Das Dilemma der EU in Nordafrika

Der Westsahara-Konflikt belastet seit jeher die marokkanisch-algerischen Beziehungen und beeinflusst auch den Umgang der beiden Länder mit ihren europäischen und afrikanischen Nachbarn. Internationale Akteure, wie der UN-Menschenrechtsrat, haben schon oft versucht, die Spannungen zwischen den beiden Maghreb-Staaten zu entschärfen.
Der Westsahara-Konflikt belastet seit jeher die marokkanisch-algerischen Beziehungen und beeinflusst auch den Umgang der beiden Länder mit ihren europäischen und afrikanischen Nachbarn. Internationale Akteure, wie der UN-Menschenrechtsrat, haben schon oft versucht, die Spannungen zwischen den beiden Maghreb-Staaten zu entschärfen.

Nach der Kehrtwende Spaniens zugunsten Marokkos Autonomieplan für die Westsahara setzt Algerien auf Italien und Frankreich und entzweit so die Europäische Union. Ein Analyse von Mohamed Al-Fawiris

Essay von Mohamed Al-Fawiris

Am 8. Juni 2022 hat Algerien den Vertrag über Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit mit Spanien ausgesetzt, der beide Länder zwei Jahrzehnte lang miteinander verbunden hat. Diese Entscheidung Algiers ist ein weiterer Tiefpunkt in den Beziehungen beider Länder, die bereits abgekühlt waren, nachdem sich Spanien in der heiklen Westsahara-Frage auf die Seite Marokkos gestellt hatte.

In offiziellen Erklärungen bekräftigten beide Länder ihre jeweilige Haltung und verteidigten ihren Standpunkt. Aus Sorge vor den wirtschaftlichen Auswirkungen forderte die EU Algerien auf, die "zutiefst beunruhigende“ Entscheidung rückgängig zu machen, zumal diese unmittelbar gegen das Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen von 2005 verstoße.  

Algerien reagierte auf den spanischen Kurswechsel überraschend heftig, zumindest im Vergleich mit ähnlichen Vorstößen anderer wesentlicher Länder. So hatten die Vereinigten Staaten noch unter US-Präsident Donald Trump erklärt, dass sie "die marokkanische Souveränität über das gesamte Gebiet der Westsahara“ anerkennen, und Vorbereitungen zur Eröffnung eines US-Konsulat in Ad-Dakhla in der Westsahara angekündigt.

Spaniens Premierminister Pedro Sanchez zu Besuch bei Marokkos Premier Minister Aziz Akhannouch in Rabat am 7. April 2022 (Foto: AP Photo/Mosa'ab Elshamy
Spaniens Premier Pedro Sanchez zu Besuch in Rabat bei Premierminister Aziz Alkannouch am 7. April 2022: Wer Marokko in der Westsahara-Frage unterstützt, riskiert Konflikte mit Algier. Die Krise der Beziehungen zwischen Spanien und Algerien aufgrund des Madrider Kurswechsels in der Westsahara-Politik wirft viele Fragen über die künftigen Beziehungen Marokkos und Algeriens zu den EU-Mitgliedstaaten auf. Wie wird Algerien reagieren, wenn sich andere EU-Staaten der spanischen Haltung anschließen und so den Autonomievorschlag Marokkos unterstützen?



Die Amerikaner bekräftigten zudem ihre Unterstützung für den Vorschlag Marokkos, den unter marokkanischer Kontrolle lebenden Sahrauis eine begrenzte Autonomie zu gewähren. Auch Deutschland änderte nach Bildung einer neuen Bundesregierung Ende 2021 seine Haltung zur Westsahara. Die neue Bundesregierung will die lange Phase der Spannungen mit Marokko überwinden und erklärte, der marokkanische Autonomieplan könne einen "wichtigen Beitrag“ leisten, um einer Lösung im Westsahara-Konflikt näherzukommen.

Widerstreitende Positionen   

Der Westsahara-Konflikt belastet seit jeher die marokkanisch-algerischen Beziehungen und beeinflusst auch den Umgang der beiden Länder mit ihren europäischen und afrikanischen Nachbarn. Internationale Akteure, wie der UN-Menschenrechtsrat, haben schon oft versucht, die Spannungen zwischen den beiden Maghreb-Staaten zu entschärfen.

