Bescheidenheit auf ganzer Linie

Die Hoffnungen sind verflogen, die Ziele zurückgesteckt: die Bilanz der zehnjährigen euro-mediterranen Partnerschaft fällt dürftig aus. Der Jubiläumsveranstaltung in Barcelona waren sogar die arabischen Regierungschefs ferngeblieben. Von Peter Philipp

Die Hoffnungen sind verflogen, die Ziele zurückgesteckt: die Bilanz der zehnjährigen euro-mediterranen Partnerschaft fällt dürftig aus. Der Jubiläumsveranstaltung in Barcelona waren sogar die arabischen Regierungschefs ferngeblieben. Peter Philipp mit einem Überblick

Mann vor einer Wand, auf der die Ziele der euro-mediterranen Partnerschaft angeschrieben sind; Foto: AP
Angestrebt war eine euro-mediterrane Partnerschaft, nun wird nur noch von Nachbarschaft gesprochen

​​Schon allein sprachlich ist erkennbar, dass der Barcelona-Prozess zehn Jahre nach seinem Beginn viel von dem verloren hat, was ihn einst zum Motor einer produktiven Zusammenarbeit der Mittelmeeranrainer machen sollte.

So war 1995 von einer angestrebten "Partnerschaft" die Rede, heute spricht man nur noch von "Nachbarn". Und von vielen Träumen der Gründungstage scheint heute nur sehr wenig übrig geblieben zu sein. Es bedurfte nicht erst der Jubiläumsveranstaltung von Barcelona, um zu demonstrieren, dass man zehn Jahre nach dem Beginn des Prozesses doch gewaltig zurückgesteckt hat.

Die Zeiten haben sich natürlich auch geändert: 1995 glaubte man nicht nur in Europa noch, dass der Nahe Osten am Beginn einer neuen und – vor allem – friedlichen Phase stehe:

Vier Jahre zuvor war eine Nahostfriedenskonferenz in Madrid zwar noch ergebnislos geblieben, dann aber hatten sich Israelis und Palästinenser 1993 in Oslo auf eine Friedensstrategie geeinigt, und ein Jahr später hatte Jordanien einen Friedensvertrag mit Israel unterschrieben. Europa konnte und wollte sich an diesen Bemühungen beteiligen.

Zehn Jahre später spricht man aber nicht mehr von Oslo, sucht man zwischen Israelis und Palästinensern nach einem diplomatischen Neubeginn, haben aber auch der 11. September, die Anschläge von Madrid und London und natürlich auch der Irakkrieg neue Verhältnisse geschaffen, neue Ängste und neues Misstrauen gesät und neue Hürden aufgebaut.

Das hat unter anderem verhindert, dass Europäer und die benachbarten Mittelmeeranrainer sich "auf gleicher Augenhöhe treffen" – wie das zunächst geplant war. Der Barcelona-Prozess wird von den Europäern eher als ein Unternehmen der Entwicklungshilfe behandelt, in dessen Rahmen ein weites Spektrum von Fragen fällt – von Wassergewinnung über Müllentsorgung bis hin zu Bildung, Erziehung, "good governance" und Demokratie.

Eigentliche Ziele gingen verloren

Und von der arabischen "Gegenseite" wird der Prozess als Vehikel der Annäherung an Europa verstanden. Nicht wie in Osteuropa mit dem Ziel des Beitritts – dieser steht von Anfang an außer Frage –, sondern mit dem Ziel besserer Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit Europa.

Brüssel "belohnt" politisches Wohlverhalten mit entsprechenden Verträgen. Dabei gehen aber meistens die eigentlichen Ziele verloren. So musste der UN-Bericht über die menschliche Entwicklung in der arabischen Welt ja auch dieses Jahr erneut feststellen, dass mangelnder Fortschritt dort in erster Linie daran liege, dass die arabische Welt weiterhin von undemokratischen und repressiven Regimen beherrscht werde.

Europa hat daran ebenso wenig etwas ändern können wie die USA, mit denen man sich in einem gewissen Konkurrenzkampf um die Gunst der arabischen Staaten befindet. Wenn es erste Ansätze zu mehr Demokratie gab in den letzten Jahren, dann meist auf Druck Washingtons hin. Und immer – wie der Fall Ägyptens zeigt – ohne wahre und grundlegende Veränderungen vor Ort.

Die Europäer sind dabei in dieselbe Falle getappt wie die Amerikaner: Spätestens seit dem 11. September nehmen sie hin, dass es in den meisten arabischen Ländern eben nicht Regime nach ihren Vorstellungen gibt. Und sie trösten sich darüber hinweg mit der – keineswegs belegbaren – Behauptung, die Alternative zu diesen wären islamistische Regime, und das wäre ja noch viel schlimmer.

Keine Demokratie, kein Frieden für die arabische Welt

Bescheiden geworden ist man auch angesichts der eigenen Machtlosigkeit gegenüber dem Nahostkonflikt, der weiterhin die arabischen "Partner" des Barcelona-Prozesses antreibt: Die EU ist zwar Mitglied des "Nahost-Quartetts", sie zahlt für Friedensprojekte und beteiligt sich neuerdings auch vor Ort – bei der Überwachung des Grenzübergangs von Rafah.

Aber es ist ihr nicht gelungen, einen mediterranen Konsens über die Notwendigkeit eines Friedens herbeizuführen. Erst recht nicht natürlich in der Frage des Terrorismus: Die Europäer sind zwar stolz darauf, in Barcelona eine Anti-Terrorismus-Erklärung verabschiedet zu haben, aber jeder weiß doch auch, wie wenig diese wert ist: Weil jeder etwas anderes unter "Terrorismus" versteht.

Demokratie hat man der arabischen Welt nicht bringen können, Frieden auch nicht. Weiter wollte man mit Barcelona Stabilität und Sicherheit herbeiführen. Sicherheit vor wem? Gegen wen? Sicherheit vor Terroristen kann das nicht gewesen sein, denn die wird nicht mit zwischenstaatlichen Verträgen geschaffen.

Also vielleicht doch nur die "Sicherheit" vor verstärktem Zuzug aus den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten nach Europa? Wollte die "Festung Europa" das Vorfeld pflegen und sich wohl gesonnen machen? Die Szenen vom europäischen Grenzzaun in Marokko sprechen eine andere Sprache …

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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