Wie du mir, so ich dir

Seit Monaten zirkulierte die Kunde, dass der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders einen Film vorbereite, der den Koran als Schriftwerk von faschistischem Charakter denunziert. Angela Schader informiert

Seit Monaten zirkulierte die Kunde, dass der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders einen Film vorbereite, der den Koran als Schriftwerk von faschistischem Charakter denunziert. Vor kurzem wurde "Fitna" nun ins Netz gestellt – und zeigt mehrheitlich längst Bekanntes. Von Angela Schader

Im Rampenlicht der Medien: Hollands Rechtspopulist Geert Wilders; Foto: AP
Kalkulierte politische Provokation: Gegen Wilders' Anti-Koran-Film haben bereits Politiker aus der arabischen Welt und der EU Protest eingelegt.

​​Bis zuletzt wurde um Geert Wilders' "Fitna" gerätselt und gestritten. Kein öffentlicher Sender hatte sich bereit erklärt, den Film zu zeigen; die Website, auf der er ins Internet hätte gehen sollen, wurde am 22. März vom Provider suspendiert, ein britisches Internetportal imitierte den "Fitna"-Auftritt und gab die ganze Sache als Aprilscherz aus.

Seit letztem Donnerstag war der Film auf der Website www.liveleak.com für kurze Zeit einzusehen, bevor die Betreiber den Kurzfilm wegen Drohungen wieder vom Server nahmen – das Video ist allerdings bereits auf anderen Seiten des Internets verbreitet worden.

Mit Provokationen, die von Muslimen als offenes Sakrileg empfunden werden könnten, hält Wilders sich zurück. Am Anfang und am Schluss des Films wird die Mohammed-Karikatur mit dem (hier bedrohlich tickenden) Bomben-Turban gezeigt, die nach Todesdrohungen gegen den Zeichner erst jüngst wieder mehrfach abgedruckt wurde.

Und wenn zu Beginn der letzten Sequenz eine Hand sich anschickt, eine Seite aus dem Koran zu reissen, wird der Bildschirm schwarz – und es folgt die Information, dass zur Erzeugung des unterlegten Geräuschs lediglich eine Seite aus dem Telefonbuch habe dran glauben müssen.

Kleine Manipulationen

Der manipulative Umgang mit dem Koran ist denn auch subtiler als eine offen zerstörerische Geste. Selbstverständlich werden die im Zusammenhang mit Jihad und Intoleranz immer wieder zitierten Suren auch hier bemüht – wobei sich zumindest in zwei Fällen der Vergleich mit dem Originaltext lohnt. Beim 60. Vers der 8. Sure, der zur Mobilmachung gegen die Ungläubigen aufruft, um diese "in Schrecken zu setzen", steht im Arabischen das Verb "turhibuna".

Im Kontext der Entstehungszeit des Korans wäre die obige deutsche Übersetzung adäquat; die von Wilders bemühte englische Übertragung aber bläht das eine Wort ordentlich auf: "to strike terror – to strike terror into the hearts (of the enemy)".

Sure 4, Vers 56 malt in unerquicklicher Art die Höllenqualen der Ungläubigen aus: "Siehe, wer da Unsere Zeichen verleugnet, den werden Wir im Feuer brennen lassen. So oft ihre Haut gar ist, geben Wir ihnen eine andre Haut, damit sie die Strafe schmecken." Hier wurde die Großschreibung von "Wir" und "Uns" diskret unterschlagen – und damit wird das unmittelbar nach den Bildern versengter und zerfetzter Terroropfer eingeblendete Koranzitat quasi aus Gottes Mund in den Mund der Muslime gelegt.

​​Ein Detail? Nicht, wenn man die mehrfach an den Propheten ergangene Mahnung Gottes kennt: "Dir liegt nur die Predigt ob und Uns die Abrechnung" (Sure 13, Vers 40; ähnliche Formulierungen finden sich in Sure 3, Vers 20 und Sure 64, Vers 12).

Mit diesen Ausführungen soll das aggressive Potenzial, welches gerade vom Neuen Testament herkommende Leser im Koran verspüren, keineswegs ausgeblendet werden. Wo aber – wie es bei Wilders der Fall ist – nur gerade fünf Koranverse stellvertretend für den Geist des gesamten Textes angeführt werden, da fallen Nuancen ins Gewicht.

Doch differenzierter Umgang mit religiöser Materie scheint Wilders' Sache ohnehin nicht zu sein: Sonst hätte er in einem Interview mit dem "Spectator" nicht von "afghanischem oder sufistischem oder pakistanischem Gesetz" geschwatzt. Eine "sufistische" Justiz hat es allerdings nie gegeben; und es entbehrt nicht der Ironie, dass Wilders ausgerechnet den Sufismus – die offenste und ganz auf die spirituelle Dimension ausgerichtete Form des Islam – mit der verpönten Scharia unter ein Joch spannt.

