Gegen das versteinerte Regime: Große Not und große Wut in Algeriens Vorstädten

Der Unmut hat sich lange aufgestaut bei der jungen Generation in Algerien. Der 28-jährige Nasredine muss nicht lange überlegen, warum er an den Massenprotesten gegen die Führung des Landes teilnimmt. Mit 40 Familienmitgliedern teilt er sich eine Drei-Zimmer-Wohnung in einer tristen Vorstadt von Algier. "Wir schlafen wie im Gefängnis, einer neben dem anderen", sagt er. Mit Gelegenheitsjobs hält er sich über Wasser, von den Behörden fühlt er sich gegängelt. "Wir haben genug", sagt Nasredine.

Mit diesem Gefühl ist er nicht allein. Zehntausende gehen derzeit gegen die Regierung auf die Straße, Nasredine ist einer von ihnen. Ihre Wut nährt sich aus den vielen Missständen, denen die Algerier Tag für Tag begegnen: Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Behördenfilz, Chancenlosigkeit.

"Gegen das System und gegen die Ungerechtigkeit" will er protestieren, sagt Nasredine. Mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft liest er die Kundgebungsaufrufe in den sozialen Medien - und fühlt sich angesprochen. Wenn sie dann gemeinsam zu den Protesten gehen, packen sie Wasser und Essig ein gegen die schmerzhaften Folgen des Tränengases.

Die jungen Männer in Nasredines Freundeskreis führen ein Leben in engen Grenzen. Sie wohnen in einem Viertel, das vor 22 Jahren am Rande der Hauptstadt hochgezogen wurde - seelenloser Sozialwohnungsbau mit engen Zimmern und Graffiti an den Wänden. Für die Erwachsenen gibt es kaum Jobs. Und für Kinder und Jugendliche gibt es keine Freizeitangebote. Dabei ist die Hälfte von Algeriens Bevölkerung unter 30 Jahren alt.

Auch der 23-jährige Amine lebt hier. Er ist gelernter Schweißer und seit vier Jahren arbeitslos. "Nur wenn das Regime komplett zusammenbricht, könnte ich etwas Hoffnung haben und vielleicht bleiben", sagt er. Ansonsten werde er bei erster Gelegenheit versuchen, übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen. "In Algerien gibt es keine Zukunft", resümiert er.

"Wir sind gegen das System", stellt Nasredines Freund Youssef klar. Der 34-Jährige hat eine Frau und zwei Kinder, mit denen er sich ein einziges Zimmer einer Vier-Zimmer-Wohnung teilt. Die anderen Räume beherbergen insgesamt 16 weitere Familienmitglieder. Immerhin hat Youssef nach Jahren der Arbeitslosigkeit wieder einen Job, er arbeitet nun als Wachmann.

Am meisten ärgert er sich, wenn er die politischen Anführer das Landes sagen hört, "dass das Volk glücklich ist und dass es will, dass Bouteflika bleibt". Dabei sei hier keiner glücklich mit dem seit fast 20 Jahren herrschenden Präsidenten Abdelaziz Bouteflika, sagt Youssef. Nasredine und die anderen Freunde stimmen sofort zu.

Nasredine erzählt, wie er ohne festen Job über die Runden kommt. Er verdingt sich als so genannter "Parkingueur" in der Innenstadt. Das sind junge Männer, die ein Stückchen Straßenrand besetzen, dieses dann gegen ein paar Münzen als Parkplatz an Autofahrer abgeben und das abgestellte Auto bewachen. Viele junge Männer machen das in Algier. Legal ist es allerdings nicht.

Nasredine hat deshalb insgesamt schon acht Monate im Gefängnis verbracht. Sein Fazit des Lebens in Algerien fällt bitter aus: "Wenn du deine Meinung sagst, kommst du ins Gefängnis. Und wenn man mit kleinen Jobs über die Runden kommen will, dann kommt man ebenfalls ins Gefängnis." (AFP)