Meinungsfreiheit im Visier

Entführungen, Mordanschläge, Terror: Fast 90 Journalisten wurden bisher im Irak getötet, mehr als in jedem anderen Konflikt. Zwei Drittel der Opfer waren irakischer Herkunft. Einzelheiten von Petra Tabeling

Entführungen, Mordanschläge, Terror: Fast 90 Journalisten wurden bisher im Irak getötet, mehr als in jedem anderen Konflikt. Zwei Drittel der Opfer waren irakischer Herkunft. Übersetzer, Kameramänner und Reporter, die für internationale Sender, Nachrichtenagenturen oder Zeitungen arbeiteten. Einzelheiten von Petra Tabeling

Ein irakischer Polizist untersucht das Auto von zwei ausländischen Journalisten, die in Bagdad getötet worden sind; Foto: AP
Die größten Gefahren für irakische Medienarbeiter seien nach wie vor unvorhergesehene Gewalttaten wie Bombenanschläge, aber auch Fälle interner Zensur bei den Medien

​​Seit Ausbruch des Irak-Krieges im März 2003 kamen, laut Informationen der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG), 86 Medienarbeiter ums Leben. Damit ist das Land an Euphrat und Tigris die gefährlichste Region der Welt für Journalisten. In nur drei Jahren haben dort mehr Journalisten ihr Leben lassen müssen als in über zwanzig Jahren Vietnamkrieg.

Die Schicksale ermordeter oder gekidnappter ausländischer Journalisten sind selbst in das Blickfeld der Berichterstattung gerückt. Zum Beispiel das von Giuliana Sgrena. Die Reporterin der Tageszeitung il manifesto wird im Februar 2005 in Bagdad entführt und bei ihrer Befreiung von amerikanischen Kugeln schwer verletzt.

Ihr Befreier, Nicola Calipari, ein italienischer Geheimdienstmitarbeiter, kommt dabei ums Leben. Bei der jüngsten Befreiung der ausländischen Journalistin Jill Carroll wird ihr irakischer Dolmetscher getötet.

Irakische Journalisten als Opfer des Terrors

Doch es sind vor allem die einheimischen Reporter, Fotografen, Kameraleute und Zulieferer von Informationen, die dem Risiko am stärksten ausgesetzt sind. So kam im vergangenen Februar ein dreiköpfiges Team des Senders al-Arabiya bei einem Anschlag auf die Goldene Moschee in Samarra ums Leben.

Die Reporterin Atwar Bahjat machte noch zwei Liveschaltungen vom zerstörten schiitischen Heiligtum; auf dem Rückweg wurden sie, ihr Kameramann und ihr Tontechniker von Unbekannten gekidnappt und ermordet. Der irakische, vom Pentagon finanzierte Fernsehsender Al-Irakija verlor allein 12 Mitarbeiter.

Entführt wurden auch der irakische Journalist Reem Zeid und sein Kollege Marwan Khazaal vom lokalen Fernsehsender Sumariya TV, als sie im vergangenen Februar eine Pressekonferenz der Irakisch-Islamischen Partei im westlichen Bagdader Distrikt Yarmuk verließen. Bislang fehlt von ihnen jede Spur.

Jüngstes trauriges Beispiel ist Salah Jalil al-Gharrawi, ein irakischer Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AFP, der am 4. April in der Bagdader Innenstadt von bewaffneten Kräften in ein Auto gezerrt und verschleppt wurde.

Gezielte Einschüchterungen

Internationale Medien sind dringend auf einheimische Journalisten und deren Informationszulieferer (Stringer) angewiesen, haben doch viele europäische Journalisten inzwischen den Irak verlassen. Die großen Fernsehsender betreuen das Gebiet von Jordanien oder Ägypten aus. Für viele Iraker ist die Stringer-Tätigkeit daher oftmals auch die einzige Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Doch befinden sie sich mit dieser Tätigkeit gleichzeitig in einem Spannungsfeld, das von Anschlägen bis zu bewussten Einschüchterungen durch aufständische Gruppen reicht.

Diese wollen mit ihrem Terror bewusst ein Zeichen setzen: So wurde die Familie einer Dolmetscherin, die für eine amerikanische Journalistin arbeitete, ermordet, weil diese mit "Feinden kollaborierten", hieß es in den Bekennungsschreiben der Attentäter.

Zwar sind die Zensurbehörden abgeschafft, doch auch das Recht auf eine freie Meinungsäußerung scheint im ehemals diktatorischen Irak mit einer gleichgeschalteten Presse Ermessenssache von Lokalpolitikern zu sein:

In Kut, 200 Kilometer südlich von Bagdad, wurden zwei Journalisten der Verleumdung von Polizei und Justiz angeklagt, nachdem sie in einer Lokalzeitung den örtlichen Behörden Unfähigkeit und Korruption vorgeworfen hatten. Bei Schuldspruch drohen ihnen zehn Jahre Gefängnis.

Festnahmen durch die US-Armee

Auch die US-Militärs haben bislang mehrere irakische Journalisten inhaftiert. Zum Beispiel den Kameramann Samir Noor, der für die Nachrichtenagentur Reuters arbeitete. Im Juni 2005 nahmen ihn amerikanische Soldaten bei einer Razzia in seiner Heimatstadt Tal Afar fest. Acht Monate verbrachte er in den Gefängnissen von Abu Ghraib und im Camp Bucca im Südirak.

Ein ähnliches Schicksal ereilten auch Majed Hameed, der als Korrespondent für Reuters and Al Arabiya arbeitete, und TV-Kameramann Ali al-Mashhadani. Beide kamen Anfang des Jahres wieder frei, doch bis heute steht nicht fest, warum sie eigentlich inhaftiert wurden, eine Anklage wurde nie erhoben.

Doch gab es bislang auch keine Entschädigung für die irakischen Journalisten. Derzeit befinde sich kein irakischer Journalist in US-Gewahrsam, berichtet Lynn Tehini, Irak-Beauftragte von "Reporter ohne Grenzen".

Die größten Gefahren für irakische Medienarbeiter seien nach wie vor unvorhergesehene Gewalttaten wie Bombenanschläge, aber auch Fälle interner Zensur bei den Medien.

Zwar leben irakische Journalisten heute in einem "befreiten" Land, wie es der amerikanische Präsident Bush nennt, doch sind viele Medien entlang politischer und religiöser Fragestellungen tief gespalten und vertreten dementsprechende Auffassungen in der Öffentlichkeit. Nach wie vor ist der demokratische Weg für eine Medienvielfalt im Irak noch weit.

Petra Tabeling

© Qantara.de 2006

Qantara.de

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