Massive Online-Proteste nach Todesurteilen im Iran - Zeichen für eine Kehrtwende?

«Nein zur Hinrichtung»: Mit diesem Hashtag protestierten Millionen Iraner online gegen die Todesurteile für drei junge Demonstranten. Mit Erfolg. Die Justiz rudert zurück.

Das Todesurteil gegen drei junge Iraner, die im vergangenen Jahr an Demonstrationen teilgenommen hatten, hat im Iran zu einer landesweiten Protestwelle in den sozialen Medien geführt. Unter dem Hashtag «No To Execution» - Nein zur Hinrichtung – sprachen sich innerhalb von nur 24 Stunden Medienangaben zufolge mehr als zwei Millionen Iraner gegen die bevorstehende Hinrichtung aus.

Auch prominente iranische Künstler wie der zweifach Oscar-gekrönte Filmemacher Asghar Farhadi beteiligten sich an der Aktion im Netz. «Macht das traurige Leben der Iraner nicht noch bitterer ... Nein zur Hinrichtung», schrieb Farhadi auf seiner Instagram-Seite.

Die Proteste zeigten dann auch sehr schnell Wirkung. Zunächst berichtet die Nachrichtenagentur Fars, Justizchef Ibrahim Raeissi habe sich persönlich eingeschaltet. Er befürworte weitere Untersuchungen des eigentlich bereits rechtskräftigen Urteils und somit de facto eine vorläufige Aufhebung der Hinrichtungen. Die Presseabteilung der Justizbehörde jedoch korrigierte auf ihrer

Website den Fars-Bericht. Eine neue Untersuchung des Urteils sei zwar möglich, aber dazu müssten die Anwälte der drei Angeklagten eine solche Untersuchung beantragen. Dies hätten sie noch nicht getan.

Kurz nach den ersten Berichten kam dann die Meldung, dass inzwischen einer der Anwälte den Antrag bei der Justiz eingereicht habe. «Der Antrag ist nun direkt dem Büro des Justizchefs übergeben worden», sagte Anwalt Babak Paknia der Agentur Fars. Er hoffe, dass dieser Antrag nicht nur zu neuen Untersuchungen, sondern auch zu einer Aufhebung der Todesurteile durch Justizchef Raeissi führen werde. 

Hintergrund der landesweiten Online-Proteste sind die Todesurteile gegen Amirhossein M., Saeid T. und Mohammad R.. Die Urteile wurden nach Angaben von Justizsprecher Gholam-Hussein Ismaili am Dienstag vom Obersten Gericht bestätigt. Wann das Urteil vollstreckt werden soll, sagte der Sprecher jedoch nicht.

Ein Todesurteil ist im Iran nach der Bestätigung durch das Oberste Gericht rechtskräftig und könnte nach Angaben von Rechtsexperten auch nicht mehr revidiert werden. Gemäß Verfassung kann jedoch Irans Oberster Führer, Ajatollah Ali Khamenei, auch rechtskräftige Urteile kippen.  

Der Justizsprecher wies auf einer Pressekonferenz jegliche Kritik an den Urteilen zurück. Die drei waren Ismaili zufolge gewaltbereite Anführer der Unruhen und hätten mehrere öffentliche Einrichtungen und Verkehrsmittel in Brand gesetzt. Ihre Aktionen hätten sie per Handy aufgenommen. Daher sei die Beweislage für das Gericht eindeutig gewesen.

Die Erhöhung der Benzinpreise hatte im November 2019 zu tagelangen Unruhen im Iran geführt, bei denen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Protestierenden vorgingen. Die politische Führung bezeichnete die Demonstranten als bezahlte Söldner der iranischen Erzfeinde USA, Israel und Saudi-Arabien. Sie wollten aus Sicht des Irans nicht gegen die höheren Benzinpreise protestieren, sondern mit Sabotageaktionen das iranische System schwächen oder gar stürzen.

Die iranische Regierung hat bislang keine genauen Angaben zu den Todesopfern der Proteste gemacht. Nach unbestätigten Berichten sollen 200 Menschen - Demonstranten und Polizisten - bei den Unruhen getötet worden sein. Ausländische Quellen sprechen von weitaus mehr Toten. Zudem wurden dem Iran zufolge damals mehr als 1.000 Demonstranten verhaftet. (dpa)