Verschleppt und vergewaltigt

Sudanesische Frauen zahlen einen besonders hohen Preis für den nun seit mehr als sechs Wochen dauernden Krieg. Sexuelle Gewalt ist sprunghaft angestiegen und geht von allen Parteien im Krieg aus. Von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Über sechs Wochen dauert nun der Krieg im Sudan schon an. Und wie in jedem anderen Krieg zahlen auch hier die Frauen einen besonders hohen Preis. Es häufen sich die Berichte von Vergewaltigungen und Verschleppungen junger Frauen. Besonders dramatisch ist die Lage in der Hauptstadt Khartum und Umgebung. Dort wird trotz des eigentlich vereinbarten Waffenstillstands weiter heftig gekämpft.



Armee-Chef Abdel Fatah Burhan und der Chef der sogenannten RSF-Milizen, Mohamed Hamdan Dagalo, auch genannt Hemedti, kämpfen um die Alleinherrschaft. Es ist ein Kampf, den bisher keine der Kriegsparteien für sich entscheiden konnte. Die Zivilbevölkerung und auch Sudans Frauen müssen  indessen hilflos zuschauen.

"Was den sudanesischen Frauen widerfährt ist ein ständiger Teufelskreis der Gewalt, aus dem es kein Entkommen gibt. Frauen werden immer wieder vergewaltigt, weil die Straßen nicht sicher sind. Dazu kommen die ständigen Bombardierungen“, sagt Suleima Ishaq gegenüber Qantara.de. "Keine Frau in Khartum ist sicher“, fasst sie die Situation zusammen.



Ishaq leitet in Khartum die "Organisation zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“, die sich um Vergewaltigungsopfer kümmert. Nach vielen Versuchen, sie zu erreichen, damit sie über die Lage der Frauen im heutigen Krieg im Sudan etwas erzählt, meldet sie sich schließlich vor ein paar Tagen über den Internetnachrichten-Dienst WhatsApp zurück.

Verwüsteter Markt in El Geneina, West Darfur; Foto: -/AFP
Sexuelle Gewalt in Kriegszeiten: Frauen, die sich als Tagelöhnerinnen verdingen oder auf Märkten arbeiten müssten, sind besonders gefährdet, sagt Suleima Ishaq, die in Khartum die "Organisation zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ leitet. Um zu überleben, müssten sie weiter auf den unsicheren Straßen arbeiten. Hier auf dem Bild ein verwüsteter Markt in der Stadt El Geneina in West Darfur. Dass gerade die RSF-Milizen immer wieder in Häuser eindringen, liefere aber auch Frauen, die nicht draußen arbeiten müssten, einer besonderen Gefahr aus. Die Milizen richteten in den Häusern ihre Stellungen ein oder übernachteten dort. Wenn die Milizionäre die Frauen noch in Ruhe lassen, nutzten oft später kriminelle Banden ihre Chance in den aufgebrochenen Häuser.

Augenzeugen aus den zivilen Nachbarschaftskomitees

Ein Telefonat sei nicht möglich, auch kein Gespräch über das Internet, das wegen der ständigen Stromausfälle kaum funktioniere, schreibt sie uns zurück. Sie könne Fragen aber per WhatsApp beantworten, wenn das Internet zwischendrin kurz funktioniert.

Besonders betroffen, sagt sie, seien Frauen, die sich als Tagelöhnerinnen verdingen oder auf den Märkten arbeiteten; sie seien besonders verwundbar, erzählt Ishaq. Um zu überleben, müssten sie weiter auf den unsicheren Straßen arbeiten. Dass gerade die RSF-Milizen immer wieder in Häuser eindringen, liefere aber auch Frauen, die nicht draußen arbeiten müssten, einer besonderen Gefahr aus.



Die Milizen richteten in den Häusern ihre Stellungen ein oder übernachteten dort. Wenn die Milizionäre die Frauen noch in Ruhe lassen, nutzten oft später kriminelle Banden ihre Chance in den aufgebrochenen Häuser. Ishaq kennt mindestens drei Fälle von brutalen Gruppenvergewaltigungen.

"Die sexuellen Angriffe haben zugenommen, genauso wie die Verschleppungen von jungen Frauen. Augenzeugen aus den zivilen Nachbarschaftskomitees erzählen, dass sexuelle Gewalt in neuer Rekordhöhe passiere“, schildert Ishaq die Lage in Khartum. "Unser Problem ist, dass wir meistens nicht informiert sind, um den Frauen helfen und ihnen sagen können, wie sie sich verhalten und welche einigermaßen sichere Route sie nehmen sollten, um vom Ort des Geschehens wegzukommen“. Das, sagt sie, sei für ihre Organisation die größte Herausforderung.



Schwierig sei auch die Gesundheitsversorgung der Frauen. Die meisten Gebiete rund um die Krankenhäuser würden von den Milizen kontrolliert und selbst wenn die Krankenhäuser noch funktionierten, seien sie nur schwer zugänglich.

 



 

"Viele Frauen in Khartum bräuchten dringend Hilfe in Gesundheitszentren, nicht nur bei den Geburten. Diese aber werden entweder beschossen oder sind von Truppen besetzt. Viele Frauen verbluten während einer Geburt, manche haben wegen der traumatischen Kriegssituation Fehlgeburten“, berichtet Ishaq.  Auch für die Vergewaltigungsopfer sei es schwierig, Hilfe zu finden. "Wo wir Hilfe anbieten können, das ändert sich jeden Tag je nach Lage der Kampfhandlungen“, beschreibt die Psychotherapeutin ihre Arbeit.

Inzwischen befinden sich 1,4 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten noch innerhalb der sudanesischen Landesgrenzen. Manchmal lassen Männer ihre Frauen einfach zurück, erzählt Ishaq. Andere Male würden Ehemänner, Brüder oder Väter vermisst, die das Haus verlassen haben, um Besorgungen zu machen und dabei umgekommen sind oder bei einer Straßensperre festgenommen wurden.



Das bringe die Frauen und Kinder in eine besonders prekäre Lage. "Sie sind besonders verwundbar für jegliche Angriffe und Ausbeutung und sie laufen auch Gefahr, Opfer von Menschenschmugglern zu werden“, warnt Ishaq. Die Menschenschmuggler machten ihnen falsche Hoffnungen und behaupteten, sie an einen sicheren Ort zu bringen. Das trifft vor allem Frauen, die keine Papiere haben. Für diese Frauen, sagt sie, sei das Risiko, Menschenhändlern  zum Opfer zu fallen, ganz besonders groß. 

 Karim El-Gawhary



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