Unerwartete Renaissance

Die Arabische Liga handelt erstaunlich entschlossen gegenüber dem reformunwilligen Assad-Regime – eine Reaktion auf die epochalen Umwälzungen und die regionalen Machtverschiebungen in der arabischen Welt. Eine Analyse von Loay Mudhoon

Von Loay Mudhoon

Jahrzehntelang galt die Arabische Liga als machtloser Staatenbund, als marode Organisation ohne erkennbare Strukturen und ohne jede politische Bedeutung. International wirkte dieser "arabische Papiertiger" oftmals wie eine Lachnummer.

Für viele arabische Beobachter und Demokratie-Aktivisten verkörperte sie deshalb die "arabische Malaise", die vor allem durch den politischen Stillstand und die Ohnmacht der Menschen auf der Straße zum Ausdruck kam. Doch die historischen Umwälzungen des arabischen Frühlings scheinen die Institution von ihrer selbstverschuldeten Passivität und Unmündigkeit befreit zu haben.

Libyen-Intervention als Wendepunkt

Leerer Stuhl Syrines beim Treffen der Arabischen Liga in Rabat; Foto: dapd
Demonstrative Geste des Protests: Das Regime von Präsident Baschar al-Assad nahm am Treffen der Arabischen Liga am 16. November in Rabat nicht teil. Die Arabische Liga hatte Syrien ein Drei-Tages-Ultimatum für die Beendigung gewaltsamer Angriffe auf Oppositionelle gesetzt.

​​Das überraschende Engagement der Arabischen Liga begann im März dieses Jahres inmitten des Libyen-Konflikts, als sie zum ersten Mal in ihrer 66-jährigen Geschichte einer Intervention von außen zustimmte.

Als sie forderte, eine Flugverbotszone über dem Land einzurichten, hatte sie den NATO-Einsatz innerhalb der arabischen Welt legitimiert – und sich damit vom Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer arabischer Staaten verabschiedet. Dieser Wendepunkt ist bemerkenswert. Er geht in erster Linie auf die regionalen Machtverschiebungen durch die Revolutionswelle zurück, aber auch darauf, dass die arabischen Völker als Machtfaktor auf die politische Bühne zurückgekehrt sind.

Denn die öffentliche Meinung ist aus politischen Entscheidungsprozessen in der postrevolutionären arabischen Welt kaum mehr wegzudenken, seit Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten gestürzt worden sind und seit der Fernsehsenders Al-Jazeera aus Qatar zum Sprachrohr der arabischen Revolutionen aufgestiegen ist – wenn auch mit einer Ausnahme: Den Volksaufstand in Bahrain hatte der Sender als "Unruhen mit konfessionellem Hintergrund" heruntergespielt.

Entschlossen gegen das Assad-Regime

Baschar Assad trifft König Abdullah in Damaskus; Foto: AP
"Die Machteliten um König Abdullah rechnen fest damit, dass Syrien nach Assad von sunnitischen Kräften dominiert sein wird, die dem 'sunnitischen Herzland des Islam' näher stehen als dem schiitischen Gottesstatt", schreibt Mudhoon.

​​Das Gaddafi-Regime in Libyen war den meisten Mitgliedern der Liga verhasst und es war regional weitgehend isoliert. Der Fall Syrien liegt anders: Das Land gehört historisch und kulturell zu den arabischen Kernstaaten und zur Wiege des arabischen Nationalismus.

Und das Assad-Regime hat es verstanden, sich bei der Bevölkerung als vermeintlicher Verteidiger arabischer Interessen gegen den hegemonialen Einfluss des Westens zu inszenieren. Zudem pflegt Syrien eine strategische Allianz mit dem Iran und der Hisbollah im Libanon – mächtige Verbündete in der Region.

Vor diesem Hintergrund muss die Entscheidung der Arabischen Liga bewertet werden, Syrien aus der Organisation auszuschließen, da es sich nicht an den vereinbarten Vermittlungsplan hält. Das hat eine völlig andere Qualität als das Votum gegen Libyen.

Qatar und Saudi-Arabien als treibende Kräfte

Dieses ungewöhnliche Engagement der Arabischen Liga hat jedoch weder mit einer etwaigen Demokratie-Begeisterung der momentan tonangebenden Staaten zu tun, noch mit Sympathie für die syrischen Aufständischen. Schließlich unterdrücken fast alle Mitgliedsländer der Liga friedliche Proteste und lehnen grundlegende demokratische Reformen in ihren Staaten ab.

Außerdem entsandten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Mitte März ihre Sicherheitskräfte nach Bahrain, wo sie der Regierung wunschgemäß dabei halfen, die Proteste gegen das sunnitische Herrscherhaus niederzuschlagen.

Saudische Truppen in Bahrain; Foto: dpa
Schützenhilfe für Bahrains König Hamad bin Issa al-Chalifa: Im vergangenen März waren 1.000 Soldaten aus Saudi-Arabien nach Bahrain einmarschiert, um die Protestbewegung in dem Golfstaat niederzuschlagen.

​​Die reichen "Petro-Monarchien" Saudi-Arabien und Qatar möchten die Chance des Umbruchs in ihrem Sinne nutzen: Die Herrscherfamilie in Doha will ihr Mini-Emirat endgültig als Regionalmacht etablieren; dazu nutzt sie ihre geschickte Scheckbuchdiplomatie und den TV-Sender Al-Jazeera als mediales Soft-Power-Instrument.

Die Strategen in Riad wiederum wittern eine andere historische Chance: Nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak ist der Einfluss des Iran gewachsen – durch einen Abtritt eines seiner Verbündeten, Syriens Baschar al-Assad, könnte die Macht Teherans wieder zurückgedrängt werden. Die Machteliten um König Abdullah rechnen im Augenblick fest damit, dass Syrien nach Assad von sunnitischen Kräften dominiert sein wird, die dem "sunnitischen Herzland des Islam" näher stehen als dem schiitischen Gottesstatt.

Auch die schiitische Hisbollah im Libanon, "Irans trojanisches Pferd in der arabischen Welt", wäre ohne das Assad-Regime nicht mehr als eine berechenbare Größe. Bestärkt wird dieser Kurs der Liga auch dadurch, dass die Hamas-Bewegung, ein palästinensischer Ableger der sunnitischen Muslimbrüder in Ägypten, sich weigert, die brutale Niederschlagung der Proteste gegen Assad zu unterstützen.

Es sind aber nicht nur die offensichtlichen Ängste arabischer Golfmonarchien vor iranischer Vorherrschaft, die die Arabische Liga zu ihrer Interventionspolitik zwingen. Es ist auch die momentane Schwäche des Westens: Der spielt zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg keine nennenswerte Rolle dabei, die neuen Verhältnisse im Mittleren Osten zu gestalten. Das dürfte die Arabische Liga in ihrem neuen Kurs bestätigen.

Loay Mudhoon

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de