Corona-Pandemie: Warten auf das Aufatmen im Heiligen Land

Selbst langjährige Kenner würden, dürften sie denn in Corona-Tagen das Heilige Land bereisen, staunen: Ausgerechnet zu Ostern liegen das öffentliche und religiöse Leben lahm. Staus gibt es allenfalls an Straßensperren. Und die einzigen Warteschlangen – für die orientalische Kultur noch dazu ungewöhnlich diszipliniert – bilden sich vor Supermärkten und Apotheken.

Der Kenner wird sein Staunen jedoch aus der Ferne genießen müssen. Nach Israel und ins Heilige Land kommt derzeit keiner, der nicht hier lebt, und letztere dürfen ihre eigenen vier Wände nur in dringenden Fällen verlassen. Regierung und Behörden waren schnell mit der Abriegelung nach außen und den Einschränkungen nach innen, schneller als viele anderen, nur nicht überall gleich systematisch.

Jene Minderheiten, die auch im normalen Politikalltag des fragmentierten Landes übersehen oder vernachlässigt werden, standen auch bei Covid-19 nicht im Fokus. Ein Fehler, den Israel mit rasch steigenden Infektionsraten vor allem im ultraorthodox-jüdischen Milieu bezahlt. Aufklärung über das neuartige Virus, Hygiene- und Schutzmaßnahmen sowie behördliche Restriktionen kamen mit teils erheblicher Verspätung in manchen Milieus an. Jerusalem reagierte mit noch mehr Abriegelung. Eine der am schlimmsten betroffenen ultraorthodoxen Städte wurde komplett abgeriegelt. Für weitere Corona-Hotspots wurden ähnliche Maßnahmen angedroht. Noch liegt das Land mit seinen Infektionszahlen deutlich hinter vielen europäischen Ländern, die Sterberate gehört zu den niedrigsten weltweit.

In diese unwirkliche Zeit massiver Einschränkungen fallen das höchste christliche Fest Ostern und das in der jüdischen Tradition nicht wesentlich weniger wichtige, an diesem Mittwoch beginnende Pessachfest sowie der Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan. In Pandemie-Zeiten sind Feste ein zusätzliches Risiko. So werden die Behörden zusätzlich zum allgemeinen Verbot öffentlicher Gottesdienste und zur Schließung von Gotteshäusern für den Auftakt des Pessachfests eine allgemeine Ausgangssperre verhängen.

Pessach, der Tag, an dem jüdische Familien ihre Mitglieder aus allen Teilen des Landes um einen Tisch versammeln, soll in diesem Jahr mit der Kernfamilie, im Notfall eben allein, gefeiert werden. Öffentliches Fastenbrechen ist für Muslime in unwirkliche Ferne gerückt. Zweitrangig sind für die Konfessionen der Grabeskirche und die Kirchen ganz allgemein gegenüber dem Staat auf einmal die sonst kontrovers diskutierten Fragen des Status Quo. Nicht das "wer, wie, wann" der liturgischen Feiern ist gegenwärtig Thema. Das "ob" steht in Frage. Für zentrale Feiern der heiligen Woche ist bereits jetzt klar, dass sie ausfallen.

Im Judentum mehren sich selbst in streng orthodoxen Kreisen Stimmen für eine Corona-bedingte Lockerungen des Religionsgesetzes, oftmals begründet mit dem Prinzip des "Pikuach Nefesch", der jüdischen Pflicht zur Rettung gefährdeten Lebens. Telefone sollen am Schabbat jetzt angeschaltet bleiben, wies der sephardische Oberrabbiner des Landes, Jitzchak Josef, seine Gläubigen an. Eine Videozuschaltung zwischen den in Quarantäne befindlichen Famiienmitgliedern zum Sedermahl, die einige strengreligiöse Rabbiner für zulässig hielten, ging dem Oberrabbinat hingegen zu weit.

Weil die Christen nicht zur (ohnehin abgesagten) Palmprozession am zurückliegenden Sonntag kommen konnten, wurden die gesegneten Palmzweige in Körben von Ordensleuten und Geistlichen in die Häuser der Gläubigen gebracht. Statt ausgelassenen Feiern im Innenhof der Annakirche in Jerusalems Altstadt segnete der oberste Katholik im Heiligen Land, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa OFM, Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, vom Außengelände der Dominus-Flevit-Kapelle am Ölberg mit einer Kreuzreliquie die Stadt und die Welt. Statt der in der Vergangenheit üblichen Pilgermassen an diesem Ort, an dem Jesus, wie der Evangelist Lukas berichtet, über das Unverständnis der Menschen seiner Zeit weinte und die Zerstörung Jerusalems voraussagte, ein einzigartiger "Urbi et Orbi"-Segen vom Ölberg.

Beunruhigend still ist es unterdessen in der politischen Krise Israels geworden. Unmittelbar nach den dritten vorgezogenen Neuwahlen binnen eines Jahres am 2. März nahm der Anti-Corona-Kampf von Premier Benjamin Netanjahu (Likud) drastisch an Fahrt auf. Herausforderer Benny Gantz (blau-weißes Parteienbündnis), der angetreten war, um den seit 2009 wieder amtierenden und mit Korruptionsvorwürfen belasteten Likud-Chef abzulösen, wurde von Staatspräsident Reuven Rivlin mit der Regierungsbildung beauftragt. Äußerten viele Israelis zunächst noch Sorge und Angst um die Demokratie im Land angesichts der weitreichenden Eingriffe in die persönlichen Freiheiten, Cyberverfolgung oder etwa der Unterbrechung des Parlamentsbetriebs, indem sie trotz strikten Einschränkungen mit langen Autokonvois oder in den sozialen Netzwerken demonstrierten, so scheint Covid-19 inzwischen die Oberhand über die Bedenken behalten zu haben.

Augenscheinlicher Profiteur der Pandemie bleibt Netanjahu. Inzwischen soll Gantz sich auf eine Corona-Notstandsregierung geeinigt haben – vorerst mit seinem Erzrivalen Netanjahu an der Spitze. Der präsentiert sich in regelmäßigen Abständen und zur besten Sendezeit als Retter der Nation. Kaum ein Land stehe vis-a-vis Corona so gut da wie Israel, so der beruhigende Teil seiner Botschaft. Ein Lockern der eisernen Hand in der Corona-Krise mit bisher mehr als 9.000 Infizierten und rund 60 Todesfällen unter den gut 8,8 Millionen Einwohnern, so der jeweils zweite Teil der Botschaft, wäre jedoch zu gefährlich im Kampf um Leben und Tod. (KNA)