Einwanderung nur für Eliten

Nach den Unruhen in Frankreich versprach die Regierung, perspektivlosen muslimischen Jugendlichen zu helfen. Doch bisher ist nichts geschehen. Stattdessen haben sich deren Integrationschancen weiter verschlechtert. Von Florian Wagner

Nach den Unruhen in Frankreichs Vorstädten versprach die Regierung Villepin etwas gegen die Perspektivlosigkeit muslimischer Jugendlicher zu unternehmen. Doch bisher ist nichts geschehen. Stattdessen haben sich deren Integrationschancen noch weiter verschlechtert. Von Florian Wagner

Innenminister Sarkozy im Gespräch mit Einwanderern im französischen Bobigny, Foto: AP
Für ein restriktives und selektives Einwanderungskonzept - Innenminister Sarkozy im Gespräch mit Einwanderern im französischen Bobigny

​​Es ist ein schwieriges Verhältnis: Frankreich und seine muslimischen Einwanderer. Zumindest hat man diesen Eindruck, wenn man die Medien verfolgt: ein mit allen Mitteln geführter Streit ums Kopftuch, Anschläge auf Synagogen und vor allem die Revolten nordafrikanischer Jugendlicher in den Banlieues.

Es scheint jedoch, als hätte die derzeitige Regierung in Paris die Integration der muslimischen Jugend ohnehin schon abgeschrieben. Denn der Vorschlag von Innenminister Sarkozy, die Vorstädte von diesen "Lumpen" mit Hilfe von Hochdruckreinigern zu befreien, ist offensichtlich keine Strategie, um die Probleme einer perspektivlosen Generation zu lösen.

Der Arbeitsminister steht seinem Kollegen aus dem Innenministerium in nichts nach, was allgemeine Ideenlosigkeit angeht, wenn er etwa die "muslimische Polygamie" für die Revolten in den Vorstädten verantwortlich macht.

Ratlosigkeit in Integrationsfragen

Premierminister de Villepin benutzte die Unruhen als Vorwand, im Ausnahmezustand neoliberale Reformen durchzusetzen, die angeblich die Arbeitslosigkeit bekämpfen sollen.

Zu den Maßnahmen gehörten unter anderem die Möglichkeit für die Arbeitgeber, Jugendliche unter 26 Jahren fristlos und ohne Angaben von Gründen entlassen zu können oder 15jährige in der Nachtarbeit zu beschäftigen. Gegen dieses Gesetzespaket gingen Millionen Franzosen auf die Straße, bei den sonst friedlichen Demonstrationen kam es zu Krawallen durch Jugendliche aus den Vorstädten.

Statt sich eingehender mit Integrationsfragen zu beschäftigen, versucht Sarkozy mit einer neuen, restriktiven Einwanderungsgesetzgebung für seine Bewerbung um das Präsidentenamt 2007 zu punkten. Sein Konzept einer "selektiven Arbeitseinwanderung" leitet eine neue Phase der Immigration des drittgrößten Einwanderungslandes Europas nach Deutschland und Großbritannien ein.

Der geregelten Arbeitseinwanderung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert folgte in Frankreich 1950-70 ein massiver Andrang von Arbeitern aus Tunesien und Marokko. Nach dem Ende der Arbeitseinwanderung 1974 blieben viele der ausländischen Arbeiter im Land und durch die folgende Familienzusammenführung stieg unter anderem die Zahl der in Frankreich lebenden Marokkaner zwischen 1975 und 1982 um 70 Prozent an.

Seit 1990 begann man mit der Einbürgerung der Familien, deren Kinder oft in Frankreich geboren wurden und somit die Staatsbürgerschaft des Landes automatisch bekamen. Heute leben nach Schätzungen rund fünf Millionen Muslime in Frankreich, rund 8,4 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Genaue Angaben gibt es aber nicht, da – gemäß des laizistischen Selbstverständnisses des französischen Staates – in Volkszählungen die Religion nicht statistisch erfasst werden darf. Diese Unsicherheit über die Anzahl der Muslime in Frankreich gibt rechten Demagogen wie Jean-Marie Le Pen die Möglichkeit mit übertriebenen Zahlen die Angst vor einer Islamisierung Frankreich zu schüren.

Konzept der selektiven Einwanderung

Sarkozy erklärt nun all diese bisherigen Phasen der Einwanderung für abgeschlossen und kehrt sozusagen zu den Wurzeln zurück, indem er erneut fehlende Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren will.

