Interview mit Aygül Özkan, der ersten muslimischen Ministerin Deutschlands

2010 wurde Aygül Özkan in Niedersachsen als erste muslimische Ministerin in Deutschland vereidigt. Ihre Religion war ein großes Thema. Sie sei auf Vorbehalte gestoßen, sagt Özkan im Gespräch mit Matthias Klein. Heute bekomme der muslimische Glauben von Politikern weniger Resonanz. Özkan war bis 2013 Landesministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration.

Frau Özkan, Sie waren die erste muslimische Ministerin in Deutschland. Welche Rolle spielte Ihre Religion bei Ihrer politischen Karriere?

Aygül Özkan: Vor meinem Amt als Ministerin spielte meine Religion überhaupt gar keine Rolle in der politischen Arbeit. Ich bin über ein Ehrenamt zur Politik gekommen. Im juristischen Referendariat habe ich bei meiner Station bei der Handelskammer Hamburg festgestellt, dass migrantische Unternehmer die Serviceleistungen nicht so nutzten wie deutschstämmige. Ich habe dann die Arbeitsgemeinschaft türkischstämmiger Unternehmer und Existenzgründer ins Leben gerufen. An diesem Thema bin ich drangeblieben und sieben Jahre später in die CDU eingetreten.

Sie wurden 2008 Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft. Wurde Ihre Religion da zum Thema?

Özkan: Nein. Wirtschaft und Arbeitsmarkt waren in der Bürgerschaft weiter meine Themen. Mein migrantischer Hintergrund spielte dabei eine Rolle, aber nicht der religiöse. Ich habe Wirtschaftspolitik durch meine Herkunft einfach aus einem anderen Blickwinkel gesehen: Mir war wichtig, Migrantenunternehmer zu fördern, weil sie unter anderem auch Ausbildungs- und Arbeitsplätze für viele Menschen schaffen. Übrigens: egal ob mit oder ohne Zuwanderungsbiografie.

Zwei Jahre später wurden Sie Sozialministerin in Niedersachsen. Bei der Vereidigung sprachen Sie die Gottesformel - das sorgte für großes Aufsehen. Wie sehen Sie das im Rückblick?

Özkan: Ich komme aus einer sehr liberalen muslimischen Familie. Das Religiöse stand zu Hause nie im Vordergrund. Im Ramadan faste ich zwar nicht, aber ich finde Stärke im Glauben. Für mich würde nie in Frage kommen, die Gottesformel bei meinem Eid als Ministerin nicht zu verwenden. Ich sehe das so: Wer glaubt, der kann auf den einen Gott der drei monotheistischen Religionen vertrauen. Die Gottesformel ist nicht Christen vorbehalten. Ich habe damals extra ein Rechtsgutachten erstellen lassen, das mich darin bestärkt hat.

In zahlreichen Medienberichten spielte Ihre Religion eine große Rolle.

Özkan: Ganz plötzlich war meine Konfession das große Thema. Dass ich Muslimin bin, hat viele Journalisten interessiert. Ich wurde dadurch zu einer Art Symbol. Meine Nominierung war auch ein Signal, weil viele gerade der CDU nicht zugetraut hätten, eine Muslimin zur Ministerin zu machen.

Wirkte sich das auch auf Ihre Arbeit aus?

Özkan: Ja, ich denke schon. Das Fachliche trat im ersten halben Jahr in den Hintergrund. Viele Menschen waren irritiert, auch in meiner eigenen Partei. Ich bin teilweise auf Vorbehalte gestoßen. Aber viele interessierten sich für mich als Person: Wer ist diese Frau und wie ist sie eigentlich in dieses Amt gekommen? Manche haben auf mich reagiert, als sei ich gerade vom Mond gekommen. Ich bin auf sie zugegangen. Gerade in ländlichen Gebieten kennen viele Menschen noch immer kaum Muslime persönlich.

Hatte Ihre Religion auch Auswirkungen auf Ihre inhaltliche Arbeit? Großes Aufsehen erregte ein Interview, in dem Sie sich kurz vor Ihrer Vereidigung gegen Kruzifixe in Schulen aussprachen.

Özkan: Ich habe in dem Interview für die Schule als weltanschaulich neutralen Ort geworben. Ich habe gesagt, dass ich persönlich für mein Kind weder eine Lehrerin mit Kopftuch noch ein Kruzifix an der Wand will. Abgesehen davon: Ich habe Themen durch meine Herkunft anders als Kollegen gesehen. Bei der Pflege war mir zum Beispiel immer sehr wichtig, dass sie kultursensibel ist, dass auch auf Migranten eingegangen wird. Das war damals neu, inzwischen selbstverständlich. Ich konnte die große Aufmerksamkeit für meine Person nutzen, um Gehör zu finden. Das war ein Vorteil für mich.

Veränderte sich das im Laufe Ihrer Amtszeit?

Özkan: Ja, es wurde sozusagen normaler, dass eine Muslimin Ministerin ist.

Wie ist generell Ihr Eindruck, war die Religion Ihrer christlichen Ministerkollegen auch ein Thema?

Özkan: Nein, überhaupt nicht. Das war nur bei mir als Muslimin so. Die Landes-CDU war meiner Wahrnehmung nach damals insgesamt zurückhaltend bei Kontakten zu Muslimen. Es wurde lange überlegt, ob man beispielsweise eine Moschee besucht oder zu einem Fastenbrechen im Ramadan gehen soll. In anderen Bundesländern habe ich eine größere Offenheit erlebt.

Sie sind Juristin und seit Ihrem Ausscheiden aus dem Landtag nach dem Regierungswechsel in der Wirtschaft tätig. Spielte Ihre Religion in diesen Branchen eine Rolle?

Özkan: Nein. Wobei ich einschränken muss, dass es vielleicht anders gewesen wäre, wenn ich ein Kopftuch tragen würde. In der Politik ist die muslimische Konfession von Akteuren ein Thema, weil man in der Öffentlichkeit steht. Dadurch wird man schnell zu einem Vorbild.

Inzwischen gibt es mehrere prominente muslimische Politiker in Deutschland. Erscheint dies aus Ihrer Sicht in der medialen Berichterstattung inzwischen weniger außergewöhnlich?

Özkan: Ja, heute erregt das viel weniger Aufmerksamkeit. Ich denke, es wird bei den Muslimen so sein, wie sich das bei den Frauen in politischen Spitzenämtern entwickelt hat - in einigen Jahren wird das gar kein Thema mehr sein. (epd)