"Kuwait ist eine Demokratie"

Im vergangenen Jahr wurde Rola Dashti als erste weibliche Abgeordnete in das Parlament Kuwaits gewählt. Michele Dunne hat sich mit der kuwaitischen Aktivistin für demokratische Reformen und Gleichberechtigung unterhalten.

2007 und 2008 wurde Rola Dashti in eine Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten aus dem arabischen Raum aufgenommen. 2009 wurden sie als erste weibliche Abgeordnete in das Parlament Kuwaits gewählt. Michele Dunne hat sich mit der kuwaitischen Aktivistin für demokratische Reformen und Gleichberechtigung unterhalten.

Rola Dashti; Foto: &copy Kuwait Economic Society
Für eine Stärkung der Frauenrechte und der demokratischen Kontrolle des politischen Systems durch das Parlament: Rola Dashti gelang 2009 mit drei weiteren Kandidatinnen der Sprung in die kuwaitische Volksvertretung.

​​ Seit der Wahl vom Mai 2009 scheinen sich die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung in Kuwait verbessert zu haben, nachdem es zuvor mehrfach zu Auflösungen des Parlaments gekommen war. Im Dezember willigte der Premierminister sogar ein, sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen. Haben sich die Beziehungen tatsächlich verbessert, und falls ja, wie kam es dazu?

Rola Dashti: Es steht außer Frage, dass Kuwait in den letzten vier Jahren in politischer Hinsicht eine sehr unruhige Zeit erlebt hat, welche die Hoffnungen auf eine Weiterentwicklung der Demokratie gedämpft haben. Am 16. Mai 2009 aber stimmten die Bürger für einen Kurswechsel und sandten eine klare Botschaft aus, dass sie des Zanks der Regierung mit dem Parlament überdrüssig sind. Das Parlament, vor allem dessen neue Mitglieder, haben diese Botschaft sehr gut verstanden. Der erste Test dieses neuen Kurses kam bereits drei Wochen nach Beginn der Legislaturperiode als Interpellation, als Befragungsgesuch des Parlaments an unseren Innenminister.

Die Regierung gewährte den Antrag, der Innenminister ließ sich befragen und musste schließlich ein Misstrauensvotum über sich ergehen lassen. Das Parlament seinerseits belohnte dieses Verhalten damit, dass es ihm sein Vertrauen aussprach. Dies wiederum zeigte der Regierung, dass sie, sofern sie wirklich effektiv arbeitet und dazu bereit ist, Schritte zu unternehmen, damit rechnen kann, von einer Mehrheit des Parlaments unterstützt zu werden.

Dem neuen Parlament gelang es auch, einige wichtige Gesetze zu verabschieden.

Dashti: Das Parlament wollte den legislativen Prozess voranbringen. Zuletzt verabschiedeten wir ein sehr wichtiges Gesetz, einen Fünf-Jahres-Plan. Er legt die Grundzüge der wirtschaftlichen und sozialreformerischen Politik fest, denen sich das Land verschrieben hat. Dies ist deshalb von Bedeutung, da es einen umfassenden Wandel geben wird vom Anspruchsdenken zum Engagement, vom Konsumdenken zur Produktivität.

Zu den anderen wichtigen Gesetzen, die verabschiedet wurden, gehört eines, das eine Regulierungsbehörde zur Neuordnung des Kapitalmarktes eingesetzt hat, ein Gesetz über privates Arbeitsrecht und eines für Bürger mit besonderen Bedürfnissen oder Behinderungen. Viele Gesetze zur Wirtschaftsreform sind noch auf dem Weg: Gesetze zur Privatisierung, zum Handel und zum Vergaberecht. Im sozialen Bereich werden wir die Frauenrechte stärken, und auch Fortschritte bei der Krankenversicherung, im Bildungssystem und bei der Sozialversicherung müssen noch gemacht werden.

Eine der vier Vertreterinnen im Parlament, Massuma al-Mubarak (2.v.r), jubelt über den Einzug der Kandidatinnen ins Parlament ; Foto: dpa
Erfolg für Kuwaits Frauen: Erstmals in der Geschichte des Landes wurden 2009 vier Kandidatinnen ins Parlament von Kuwait-City gewählt.

​​Sie gehören zu den ersten vier Frauen, die ins kuwaitische Parlament gewählt wurden. Welchen Einfluss hat dies auf das Parlament und auf die kuwaitische Gesellschaft insgesamt?

Dashti: Die Kuwaiter freuten sich sehr darüber, nun Frauen im Parlament zu haben. Das erinnerte mich an den Jubel nach der Befreiung im Jahr 1991. Wir alle vier wurden jeden Tag zu Feiern eingeladen, zu Festivals und Treffen. Es war fast so, als ob der Wahlkampf gar nicht zu Ende wäre. Doch ist diese Freude mit großen Erwartungen verknüpft; die Menschen sehen Frauen als Retterinnen, als diejenigen, die endlich den ersehnten Wandel herbeiführen.

