Quellen der Macht

Im Streit zwischen Irans geistlichem Führer Ali Chamenei und Präsident Mahmud Ahmadinedschad geht es um den Zugriff auf die Öleinnahmen. Von Rudolph Chimelli

Von Rudolph Chimelli

Niemand in Teheran spricht offen davon, doch beim Machtkampf zwischen Präsident Mahmud Ahmadinedschad und den Konservativen um den geistlichen Führer Ali Chamenei geht es nicht nur um ideologische Grundsätze, sondern auch um Geld. Genauer gesagt, um das Verfügungsrecht über die Erdöleinnahmen, von denen das Land und sein Regime leben.

Indem er Erdölminister Massud Mirkasemi entließ und selber dessen Ressort übernahm, gab der Präsident seine Absicht zu erkennen, aus der Nationalen Ölgesellschaft und ihrem Ministerium wieder wie einst den beherrschenden Organismus für Irans wirtschaftliche Entwicklung zu machen. Das geistliche Verfassungsgericht, der Wächterrat, hat Ahmadinedschads Selbsternennung als ungesetzlich gerügt, doch der Staatschef kümmert sich nicht darum.

Rückendeckung für Ahmadinedschad

Chamenei stärkte am vergangenen Sonntag (5. Juni) dem Präsidenten indirekt den Rücken. Vor den neugewählten Parlamentsvorsitzenden sagte er: "Es gibt Schwächen und Probleme, aber die Zusammensetzung der Exekutive ist gut und angemessen, und die Regierung arbeitet."

Der geistige Führer Irans, Ali Chamenei; Foto: AP
Gespaltenes Verhältnis zum Präsidenten: Der geistige Führer, Ali Chamenei, wurde im April von Ahmadinedschad herausgefordert, als er Geheimdienstchef Heidar Moslehi aus dem Amt drängte, ohne davor Chamenei unterrichtet zu haben.

​​Zugleich gab er zu verstehen, dass er Ahmadinedschad bis zum Ende seines Mandats in zwei Jahren im Amt belassen werde. In seinem Bemühen, den internen Streit zu dämpfen, mahnte Chamenei die Regierung, die vom Parlament erlassenen Gesetze ohne Umschweife auszuführen – was Ahmadinedschad nicht immer getan hat. Dem Parlament erlegte der Führer zugleich auf, Gesetze zu machen, die für die Regierung praktikabel seien.

Eine deutliche Warnung erteilte Chamenei dem Präsidenten im Hinblick auf die Parlamentswahlen im kommenden März. "Niemand hat das Recht, sich in die Wahl einzumischen", sagte er, nachdem seine Anhänger gerade enthüllt hatten, Ahmadinedschad habe seine Wiederwahl im Jahre 2009 dadurch befördert, dass er an neun Millionen Wähler aus Staatsmitteln Bargeld ausgeschüttet habe.

Als Ziel für die Parlamentswahl sehen die Parteigänger des Präsidenten, in der nächsten Madschlis mindestens 130 der 290 Mandate zu erringen. In der Verwaltung der Provinzen arbeiten Ahmadinedschads Apparat und der seines Freundes Isfandiar Rahim Maschaei bereits nach Kräften an der Verwirklichung.

Politische Pattsituation

Dass Maschaei sein Nachfolger werden könnte, wie der Präsident dies wollte, scheint angesichts der starken Front seiner Gegner unwahrscheinlich. Offensichtlich besteht im Machtkampf derzeit ein Patt.

Ahmadinedschad und der er frühere Vizepräsiden Isfandiar Rahim Maschaei; Foto: AP
Den Konservativen ein Dorn im Auge: Ahmadinedschads engster Berater und Bürochef Isfandiar Rahim Maschaei

​​Ahmadinedschad, der im vergangenen Monat mit dem Rücktritt liebäugelte, darf weitermachen, obwohl er sich von Maschaei und dessen Ideen eines "iranischen Islam" nicht trennt. Chamenei soll darauf verzichtet haben, im Hinblick auf die Regierung "schmerzhafte Entscheidungen" zu treffen.

