Was haben die LGBTQ-Kampagnen gebracht?

Die Proteste westlicher Aktivisten während der Fußballweltmeisterschaft könnten nach hinten losgegangen sein und eine heftige Reaktion gegen Schwule, Lesben und queere Gemeinschaften ausgelöst haben, sagen Kritiker. Von Cathrin Schaer

Von Cathrin Schaer

Anfang Dezember geriet die US-amerikanische Fast-Food-Kette Raising Cane's ins Kreuzfeuer konservativer Kreise in Kuwait. Dort betreibt das auf Chicken Fingers spezialisierte Unternehmen aus Louisiana zwölf Franchise-Filialen. 

Ein Mann filmte die Fassade eines der Drive-Through-Restaurants mit dem Schriftzug "ONE LOVE“ und veröffentlichte das Video in den sozialen Medien. Er bezichtigte darin das Unternehmen, mit dem Logo für gleichgeschlechtliche Beziehungen zu werben. Er verwies zudem darauf, dass dieser Schriftzug von der niederländischen Fußballmannschaft verwendet werde und einige europäische Mannschaften beabsichtigten, zur Fußballweltmeisterschaft in Katar ihre Kapitäne mit der "One Love“-Armbinde der gleichnamigen Pro-Diversity-Kampagne spielen zu lassen. 

Das Thema wurde auch unter konservativen kuwaitischen Politikern diskutiert. Der islamistische Abgeordnete Mohammed Al-Mutairi berichtete später auf Twitter (siehe unten), der Schriftzug sei von den städtischen Behörden entfernt worden.



Die Restaurantkette hat das Logo seit ihrer Gründung in den 1990er Jahren verwendet und bezieht sich nach eigener Aussage damit auf die Tatsache, dass Chicken Fingers die "eine große Liebe“ des Unternehmens seien. Ein Mitarbeiter von Raising Cane's bestätigte in einem Telefonat mit der Deutschen Welle (DW), dass der Schriftzug "ONE LOVE“ an der Fassade des Restaurants tatsächlich entfernt worden sei. 

 

تمت إزالة الشعار ومخالفة المطعم بعد ساعات قليلة من نشر الخبر ونشكر الإخوة في البلدية ووزيرها على سرعة التفاعل والإستجابة pic.twitter.com/rmXWGJV3k4

— محمد هايف المطيري (@mhamdhaif) December 3, 2022

 



Das ist nicht das einzige Beispiel für die jüngst wachsenden Ressentiments gegen LGBTQ im Nahen Osten. Auch in Kuwait gab es eine von lokalen Unternehmen unterstützte Plakatkampagne gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen. In einem Leitartikel einer Lokalzeitung wurden die Plakate als "natürliche Reaktion auf eine widernatürliche internationale Kampagne“ bezeichnet, die "fremde“ Werte nach Kuwait importieren solle. 

Im Irak forderte der einflussreiche radikale Kleriker Muqtada as-Sadr Anfang Dezember seine Anhänger auf, eine Petition "gegen Homosexualität“ zu unterzeichnen. In einem Interview mit The Associated Press sagte einer der Anhänger, seine Unterschrift sei keine direkte Reaktion auf den LGBTQ-Aktivismus in Katar. Allerdings, so fügte er hinzu, gab es bei der Fußballweltmeisterschaft Versuche, dieses Thema durch Westler zu propagieren, die die (Spiele) besuchten“. 

Alles nur noch schlimmer gemacht? 

Wegen solcher Reaktionen kritisieren einige Stimmen, dass die Aktionen für LGBTQ-Rechte in Katar nach hinten losgegangen seien. Damit sei eine Gruppe ins Rampenlicht gezerrt worden, die in Ländern, in denen die meisten Menschen gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen seien, lieber im Hintergrund bleiben würde. 

In den meisten Ländern des Nahen Ostens sind gleichgeschlechtliche Beziehungen strafbar und werden mit Haftstrafen oder Schlimmerem belegt. Diese Regelungen decken sich offenbar mit der öffentlichen Meinung. In den Gesellschaften der gesamten Region gelten sie als sittenwidrig.

