Islamwissenschaftler Erdal Toprakyaran: Aleviten brauchen theologisches Seminar

Der Tübinger Islamwissenschaftler Erdal Toprakyaran hat sich für alevitisch-theologische Seminare an deutschen Universitäten ausgesprochen. Die bundesweit sieben Zentren für Islamische Theologie bildeten de facto nur den sunnitischen Zweig des Islam in Deutschland ab, sagte er am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Rande einer Tagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

"Die rund 40 Professoren und Dozenten vertreten fast alle den sunnitischen Islam. Doch eine große Glaubensrichtung wie die Aleviten braucht ebenfalls eine akademische Heimat in Deutschland", so der Professor für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen.

Derzeit gebe es bereits Gespräche mit dem Rektorat der baden-württembergischen Universität. Dort zeige man sich offen für eine Berücksichtigung alevitischer Theologie, sagte Toprakyaran. Allerdings bestehe das Problem auch darin, dass sich die Aleviten untereinander nicht einig seien. Denn eine starke Strömung innerhalb der alevitischen Gemeinschaft empfinde sich gar nicht als Muslime. Diese inneralevitische Frage müsse zunächst geklärt werden. Aus seiner Sicht sind Aleviten ein Bestandteil der vielen Facetten des Islam.

Die alevitische Glaubensgemeinschaft entwickelte sich im 13. und 14. Jahrhundert in Anatolien aus dem schiitischen Zweig des Islam. Ihr Name verweist auf Ali, den Vetter Mohammeds und vierten Kalifen, den sie tief verehren. Die rituelle Gottesverehrung des Mehrheitsislam lehnen die Aleviten ab. Vorschriften der Scharia und die fünf Säulen des Islam - etwa die täglichen Pflichtgebete oder das Fasten im Ramadan - sowie die strenge Geschlechtertrennung und andere Aspekte der Scharia spielen für sie keine Rolle. Den Koran legen Aleviten nicht wortwörtlich aus.

Wegen ihrer Abweichung vom orthodoxen Islam waren Aleviten in der Türkei immer wieder schwerer Verfolgung ausgesetzt. Bis heute werden sie dort staatlich diskriminiert, etwa beim Religionsunterricht. In Deutschland leben nach Schätzungen 500.000 bis 800.000 Aleviten.

Die Tagung in der Stuttgarter katholischen Akademie stand unter dem Motto "Aleviten in Deutschland - Gesellschaft gemeinsam gestalten". Organisiert worden war sie in Zusammenarbeit mit der Stiftung Weltethos und dem Verband Alevitische Gemeinde Deutschland, der rund 160 Ortsgemeinden bundesweit vertritt. (KNA)