Ost-Jerusalem erlebt schwerste Ausschreitungen seit Jahren - Nahost-Gesandte besorgt

Palästinenser und israelische Polizisten haben sich in Ost-Jerusalem die schwersten Zusammenstöße seit Jahren geliefert. Mehr als 200 Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen am Wochenende verletzt. Der Protest entzündete sich an der drohenden Zwangsräumung für palästinensische Familien in einem Viertel der Stadt. Die Eskalation der Gewalt löste international Besorgnis aus.



Mehr als 90 Menschen wurden am Samstagabend nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmonds verletzt, bei Zusammenstößen am Abend zuvor waren bereits mehr als 200 Verletzte registriert worden. Die meisten wurden demnach durch Gummigeschosse oder Blendgranaten der israelischen Polizei verletzt. Auch Minderjährige seien unter den Opfern.



Vor allem in der Altstadt von Jerusalem und im Ost-Jerusalemer Stadtteil Scheich Dscharrah gingen die Palästinenser am Samstag auf die Straße, um gegen die dort drohenden Zwangsräumungen zu protestieren. Sie bewarfen die israelischen Sicherheitskräfte mit Steinen. Diese setzten Wasserwerfer, Gummigeschosse und Blendgranaten ein und versuchten, die Demonstranten mit übelriechendem Wasser zu vertreiben, wie ein AFP-Reporter berichtete.

Drei Protestierende wurden nach Polizeiangaben in Jerusalem festgenommen. Palästinenservertreter berichteten von 13 weiteren Festnahmen. Ein Polizist wurde nach offiziellen Angaben am Kopf verletzt.



Bereits am Abend zuvor hatte es Zusammenstöße auf dem Tempelberg und in anderen Teilen Ost-Jerusalems gegeben, bei denen mehr als 200 Menschen verletzt wurden. Nach Angaben der israelischen Polizei, welche die Zugänge zum Tempelberg bewacht, wurden die Beamten von "hunderten Randalierern" mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen.

Über der Altstadt stieg Rauch auf, dutzende Schüsse waren zu hören. Videoaufnahmen zeigten, wie israelische Sicherheitskräfte Schallgranaten im Inneren der Al-Aksa-Moschee abfeuerten, wo zahlreiche Gläubige beteten, darunter Frauen und Kinder.

Es waren die heftigsten Auseinandersetzungen seit 2017, als die israelischen Behörden an der heiligen Stätte Sicherheitsschleusen mit Metalldetektoren errichten wollten und damit den Zorn der Palästinenser auslösten.



Am Samstagabend blieb es auf dem Tempelberg ruhig, dort beteten muslimische Gläubige nach dem abendlichen Fastenbrechen ohne Zwischenfälle.

Unterdessen wurde aus dem Gazastreifen eine Rakete auf israelisches Gebiet abgefeuert; die israelische Armee erklärte, sie habe daraufhin Stellungen der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas angegriffen.



Die Hamas rief die Palästinenser auf, bis zum Donnerstag, dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan, am Tempelberg auszuharren. Zugleich drohte die Organisation Israel mit Angriffen, sollte der Oberste Gerichtshof Israels Zwangsräumungen palästinensischer Familien im Viertel Scheich Dscharrah zugunsten jüdischer Siedler genehmigen. Das Urteil wird für Montag erwartet.



Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte, die Behörden seines Landes agierten "verantwortungsvoll", indem sie dem Gesetz Geltung verschafften und zugleich die freie Religionsausübung ermöglichten. Die Polizei hatte den Zutritt zur Altstadt begrenzt, um weitere Palästinenser daran zu hindern, sich den Protesten anzuschließen. Ein aus dem Süden der Stadt kommender Bus wurde gestoppt, palästinensische Insassen wurden festgenommen.



Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan bezeichnete derweil Israel als "grausamen Terrorstaat". Dieser Staat attackiere Muslime, deren einzige Sorge es sei, ihre Häuser zu schützen, sagte Erdogan bei einer Rede in Ankara. Das Vorgehen Israels sei ein Angriff auf alle Muslime. Der türkische Präsident rief die UNO auf, einzuschreiten und die Verfolgung der Palästinenser zu stoppen.



Das Nahostquartett bestehend aus UNO, EU, Russland und den USA äußerte seine "tiefe Besorgnis" über die Vorfälle in Jerusalem. Israel wurde aufgerufen, "Zurückhaltung" zu üben. (AFP)