Belgische Fans mit "One Love" T-Shirts beim Spiel Belgien gegen Kanada, Katar 2022 (Foto: Tom Weller/dpa/picture alliance)
The "OneLove" armbands were originally launched in 2020 as part of an inclusiveness campaign by the Royal Dutch Football Association. Here, Belgian fans wear "OneLove" T-shirts at the Belgium v Canada World Cup tie in Qatar 2022



Neuere Untersuchungen anhand der Daten aus dem Forschungsprojekt Arab Barometer belegen, dass in neun Ländern, in denen 2018 und 2019 Menschen befragt wurden, durchschnittlich nur 12 Prozent der Bevölkerung gleichgeschlechtliche Beziehungen akzeptierten. Eine Umfrage des Pew Research Center aus dem Jahr 2019 kam zu ähnlichen Ergebnissen. 

Die Angehörigen der LGBTQ-Gemeinschaft sind sich dessen nur allzu sehr bewusst. Zwar gibt es Schwulenbars in Tunis oder private Partys in Dubai. Doch sie werden nie als solche beworben. Ein Besuch gilt als riskant. 

Verdruss über westlichen Aktivismus 

"Die Solidaritätsbekundungen des Westens mit den LGBTQ-Gemeinschaften im Nahen Osten mögen gut gemeint sein, aber sie sind nicht konstruktiv“, schrieb Will Todman, Fellow im Nahostprogramm des in Washington ansässigen Think Tanks Center for Strategic & International Studies in einem Ende 2022 veröffentlichten Kommentar. "Solche Bekundungen stärken die Solidarität unter den Aktivisten in den westlichen Ländern. Doch ausgerechnet die Menschen im Nahen Osten, denen man angeblich helfen will, fühlen sich dadurch noch verwundbarer.“ 



Acceptance of homosexuality varies but is low or extremely low across the MENA region. In Egypt, 12% of the citizens say homosexuality is acceptable.

Source: Arab Barometer Wav 5 (2018-2019) pic.twitter.com/ArNo0Mamdn

— الباروميتر العربي /Arab Barometer (@ArabBarometer) June 17, 2020

 



Nas Mohammed, ein Asylbewerber und Arzt, der heute in den Vereinigten Staaten lebt und häufig als der erste Katarer bezeichnet wird, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte, erklärte gegenüber mehreren Medien, nach dem Ende der Weltmeisterschaft würde die Mitglieder der LGBTQ-Gemeinschaften in Katar schikaniert und verfolgt werden. 

"Ich denke, die westlichen Medien haben eine eher ungute Rolle gespielt“, sagte Sajjad Sabeeh, ein junger LGBTQ-Aktivist aus der südirakischen Stadt Basra. "Indem während der WM in Katar so viel über LGBTQ-Rechte gesprochen wurde, konnten Politiker behaupten, dass LGBTQ-Rechte Teil einer Agenda sind, mit der der Westen die Region dominieren will“, sagte Sabeeh der DW. 

"Wir werden noch eine ganze Weile unter dem Verdruss über den Aktivismus bei der Fußballweltmeisterschaft zu leiden haben“, so Tarek Zeidan, Direktor von Helem, einer der bekanntesten und ältesten Organisationen für LGBTQ-Rechte in der arabischen Welt mit Sitz in Beirut. "Das wird die Sicherheit und die Würde von LGBTQ-Personen in der gesamten Region erheblich beeinträchtigen.“

Andere Faktoren neben Katar 

Zeidan hält auch andere Faktoren für relevant, warum die LGBTQ-Gemeinschaften im Nahen Osten neuerdings in "beispielloser Weise“ in den Fokus rücken. Dazu zähle die größere Informationsfreiheit in ehemals geschlossenen Gesellschaften, die Globalisierung der Kultur und die zunehmende Nutzung sozialer Medien. 

Nach Ansicht von Zeidan und anderen Fachleuten machen autoritäre Regierungen und religiöse Fundamentalisten Stimmung gegen LGBTQ-Gemeinschaften, um ihre eigene Macht und moralische Autorität abzusichern und von Versäumnissen in der Regierungsführung abzulenken. Sie würden das Thema zu einer Art Kulturkampf stilisieren.

