschihadistischen Gruppen, wie der Fußball-Nationaltorwart Abdel Basset Sarout.

Der Krieg hat das arabische Land für immer verändert. Im Sommer vergangenen Jahres schätzten die Vereinten Nationen die Zahl der Todesopfer auf etwa 250.000. Von den gut 20 Millionen Bürgern sind mehr als vier Millionen ins Ausland geflüchtet, weitere acht Millionen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Zu ihnen gehören auch zwei Schwimmer, denen nach ihrer Flucht in Europa Asyl gewährt wurde. Rami Anis und die mittlerweile in Berlin lebende Yusra Mardini werden im August Teil des Refugee Olympic Team (ROT) sein, das vom IOC im Juni benannt wurde und unter Olympischer Flagge in Rio antreten wird.

Mohammad und Ghazal wollen aber weiter ihr Land repräsentieren. «Ich werde alles tun, um eine starke Leistung zu erzielen, und ich hoffe, auf das Podium zu kommen und das syrische Volk glücklich zu machen», sagte Ghazal der Nachrichtenagentur AFP.

Die Heimat von Ghofrane Mohammads Familie ist Aleppo. Die Stadt wurde weitgehend zerstört, das Unesco-Weltkulturerbe, der historische Basar Aleppos, liegt in Trümmern. «Wenn ich Nachrichten aus Aleppo höre, beunruhigt es mich sehr. Trotzdem trainiere ich weiter, und wenn ich an Wettkämpfen teilnehme, ist meine Familie glücklich», sagte Mohammad.

Ghofrane Mohammad ist sich der Tragweite ihrer Aufgabe bewusst. «Ich trainiere hier. Vor dem Tod habe ich keine Angst», sagte sie: «Es ist schwierig, aber für mich ist es genug der Ehre, teilzunehmen und die syrische Flagge hochzuhalten.» Und vielleicht können die Olympia-Starter mit dem Gewinn einer Medaille ihrem gebeutelten Heimatland etwas Hoffnung und Zuversicht zurückgeben. (SID)