Integrationsforscher Uslucan: Vorgang um Hagia Sophia irrational

Der Integrationsforscher Haci-Halil Uslucan hält die geplante Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul von einem Museum in eine Moschee für rational nicht nachvollziehbar. Das Paradoxe am Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei sei, dass es keinerlei Bedarf an mehr Gebetsraum für Muslime in Istanbul gebe, sagte der Professor und Wissenschaftliche Leiter am Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen: «Die Blaue Moschee schräg gegenüber ist noch nicht einmal gefüllt.»

Möglich sei zudem ein wirtschaftlicher Schaden durch den Rückgang des Städtetourismus, denn die Hagia Sophia trage als Sehenswürdigkeit zur Attraktivität Istanbuls wesentlich bei und sei eine große Einnahmequelle. Uslucan: «Wirtschaftlich betrachtet ist das ein Schuss ins Knie.» Die Hagia Sophia wurde als «Kirche der göttlichen Weisheit» im Jahr 537 geweiht und war fast ein Jahrtausend lang die christliche Hauptkirche Konstantinopels. Als die Osmanen 1453 die Stadt eroberten, wurde sie zur Moschee umfunktioniert. 1935 wurde sie in ein Museum umgewandelt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe vor noch nicht einmal einem Jahr vor seinen Anhängern erklärt, die Umwandlung der Hagia Sophia zu einer Moschee sei nicht notwendig, erst einmal sollten sich die anderen Moscheen mit Gläubigen füllen, so Uslucan. Der Vorschlag sei in der Vergangenheit daher immer wieder verworfen worden. Vielleicht wolle Erdogan mit diesem Gesinnungswandel ein Stück weit von anderen, weniger erfolgreichen Aktivitäten ablenken.

Man könne daher nur über innen- sowie außenpolitische Gründe für dieses Vorhaben spekulieren, fügte der Wissenschaftler hinzu. Innenpolitisch hätten Erdogan und seine AKP-Partei den Nationalisten Zugeständnisse machen wollen, indem man europäisch-christliche, nicht-islamische Kultur zurückdrängt. Zudem habe man dem sozialdemokratischen Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, und auch den Laizisten zeigen wollen, wer im Land das Sagen hat. Außenpolitisch habe man gegenüber dem Westen Stärke zeigen wollen.

Uslucan äußerte sich skeptisch zu politischen Reaktionen gegen die Türkei wegen dem Vorgang um die Hagia Sophia. Der Vorschlag, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden, laufe ins Leere. «Die EU spielt im Bewusstsein der Türkei seit langem, etwa seit 2005, keine Rolle mehr, das ist keine Drohung», so der Türkei-Experte.

Man müsse vielmehr deutlich machen, dass Objekte wie die Hagia Sophia zum Welterbe und somit der ganzen Menschheit gehören. Uslucan: «Das muss man gegenüber der Türkei nochmal unterstreichen.» Hier könne es nicht um Territorialansprüche gehen. Es wäre auch absurd, wenn «Ägypten seine Pyramiden abbauen würde, weil diese aus vorislamischer Zeit stammen», erklärte Uslucan. (epd)