Deutsche Fans mit Plakaten mit der Aufschrift "LGBTQ+ Rights", "should be human rights", "from Wembley", "to Qatar" vor dem Spiel Deutschland gegen England bei der Europameisterschaft, London, 29. Juni 2021 (Foto: Nick Potts/PA Wire/dpa)
Even before the 2022 World Cup in Qatar, German fans publicly showed their support for the LGBTQ community at football matches, here at the Germany v England match at the European championships, London, 29 June 2021



Das Zusammenwirken dieser Faktoren erhöhe den Druck auf die lesbische, schwule und queere Gemeinschaft und gefährde deren öffentliche Sichtbarkeit, so Zeidan. 

"Es kommt darauf an, wen Sie fragen: Einige Aktivisten sagen, es sei gut (sichtbarer zu sein). Nach dem Motto: Endlich sind queere Menschen im Diskurs präsent,“ meint er. "Andere empfinden das nicht so und sehen darin eine denkbar schlechte Entwicklung, weil wir auf den Druck nicht vorbereitet sind.“

Aus Fehlern gelernt? 

So oder so hätten die Aktivitäten während der Fußballweltmeisterschaft in Katar absolut nichts gebracht, meint Zeidan. 

"Die eigentlich berechtigte Kritik an Katars miserabler Menschenrechtsbilanz wurde politisch instrumentalisiert und war alles andere als differenziert. Das hat zu einer massiven Abwehrbewegung geführt, und zwar in diesem Fall gegen die (Regenbogen-)Flagge. Das trug zur Verfestigung der Vorstellung bei, queere Menschen seien ein Import aus dem Westen und ein politisches Instrument zur Begleichung alter Rechnungen“, so Zeidan. 

Wenn Katar irgendetwas Positives bewirkt hat, dann könnten daraus Lehren für die nächste Mega-Sportveranstaltung im Nahen Osten gezogen werden, die ja immer wahrscheinlicher werde.

Der Veteran der britischen LGBT-Kampagne Peter Tatchell hält ein Protestplakat vor dem  National Museum von Qatar auf dem steht, "Qatar arrests, jails & subjects LGBTs to 'conversion' #QatarAntiGay" in Doha, 25. Oktober 2022 (Foto: Str/Reuters)
In a statement released after England and other European teams at the World Cup abandoned plans to wear rainbow-themed armbands in support of LGBTQ rights, Veteran British LGBT rights campaigner Peter Tatchell said: "The OneLove armband was the tiniest of gestures. It was a weak campaign, but even that was too much for FIFA, who have bullied the England team to not wear it." He is pictured here protesting in October against Qatar's stance on LGBTQ rights outside the National Museum of Qatar



Es bedürfe einer anderen Taktik, argumentierte James M. Dorsey, ein ausgewiesener Fachmann für die Region, der  an der Rajaratnam School of International Studies in Singapur lehrt und den Blog "The Turbulent World of Middle East Soccer“ betreibt. "Eine Möglichkeit wäre es, sich auf die Positionen glaubwürdiger, allerdings auch oft umstrittener muslimischer Gelehrter zu stützen“, schrieb er diese Woche. Er bezog sich dabei auf einige Gelehrte, die Homosexualität als Sünde ansehen, die zwar nach dem Tod bestraft wird, doch die nicht von weltlichen Autoritäten verfolgt werden dürfe. 

"Das wäre ein Kompromiss, der Homosexualität weder legalisiert noch legitimiert oder das Stigma beseitigt“, meint Dorsey. "Aber er würde die Kriminalisierung unterbinden und das Leben der Mitglieder der LGBTQ-Gemeinschaft beträchtlich verbessern.“ Im Nahen Osten ließen sich LGBTQ-Rechte "nur Schritt für Schritt durchsetzen“, so Dorsey. 

"Informiert euch. Stellt eure Ansichten auf den Prüfstand", riet Zeidan von der Organisation Helem in Beirut. "Hört die Stimmen von Aktivisten aus Katar und den Golfstaaten und vernebelt sie nicht mit euren eigenen Ansichten. Damit widerlegt ihr den Mythos, LGBTQ-Menschen seien ein Import aus dem Westen und unser Anliegen sei illegitim“. 

Cathrin Schaer

© Deutsche Welle 2022