Amüsant ist auch seine im selben Kontext geäußerte Überlegung: "Es wäre gut, wenn es einen neuen Koran gäbe, so wie das Neue Testament" – als hätten sich die Rabbiner, unzufrieden mit dem harten Duktus ihrer heiligen Schrift, einmal zusammengesetzt und den christlichen Erlöser aus dem Hut gezaubert.

Einäugig

Dementsprechend kann "Fitna" – das arabische Wort hat einen relativ weiten Bedeutungshorizont, der von "Zwietracht", "Dissens", "Bürgerkrieg" bis zu "Zauber", "Verführung" reicht – auch nicht als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Islam, sei es auf religiöser oder gesellschaftlicher Ebene, gelten.

Der Film, der für westliche Aufgeklärtheit plädieren möchte, nimmt sein Maß ziemlich exakt an propagandistischen Machwerken islamistischer Provenienz; und er wartet seinerseits lediglich mit der bekannten antiislamischen Polemik auf.

Da fehlt nichts – vom Hassprediger und seinem fanatisierten Publikum über Videosequenzen von Terroranschlägen, von der Enthauptung einer westlichen Geisel oder der Erschießung einer afghanischen Frau bis zur giftigen Polemik gegen die Juden oder zu einer Postkartenmontage, die hinter der Aufschrift "Gruß aus den Niederlanden" eine Assemblage von Moscheebauten zeigt.

Kontextualisierung und Differenzierung fehlen

Was hingegen fehlt (und was von Wilders auch nicht zu erwarten war), ist Kontextualisierung und Differenzierung. Kein Wort davon, dass die große Mehrheit der muslimischen Immigranten in Europa, deren wachsender Zustrom mit dräuenden Zahlen belegt wird, dem im Film beschworenen Verständnis ihrer Religion fern steht.

Im Hagel der Schlagzeilen, welche die "islamische Gefahr" verkünden, sucht man Gegenbeispiele selbstverständlich vergebens – etwa die Resultate der unlängst publizierten Gallup-Umfrage unter 50.000 Muslimen in 35 Ländern.

Laut dieser stehen westliche Werte wie Freiheit und Wohlstand in islamischen Ländern hoch im Kurs, gewaltsame Konfrontationen wie auch eine religiös geprägte Gesetzgebung werden dagegen mehrheitlich abgelehnt.

Wenn ein Transparent mit der Aufschrift "Freedom go to Hell" geschwenkt wird, dann verweist im Film nichts darauf, dass hier jene Ausdrucksfreiheit gemeint ist, welche die Publikation der Mohammed-Karikaturen ermöglichte, und dass auch zu überlegen wäre, ob verletzte religiöse Gefühle – die in einer säkularisierten Gesellschaft in diesem Maß natürlich nicht mehr nachvollziehbar sind – a priori als vernachlässigbare Werte abgetan werden sollten.

Und offenbar traut Wilders den niederländischen Muslimen – sechs Prozent der Gesamtbevölkerung – eine böswillige Übernahme seiner Heimat zu, wenn er im zweiten Teil des Films eine Zukunft der Niederlande im Zeichen des finstersten Islam beschwört.

Islam – oder Fundamentalismus?

Der Satz, der am Ende die Muslime dazu aufruft, "selbst die hasserfüllten Verse aus dem Koran zu reißen", hängt als hohle Formel in der Luft. Jeder Muslim, der moderate Ansichten vertritt, muss die voraufgegangene polemische Breitseite als schiere Negierung seiner eigenen Existenz empfinden; und nach diesem kurzen Appell an die Muslime wendet sich Wilders auch schon wieder an die westlichen Zuschauer, denen eingebläut wird, dass der Islam unsere Zivilisation "beherrschen, unterwerfen und zerstören" wolle.

Nach dem Sieg über den Nazismus (der freilich erst einmal in Europa wachsen musste) und über den Kommunismus (der freilich vorab an der eigenen Schwäche kollabierte) hätte Europa nun die "islamische Ideologie" aus dem Feld zu schlagen.

Ein Film, der die übelsten Auswüchse des islamischen Fundamentalismus und Extremismus zusammenkocht, kann jedoch nicht – wie es hier suggeriert wird – für "den Islam" schlechthin stehen. Er behandelt ein Phänomen, das, wie mittlerweile jeder informierte Leser weiss, jüngeren Datums ist und sich primär aus politischen und sozialen Missständen nährt: eine tiefe Frustration, die dann auf unselige Weise in eine tödlich bornierte und rückständige Lesart der religiösen Schriften umgewandelt wird.

Dass dieser Extremismus nach allen verfügbaren Kräften bekämpft werden muss, steht außer Frage. Ob dazu alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden dürfen: Diese Debatte – mit Ernsthaftigkeit und Anstand geführt – wäre es, durch die der Westen die Werte beweisen könnte, zu denen er sich bekennt.

Angela Schader

© Neue Zürcher Zeitung 2008 / Qantara.de 2008

Dieser Artikel wurde am 29. März 2008 in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht.

Qantara.de

Interview mit Lutz Rogler zum Film "Fitna"
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