Im Disput um das Erdölgeld stehen nicht nur konservative Kleriker, sondern auch die Führer der Revolutionsgarden überwiegend gegen Ahmadinedschad. Er ging einst aus ihren Reihen hervor und verhalf vielen von ihnen zu führenden Positionen im Apparat.

Die Pasdaran wiederum nutzten ihre neue Machtstellung zum Aufbau eines Wirtschaftsimperiums. Als Folge gehören die rund vier Dutzend Unternehmen, welche die Substanz der iranischen Ölindustrie ausmachen, nicht nur hohen Klerikern, sondern Kommandeuren der Garden. Die Nationale Ölgesellschaft, unter dem Schah und noch in den Anfangszeiten der Islamischen Republik der solideste Pfeiler des Staates, ist heute zusammen mit dem Erdölministerium nach dem Urteil eines Kritikers nur noch "eine leere Hülse".

Logo der Sepah Pasdaran
Neue wirtschaftlicher Machtfaktor hinter den politischen Kulissen: Irans Revolutionsgarden

​​All die genannten Privilegieren hätten zu leiden, wenn es Ahmadinedschad gelingen würde, sein Vorhaben umzusetzen, auch wenn das nur schrittweise erfolgen könnte.

Betroffen wären nicht zuletzt die riesigen religiösen Stiftungen, denen an Parlament und Regierung vorbei ein großer Teil des Ölgeldes zufließt. Die Kontrolle darüber übt allein Chamenei aus – ohne Rechenschaft abzulegen.

Kampf um wirtschaftliche Pfründe

Die Stiftungen wiederum sichern dem Regime durch Sozialhilfen und Pfründen aller Art ein Fußvolk, auf das es sich bei Wahlen und Kundgebungen verlassen kann. Die Zahl dieser kleinen Klienten macht nach Schätzungen etwa ein Viertel des iranischen Volkes aus.

Von den konservativen Meinungsführern werden die Leute Maschaeis – und indirekt Ahmadinedschads – "die Abweichler" genannt. Vorerst wird der Kampf zwischen den Parteien noch um vorgeschobene Positionen geführt. Die "Abweichler" hatten Kontrolle über ein Kulturbudget von umgerechnet 30 Millionen Euro erlangt, das zur Restaurierung antiker Denkmäler, für Festivals sowie zur Produktion von Theateraufführungen und Filmen bestimmt war.

Fast die Hälfte davon ging nach dem Wunsch des Führers zur "Förderung religiöser Zwecke" wieder an Geistliche zurück. Umgekehrt gelang es den Abweichlern, ein Projekt auf der Golf-Insel Kisch zu Fall zu bringen, mit dem Chameneis Sohn Modschtaba unter Aufwand von 60 Millionen Euro Tourismus und Immobiliengeschäft entwickeln wollte.

Jetzt nimmt es der Staat in die Hand, wie es heißt sogar unter Beteiligung amerikanischer Firmen. Dass ein 20-Milliarden-Euro-Projekt für den Bau einer Eisenbahn vom Golf nach Zentralasien wie geplant an Vertrauensleute des Geistlichen Führers geht, ist auch unsicher geworden.

Ebenso versuchen "Abweichler" durch Gründung einer gemischt staatlich-privaten Gesellschaft die Kontrolle über den größten Autohersteller des Landes "Iran Chodro" zu gewinnen.

Einige haben schon jetzt verloren. Ein Ayatollah, der weitgehend den Import von Zucker in der Hand hatte, büßte die Hälfte seines Umsatzes an eine Staatsfirma ein. Ein Amtsbruder erlitt drastische Einbrüche im Weizengeschäft, als die Regierung den Ankaufspreis für inländisches Getreide erhöhte.

Rudolph Chimelli

© Süddeutsche Zeitung 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de