Widerstand gegen regionale Machtambitionen

Trotz anhaltender Kritik hat die Führung in Teheran ihr umstrittenes Atomprogramm wieder aufgenommen. Doch nicht nur im Westen wächst die Sorge vor einer iranischen Bombe, sondern auch in der arabischen Welt, wie Frederik Richter aus Kairo berichtet.

Forschungsreaktor in Teheran; Foto: AP
Teheran behauptet, nur Pläne für eine friedliche Nutzung der Atomernergie zu haben, die arabischen Staaten aber fürchten sich vor einer iranischen Atombombe

​​Die iranische Regierung will in dieser Woche ihre Nuklear-Forschung wieder aufnehmen und nährt damit weiterhin die Befürchtungen des Westens. Doch sollte Iran in den nächsten Jahren zur Atom-Macht werden, würde das vor allem die wacklige Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten schlagartig ändern. Andere Länder in der Region könnten folgen.

"Ägypten, die Türkei und Saudi Arabien müssten zumindest ihre Positionen überdenken", sagte der Direktor des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS), John Chipman, im vergangenen Oktober. In einem IISS-Bericht wird darauf verwiesen, dass diese Länder das iranische Nuklearprogramm aufmerksam verfolgen und gegebenenfalls eigene Atomprogramme starten könnten.

Erst Anfang Oktober hatte die britische Zeitung "The Guardian" einem Bericht des britischen Geheimdienstes MI5 von 2003 entnommen, dass eine ägyptische Chemie-Firma Technologie gekauft habe, die in einem nuklearen Waffenprogramm verwendet werden könne. In dem Bericht listete der MI5 360 Firmen aus acht Ländern im Nahen Osten und in Asien auf, die Technologie für verdeckte Waffenprogramme gekauft haben sollen.

Im Februar vergangenen Jahres kritisierte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) Ägypten, es habe Experimente in seinen Forschungsreaktoren, die bis 2003 angedauert hätten, nicht korrekt gemeldet. Die meisten internationalen und israelischen Experten gehen allerdings nicht davon aus, dass Ägypten zurzeit ein Atomwaffenprogramm betreibt. Nach Inspektionen in Ägypten im Frühjahr gab die IAEA auch wieder Entwarnung.

Befürchtungen der arabischen Staaten

"Wir wollen keine Atommacht in der Region haben. Schon sehr lange fordern wir, die Region von allen Massenvernichtungswaffen zu befreien, inklusive Atomwaffen und ihrer Trägersysteme", sagte Omar Youssef aus dem ägyptischen Außenministerium. Die iranische Angelegenheit sollte von der IAEA behandelt werden, ein Verweisen des Falls vor den UN-Sicherheitsrat mache noch keinen Sinn. Noch gebe es einen Verhandlungsprozess, dessen Ergebnis erst abgewartet werden müsse.

Ein iranisches Atomwaffenprogramm lehnt Ägypten klar ab. Kairo fürchtet, eine iranische Atombombe würde einen Verzicht Israels auf sein atomares Waffenarsenal endgültig unmöglich machen. "Wenn Iran eine Bombe produziert, schafft das ein zusätzliches Sicherheitsproblem, es löst nicht das eigentliche, die israelische Bombe”, sagt Mohammed Abdel Salama, Nuklear-Experte am Kairoer "Ahram-Center für politische und strategische Studien". "Wenn Iran die Bombe hat, können wir die israelische vergessen.”

Doch andere arabische Länder haben andere Sorgen als das israelische Atomarsenal. Ende Dezember forderte der Golf-Kooperationsrat Teheran auf, seinen Reaktor in Busher weiter ins Landesinnere zu verlegen.

Vermeintlich aus Angst vor einer Umweltkatastrophe, doch die Golfstaaten fürchten sich traditionell vor den regionalen Ansprüchen Teherans und setzten bisher auf ihre Schutzmacht USA. Deren Militärbasen am Golf wären jedoch selbst Ziele für iranische Atomwaffen, die das Festland der USA nicht erreichen könnten.

Doppelte Botschaften

Die Golfstaaten wollen nicht zwischen Israel und Iran in die Klemme geraten. Sie sorgten für Erstaunen, als sie vor Weihnachten die Schaffung einer nuklearfreien Zone nur für den Golf vorschlugen. Das würde den Irak und Iran, nicht aber Israel mit einschließen.

