Aus dem Schatten des Bruders auf dem Sprung an Pakistans Regierungsspitze

Karachi. In Pakistans Politik gibt es zwei Konstanten: Premierminister halten sich keine vollständige Amtszeit, politische Dynastien dafür aber gefühlte Ewigkeiten. Wenn ein Nachfolger des per Misstrauensvotum gestürzten Regierungschefs Imran Khan am Montag gewählt wird, dürfte der altbekannte Namen Sharif erneut eine große Rolle spielen: Denn der nächste Premierminister der südasiatischen Atommacht wird aller Voraussicht nach Khans Widersacher Shehbaz Sharif.



Der 70-jährige Vorsitzende der konservativen Muslimliga-Nawaz (PML-N) ist der jüngere Bruder des dreimaligen pakistanischen Premierministers Nawaz Sharif. Dieser wurde 2017 wegen mutmaßlicher Korruption abgesetzt und inhaftiert, zwei Jahre später aus medizinischen Gründen freigelassen und lebt seitdem im Exil in Großbritannien.



Wenngleich weniger prominent, blickt auch Shehbaz Sharif auf eine ähnlich lange politische Laufbahn zurück wie sein Bruder: Jahrelang leitete er die Regierung von Pakistans bevölkerungsreichster Provinz Punjab, der Machtbasis seiner Familie. Als junger Geschäftsmann erbte er dort gemeinsam mit seinem Bruder das Stahlunternehmen der Familie, bevor er 1988 zum ersten Mal in ein Amt auf Provinzebene gewählt wurde.



In seiner Zeit als Punjabs Regierungschef schob er eine Reihe großer Infrastrukturprojekte an, unter anderem im öffentlichen Nahverkehr. Shebaz Sharif gilt als Workaholic, der die Beamten in der Provinz gern durch überraschende Kontrollbesuche auf Trab hielt. Seine Kritiker werfen ihm aber vor, sich vor allem auf wahlkampforientierte Projekte konzentriert zu haben, statt die grundlegenden Probleme der Provinz anzugehen.



Ebenso wie sein Bruder wurde Shehbaz Sharif zudem mit Bestechungs- und Korruptionsaffären in Verbindung gebracht. Im Dezember 2019 beschlagnahmte die Anti-Korruptionsbehörde NAB fast zwei Dutzend Immobilien im Besitz des 70-Jährigen und seines Sohns Hamza und beschuldigte sie der Geldwäsche. Neun Monate später wurde Sharif inhaftiert, nach knapp einem halben Jahr in Erwartung seines Prozesses gegen Kaution aber wieder freigelassen. Seine Anhänger sehen hinter den Maßnahmen einen Rachefeldzug Khans.



Im Gegensatz zu seinem Bruder Nawaz, dessen Beziehungen zu seinen politischen Gegnern und dem mächtigen Militär angespannt waren, gilt Shehbaz Sharif als flexiblerer Verhandlungspartner, der in der Lage ist, selbst mit seinen Feinden Kompromisse zu schließen. "Wir werden Balsam auf die Wunden dieser Nation auftragen", versprach Sharif am Sonntag, nachdem der bisherige Regierungschef Khan per Misstrauensvotum gestürzt worden war.



Trotz seines umfangreichen Immobilienbesitzes, zu dem auch Luxuswohnungen in London und Dubai gehören, ist er im Land sehr beliebt. Dank des Einflusses seiner Ehefrau, der Autorin und Feministin Tehmina Durrani, begegnet er zudem Frauen inzwischen mit größerem Respekt als früher.



Den neuen Regierungschef erwartet eine Reihe enormer Herausforderungen: Er muss die von wachsender Verschuldung und galoppierender Inflation gebeutelte Wirtschaft reformieren und die von zunehmenden Gewaltaktionen der pakistanischen Taliban und marginalisierter Gruppen in Belutschistan geprägte Sicherheitslage verbessern. Vor allem aber muss er wieder für bessere Beziehungen zu den USA und anderen westlichen Staaten sorgen, die unter Khan stark gelitten hatten. (AFP)