Spanien ist für beide Länder ein wichtiger Partner. Als es Madrid nicht gelang, eine ausgewogene Haltung zu finden, die dazu beitragen könnte, die Spannungen abzubauen, verurteilte Algerien den spanischen Kurswechsel scharf und verwies darauf, dass die spanische Position sowohl internationalen Rechtsentscheidungen als auch der bisherigen Haltung der spanischen Regierung widerspreche. 

Marokko hingegen vertritt immer selbstbewusster seine Souveränitätsansprüche über das umstrittene Gebiet. So ließ König Mohammed VI. kürzlich verlauten, Marokko erwarter von seinen Partnern eine klare Haltung und Unterstützung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara.  

Im laufenden diplomatischen Streit zwischen Algerien und Spanien über den Status der Westsahara arbeitet das algerische Außenministerium intensiv daran, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu zwei anderen Ländern zu stärken: zu Italien als Spaniens langjährigem Partner und zu Frankreich, Marokkos engstem Verbündeten. Frankreich teilt mit Algerien eine lange und wechselvolle Geschichte und ist stets offen für das Recht Marokkos eingetreten, seine "territoriale Integrität“ zu verteidigen.

Italiens Premierminister Mario Draghi (li) begrüßt den algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune (Mitte) im Palazzo Chigi, Rom, am 26. Mai 2022 (Foto by Andreas SOLARO / AFP)
Ein neuer Deal mit einer neuen Partner: Im laufenden diplomatischen Streit zwischen Algerien und Spanien über den Status der Westsahara arbeitet das algerische Außenministerium intensiv daran, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Italien und Frankreich zu stärken. Die algerischen Avancen an Italien gipfelten im offiziellen Besuch des algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune am 25. Mai 2022 in Rom. Tebboune (im Bild in der Mitte) führte bilaterale Gespräche mit Staatspräsident Sergio Mattarella und Premierminister Mario Draghi (links) und unterzeichnete ein wichtiges Energieabkommen mit Italien. Dieses soll Algerien den Weg ebnen, zum größten Gaslieferanten Italiens zu werden.



Die algerischen Avancen an Italien gipfelten im offiziellen Besuch des algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune am 25. Mai 2022 in Rom. Tebboune führte bilaterale Gespräche mit Staatspräsident Sergio Mattarella und Premierminister Mario Draghi und unterzeichnete ein wichtiges Energieabkommen mit Italien. Dieses soll Algerien den Weg ebnen, zum größten Gaslieferanten Italiens zu werden.

Vor den Spannungen mit Spanien war das Land Algeriens größter Gaskunde. Madrid erhielt seinen Anteil am algerischen Gas über die transmarokkanische Pipeline. Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Algerien und Marokko wollte Algerien verhindern, dass Spanien algerisches Gas an Marokko verkauft, und legte daher fest, dass das an Spanien gelieferte Gas nicht in andere Länder re-exportiert werden dürfe, insbesondere nicht an Marokko. Als eine Art Strafmaßnahme beschloss die algerische Regierung kürzlich, dass das ursprünglich für Spanien bestimmte Gas nun nach Italien umgeleitet wird. 

Die Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen Spanien und Algerien aufgrund des Madrider Kurswechsels in der Westsahara-Politik wirft viele Fragen über die künftigen Beziehungen Marokkos und Algeriens zu den EU-Mitgliedstaaten auf. Wie wird Algerien reagieren, wenn sich andere EU-Staaten der spanischen Haltung anschließen und so den Autonomievorschlag Marokkos unterstützen?

Werden sich die konträren Positionen Marokkos und Algeriens jemals so annähern, dass die diplomatische Blockade zwischen beiden Ländern beendet werden kann? Sind die kollidierenden Vorstellungen über die Westsahara nur mithilfe internationaler Bemühungen lösbar? Das alles bleibt abzuwarten. Die jüngsten Entwicklungen deuten allerdings darauf hin, dass weitere Konflikte drohen.  

Mohamed Al-Fawiris

© sada | Carnegie Endowment for International Peace 2022

Aus dem Englischen übersetzt von Peter Lammers

Mohamed Al-Fawiris ist ein marokkanischer Journalist, Wissenschaftler und Doktorand an der Fakultät für Arts and Humanities der Université Sidi Mohamed Ben Abdellah in Sais (Fès). Er forscht über die Auswirkungen des digitalen Zeitalters auf die mediale Praktiken.