Amr Moussa, Generalsekretär der arabischen Liga protestierte hinter den Kulissen pikiert. "Das würde die arabische Position gegenüber Israel schwächen und bedeuten, dass einige arabische Staaten nur wegen der iranischen Atomwaffe besorgt sind", erläutert Salama. So ist sich in der arabischen Welt jeder selbst der Nächste, zumal der iranische Reaktor in Busher aus Sicht der Golfstaaten gleich auf der anderen Seite des schmalen Persischen Golfs steht.

"Sie senden eine doppelte Botschaft: Unser Programm ist zivil, aber wir haben die Fähigkeit zu einem militärischen Programm. Diese Botschaft ist sehr kompliziert für die arabische Welt." Salama glaubt nicht, dass Teheran schon heute ein militärisches Atomprogramm verfolgt. Aber die Notwendigkeit, in den Verhandlungen immer eine glaubwürdige Steigerung zur Hand zu haben, habe die Verantwortlichen in Teheran in eine verhängnisvolle Eigendynamik getrieben.

Dennoch: Sollten die Drohgebärden des iranischen Präsidenten gegen Israel jemals atomarer Art sein, wäre die ägyptische Position obsolet. Israel würde sicherlich durchblicken lassen, es könne atomar zurückschlagen. Dann sähen sich die arabischen Länder auf einen Schlag zwei Atommächten gegenüber, während es heute im Nahen Osten keine offizielle Atombombe gibt.

Das ägyptische Außenministerium will sich zu solchen Spekulationen nicht äußern. "Ich glaube, es wird bei theoretischen Überlegungen Ägyptens bleiben. Für das israelische Problem haben wir ja auch eine Lösung gefunden", sagt Salama und verweist auf das ägyptische Chemiewaffen-Programm und die modernen konventionellen Waffen des Landes, die genug Abschreckung bedeuten.

Entwicklung ziviler Nuklearprogramme

Iran würde eine Atomwaffe zunächst dazu nutzen, sich weiter als regionale Führungsmacht zu etablieren. Ägypten sieht sich als Führer der arabischen Welt, Saudi-Arabien der islamischen Welt. Beider Anspruch und Prestige würde massiv in Frage gestellt. Salama glaubt daher, als Reaktion auf eine iranische Atomwaffe würden einige Länder des Nahen Ostens ein ziviles Atomprogramm starten.

Ägypten verfügt über zwei argentinische Forschungsreaktoren und damit über ausreichend qualifiziertes Personal. Ein diplomatischer Kenner der ägyptisch-russischen Handelsbeziehungen sagt, Russland könnte eine nukleare Sicherheitsschleuse an Ägypten liefern, um den Schmuggel von Plutonium in den Gaza-Streifen zu unterbinden. Das zeige das Vertrauen Russlands in die Friedlichkeit der Nuklear-Agenda Ägyptens.

Bei Regierungskonsultationen zwischen beiden Ländern im Herbst ging es neben einer möglichen Freihandelszone um Möglichkeiten einer Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie vor allem im medizinischen Bereich.

Am Ende wird der Einfluss der USA auf seine Verbündeten im Nahen Osten eine entscheidende Rolle spielen. Washington übt Druck auf die Golfstaaten und die Türkei aus, sich den eigenen Bemühungen gegen Teheran anzuschließen.

"Meiner Meinung nach ist Iran unumkehrbar entschlossen, Atomwaffen zu erwerben", sagte der türkische Botschafter in Washington im Dezember und forderte einen Dialog zwischen Washington und Teheran. Die Türkei unterhält von den Ländern des Nahen Ostens noch die besten Beziehungen zu Teheran.

Zwischen Ägypten und Iran gibt es nicht einmal diplomatische Beziehungen. Kairo wartet unauffällig ab und verweist auf die Bemühungen der IAEA. Die Staaten am Golf hingegen scheinen einem Deal mit Teheran nicht abgeneigt. Dabei hätten sie mit ihren eigenen Energievorräten, ihrer boomenden Wirtschaft und den militärischen Basen der USA auch einiges zu bieten.

Frederik Richter

© Qantara.de 2006

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