Dabei soll jedoch selektiv vorgegangen werden: in den Bereichen, in welchen hoch qualifizierte Arbeitskräfte fehlen, sollen ausländische Studenten mit überdurchschnittlichen Leistungen zugelassen werden.

Je nach Bedarf dürfen sie nach ihrem Studium im Land bleiben oder müssen in ihr Heimatland zurück. So sollen sie zur "Dynamik der französischen Wirtschaft" beitragen.

Die Folgen dieses Gesetzes werden deutlich, wenn man die Struktur der in Frankreich studierenden Ausländer näher betrachtet: mehr als die Hälfte stammen aus den ehemaligen Kolonien in Nord- und Westafrika und auch heute noch ist ihr Interesse groß, in Frankreich zu studieren.

Sie sind dazu nahezu perfekt ausgebildet, da sie frankophon aufgewachsen sind und oftmals auch ein französisches Abitur vorweisen können, so wie in Algier oder Casablanca. Europäische oder asiatische Studenten sind dagegen eher an den angelsächsischen Bildungssystemen interessiert und vor allem würden deren hoch qualifizierten Absolventen nicht in Frankreich studieren.

So würden also die besten Studenten aus Afrika für ein Studium in Frankreich begünstigt, durchschnittliche Studenten hätten dagegen keine Chance. So sieht der neue Gesetzesentwurf vor, dass Studenten ein Visum ohne besonderen Grund verweigert werden kann.

Die fatalen Folgen dieser "selektiven Einwanderung" für die Herkunftsländer sind altbekannt und werden in Fachkreisen als "Brain Drain" bezeichnet. Die Elite dieser Länder wird abgeschöpft und wandert nach Europa ab, wo sie studiert und arbeitet und somit den Herkunftsstaaten für immer verloren geht.

Der Präsident der Kommission der Afrikanischen Union, Alpha Oumar Konaré, beklagte sich, man würde mit dieser Art von Einwanderungsregelung "Afrika das Recht auf Entwicklung absprechen".

Stigma Herkunft

Davon abgesehen ist die Situation für Studenten aus Nord- und Westafrika, die größtenteils muslimisch sind, in Frankreich nicht allzu verlockend. Wie auch die französischen Muslime der früheren Arbeitsimmigration und Familienzusammenführung sind sie in Frankreich einer weit verbreiteten Diskriminierung ausgesetzt.

Das beginnt bei der Wohnungssuche, bei der man – von Franzosen in den meisten Fällen abgewiesen – nur über die bestehenden Parallelsysteme der muslimischen Einwanderer fündig werden kann.

So bewegt man sich seit seiner Ankunft schon in den von der restlichen Gesellschaft abgeschotteten Einwanderermilieus. Diese "Grüppchenbildung" ist wiederum einer der meistgenannten Gründe der französischen Arbeitgeber, keine Muslime einzustellen.

Ähnlich oft müssen muslimische Studenten, die erfolglos einen Nebenjob suchen, sich anhören, dass die Kunden eines Unternehmens Vorbehalte gegen sie hätten und man sie deshalb nicht einstellen könne.

In immer mehr Fällen findet man allerdings dadurch eine Lösung, dass Muslime ihren Namen ändern, so dass er original französisch klingt, und sie höchstens in Telefonkontakt mit den Kunden treten lässt. Denn ihr französisch ist ja mindestens so gut wie das eines nichtmuslimischen Franzosen.

Diejenigen hoch qualifizierten Studenten, die zukünftig aus den ehemaligen Kolonien kommen dürfen, um in Frankreich zu studieren, können an französischen Universitäten auch noch einiges lernen. Per Gesetz wurde nämlich den dortigen Dozenten, wie auch den Lehrern im normalen Schulbetrieb, verordnet, die "positive Rolle der französischen Präsenz in den ehemaligen Kolonien, vor allem in Nordafrika" zu übermitteln.

Den Aufschrei der Öffentlichkeit gegen diese offizielle Doktrin, vor allem der Universitätsprofessoren, beantwortete Staatspräsident Jacques Chirac mit der Einführung eines Gedenktages an die Sklaverei. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit der französischen Armee im Krieg gegen die Unabhängigkeit Algeriens blieben dabei unerwähnt.

Florian Wagner

© Qantara.de 2006

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