Europawahl: Breite Gegenwehr gegen «neue Ära» der Rechten

Der italienische Rechtspopulist Salvini hatte geladen - und blies mit seinen Verbündeten vor der Europawahl zum Aufbruch. Doch nicht nur Kanzlerin Merkel stellt sich dem neuen Nationalismus entgegen. Von Verena Schmitt-Roschmann, Annette Reuther und Gregor Mayer

Es war wie ein Fernduell: Während Europas Rechtspopulisten und Nationalisten am Wochenende in Mailand eine «neue Ära» beschworen, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel wenige Tage vor der Europawahl entschiedene Gegenwehr an. «Der Nationalismus ist der Feind des europäischen Projekts», sagte Merkel in Zagreb. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte daran, wie sehr Europa gerade Deutschland nütze. Für Sonntag organisierten EU-Freunde in Dutzenden Städten Demonstrationen gegen Rechts.

Bei der am Donnerstag beginnenden Europawahl erwarten Rechtspopulisten Zugewinne. Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini bereitet die Gründung einer rechten «Superfraktion» im neuen Europaparlament vor. Er feierte den Schulterschluss mit Partnern wie der Alternative für Deutschland, der französischen Nationalistin Marine Le Pen und dem niederländischen Islamgegner Geert Wilders am Samstag bei einer Großkundgebung in Mailand.

Die österreichische FPÖ ist ebenfalls mit an Bord, ist jedoch wegen des Skandals um ihren langjährigen Parteichef Heinz-Christian Strache in eine schwere Krise gestürzt. Strache musste wegen eines belastenden Videos von allen Ämtern zurücktreten und seine Koalition mit dem konservativen Kanzler Sebastian Kurz zerbrach - ein schwerer Rückschlag auch für die europäische Rechtsallianz. AfD-Chef Jörg Meuthen sagte in Mailand aber, die FPÖ bleibe trotzdem enger Partner.

Wie Meuthen sprachen auch Le Pen und Salvini von einer anstehenden Zeitenwende. Es sei der «historische Moment», den Kontinent von der «Besatzung» durch Brüssel zu befreien, rief Salvini Tausenden begeisterten Anhängern auf dem Domplatz zu. Redner kritisierten Brüsseler Bürokraten, Eliten, Migration und Islam.

Salvini stritt ab, radikal oder rassistisch zu sein, sprach von «Liebe» und «Lächeln» und präsentierte sich nach dem Motto «David gegen Goliath» als Anwalt der kleinen Leute. Bei seinen Anhängern weckt der 46-Jährige Begeisterung. In der Fahnen schwenkenden Masse in Mailand sagte die 68-jährige Francesca Fiorentina: «Matteo sagt genau das, was ich denke.» Und fast dieselben Worte äußerte eine 54-jährige Frau, die nur ihren Vornamen Anna nennen wollte: «Matteo denkt genauso wie ich. Das, was ich im Kopf habe, spricht er aus.»

Erklärtes Ziel der rechten Europäischen Allianz der Völker und Nationen ist es, eine engere Zusammenarbeit auf EU-Ebene zu stoppen, Nationalstaaten zu stärken und eine «Festung Europa» zu schaffen. Im Detail ist das Zweckbündnis aber uneins. Ihm wurden in Umfragen zuletzt 72 von 751 Mandaten zugetraut. Weitere Parteien könnten sich anschließen. Doch rund drei Viertel der Abgeordneten werden Projektionen zufolge auch künftig EU-freundlich ausgerichtet sein.

Und sie wollen mit den Nationalisten nicht zusammenarbeiten. Auch die Europäische Volkspartei, zu der CDU und CSU gehören, pocht auf Abgrenzung. «Ich werde gegen die Nationalisten und Populisten kämpfen», sagte der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber bei einem Wahlkampfauftritt mit Kanzlerin Merkel in Zagreb. Er warnte vor Salvini, Le Pen und Co. «Sie wollen zerstören, was wir in Europa aufgebaut haben.» Zur EVP gehört allerdings auch die österreichische Kanzlerpartei ÖVP, die die FPÖ in die Regierung geholt hatte.

Merkel betonte, Patriotismus sei mit dem Bau eines gemeinsamen Europas nicht unvereinbar. «Manfred Weber kann deshalb ein starker Europäer sein, weil er seine Heimat liebt und zugleich versteht, dass jeder Andere in der EU seine Heimat liebt», sagte sie.

Die Grünen sehen Anzeichen, dass der Aufschwung des Rechtspopulismus abflaut. Noch vor einem Dreivierteljahr sei die politische Sprache von Angstmacherei bestimmt gewesen, sagte Parteichef Robert Habeck am Samstag in Berlin. «Der Populismus hatte sich eingeschlichen bis in die tiefsten, tiefsten Nischen der eigentlich demokratischen, bürgerlichen Parteien.» Doch zivilgesellschaftliche Kräfte wie die «Fridays-for-Future»-Bewegung seien Hinweise, dass sich die Stimmung ändere.

Bundespräsident Steinmeier erinnerte im Deutschlandfunk daran, dass die Bundesrepublik über Europa ein anerkanntes Mitglied der Staatengemeinschaft geworden sei. Wohlstand, Wachstum und Arbeitsplätze seien auch dem Binnenmarkt zu verdanken und mit Europa herrsche seit 70 Jahren Frieden «auf einem Kontinent, der 300 Jahre Krieg und Bürgerkrieg mit Millionen von Opfern erlebt» habe.

Für Sonntag organisierten Organisationen wie Campact oder die Naturfreunde unter dem Motto «Ein Europa für Alle - Deine Stimme gegen Nationalismus» Großdemonstrationen - nach eigenen Angaben in rund 50 europäischen Städten, darunter Berlin. (dpa)