Innerhalb des Parlaments mussten wir schnell lernen, die politischen Strukturen zu durchschauen und uns darum bemühen, in die wichtigen Kommissionen zu gelangen. Tatsächlich führte dies irgendwann dazu, dass sich die männlichen Abgeordneten beschwerten, dass "Frauen die Kommissionen übernehmen". Und wirklich war bald mindestens eine von uns in allen wichtigen Ausschüssen vertreten: Finanzen, Gesetzgebung, auswärtige Angelegenheiten, Gesundheit und Bildung. Und zu dem Zeitpunkt saßen wir erst seit zwei oder drei Wochen im Parlament. Nach den Parlamentsferien sprachen wir uns noch mehr ab und übernahmen schließlich den Vorsitz in zwei wichtigen ständigen Ausschüssen: Bildung, Medien und Kultur sowie in dem für soziale Fragen, Arbeit und Gesundheit, dem ich vorstehe.

Die weiblichen Abgeordneten sorgten auch für mehr Disziplin im parlamentarischen System. Wir sind bei allen Ausschusssitzungen anwesend und erledigen auch unsere "Hausaufgaben", was die männlichen Ausschussmitglieder, die oft nicht anwesend sind, in Erklärungsnöte bringt.

Wir pflichten nicht den traditionellen Schmeicheleien bei, die zwischen den männlichen Parlamentariern üblich ist und wir zögern nicht, den Medien mitzuteilen, wer zu den Sitzungen kommt und wer nicht. Wir versuchen auch, die Statuten zu ändern, weil wir es nicht richtig finden, dass einige Abgeordnete so oft fehlen, dass sie dadurch die Entscheidungsprozesse verzögern und wir die nötigen Gesetze deshalb nicht auf den Weg bekommen und sie so schnell wie möglich einbringen können.

Wird Ihr Abstimmungsverhalten zu bestimmten Fragen öffentlich gemacht?

Dashti: Ja, die Menschen wissen, wie wir uns in bestimmten Fragen entscheiden. Das bedeutet nicht, dass wir deshalb "populistisch" abstimmen. So gab es zum Beispiel ein sehr populäres Gesetz, das alle Zinsen für Anleihen der Bürger aufheben soll, gegen das wir aber gestimmt haben. Auch wenn es dann doch mit überwältigender Mehrheit vom Parlament verabschiedet wurde, stellten sich 14 Abgeordnete gegen das Gesetz, darunter auch wir vier Frauen. Die Regierung hat es inzwischen abgelehnt und den Menschen ist mittlerweile klar, warum wir damals so gestimmt haben, wie wir es taten. Einige Leute sagten: "Ihr seid gegen das Volk", andere aber sagten: "Genauso haben wir erwartet, dass Ihr abstimmen würdet, im Interesse der Nation."

Rola Dashti und ihr Vater; Foto: dpa
2007 und 2008 wurde Rola Dashti (hier im Bild mit ihrem Vater) in eine Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten aus dem arabischen Raum aufgenommen.

​​Nach nur sechs Monaten ist es noch zu früh, zu sagen, inwieweit wir Parlamentarierinnen zum gesellschaftlichen Fortschritt beigetragen haben, doch ich denke, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Der andere positive Faktor ist, dass wir vier uns gut kennen. Alle sind wir Aktivistinnen in unseren jeweiligen Gebieten: Ich bin Wirtschaftswissenschaftlerin, eine andere ist Bildungsforscherin, eine weitere Expertin für auswärtige Angelegenheiten. Und wir vertrauen dem Fachwissen der jeweils anderen. Außerdem arbeiten wir sehr eng mit sieben oder acht männlichen Abgeordneten zusammen, die auch neu im Parlament sind.

Kuwait stellt wegen seiner wirkungsvollen Legislative wohl eine Ausnahme in der Region dar. Eine der wenigen Ausnahmen in der arabischen Welt?

Dashti: Zwischen dem kuwaitischen Volk und der Herrscherfamilie bestand schon seit dem 18. Jahrhundert ein Pakt, der vorsah, dass die al-Sabah-Familie das Land führt und verwaltet, während die Geschäftsleute sich aufs Reisen verlegen, um dem Land mittels Steuern das Einkommen zu sichern. Es gab also schon immer die Notwendigkeit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen; und es gab auch immer einen Dialog zwischen der Herrscherfamilie und dem Volk.

Und doch gab es auch lange Perioden, in denen das parlamentarische Leben ausgesetzt wurde…

Dashti: Ja, das war in den 1970er sowie 1980er Jahren und das Volk protestierte lautstark dagegen. Die Meinungsfreiheit war in der Kultur unseres Landes schon immer tief verwurzelt. Vor der Invasion von 1990 gab es viele Spannungen und deshalb dachte Saddam Hussein wohl auch, dass die Kuwaiter die Herrscherfamilie nicht unterstützen würden. Doch das irakische Regime verstand nicht, dass wir uns - trotz politischer Differenzen - dennoch darüber einig sind, wer im Land herrschen sollte. Und aus diesem Grund scharten sich im Krieg alle hinter die Herrscherfamilie.

Kuwait ist eine Demokratie und nach der Befreiung wurde es zur Norm, dass eine Auflösung des Parlaments nur über den Verfassungsweg möglich ist. Der Umstand, dass sich der Premierminister erstmals den Fragen des Parlaments stellte, hat meiner Meinung nach den Demokratisierungsprozess sicher vorangebracht. Aus all diesen Gründen sehen wir der Zukunft zuversichtlich entgegen, weil wir denken, dass Teilung von Macht und Entscheidungsprozessen sehr wichtig ist und wir nur so eine anhaltende Stabilität erreichen können.

Interview: Michele Dunne

© Arab Reform Bulletin 2010

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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