3400 Jahre alte Stadt taucht aus Stausee im Irak auf

Durch die extreme Dürre im Irak konnten deutsche und kurdische Archäologen die bronzezeitliche Stadt kurz untersuchen. Dann versank das Machtzentrum der Mittani wieder in den Fluten
Durch die extreme Dürre im Irak konnten deutsche und kurdische Archäologen die bronzezeitliche Stadt kurz untersuchen. Dann versank das Machtzentrum der Mittani wieder in den Fluten

Durch die extreme Dürre im Irak konnten deutsche und kurdische Archäologen die bronzezeitliche Stadt kurz untersuchen. Dann versank das Machtzentrum der Mittani wieder in den Fluten. Von Alexander Freund

Von Alexander Freund

Seit Monaten leidet der Süden des Irak unter extremer Trockenheit. Um die Ernte nicht vertrocknen zu lassen, wurden seit Dezember große Wassermengen aus dem Mossul-Staudamm abgeleitet, dem wichtigsten Wasserreservoir des Irak. 

Durch den niedrigen Wasserspiegel tauchten am Rande des Stausees die Überreste einer 3400 Jahre alten Stadt auf, die vor Jahrzehnten untergegangen war. "Ich habe kurzfristig anhand von Satellitenbildern erkannt, dass der Wasserspiegel gesunken ist, aber es war natürlich nicht klar, wann er wieder steigen würde. Wir hatten also nur ein unbekanntes Zeitfenster", so die deutsche Archäologin Ivana Puljiz, Juniorprofessorin an der Universität Freiburg. 

Von früheren Grabungen war bekannt, dass dies ein interessanter Fundort ist. Und so beschloss Puljiz gemeinsam mit dem kurdischen Archäologen Hasan A. Qasim, Direktor der Kurdistan Archaeology Organization (KAO), und dem deutschen Archäologieprofessor Peter Pfälzner von der Universität Tübingen, spontan eine Rettungsgrabung in Kemune, nordwestlich von Mossul.



Binnen kürzester Zeit stellten sie ein Team aus deutschen und kurdischen Archäologinnen und Archäologen zusammen, um zumindest Teile dieser großen, wichtigen Stadtanlage freizulegen und zu dokumentieren. Sieben Wochen lang untersuchte das Team im Januar und Februar 2022 die bronzezeitliche Stadt, bevor sie wieder vollständig überflutet wurde.

Archäologinnen vermessen eine Ausgrabungsstätte im Irak; Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen /KAO
Unerwartete Chance für Archäologen: Seit Dezember 2021 mussten wegen einer lang anhaltenden Dürre große Wassermengen aus dem Mossul-Staudamm, dem wichtigsten Wasserreservoir des Irak, abgeleitet werden. Durch den niedrigen Wasserspiegel tauchten am Rande des Stausees die Überreste einer 3400 Jahre alten Stadt auf, die vor Jahrzehnten untergegangen war. "Ich habe kurzfristig anhand von Satellitenbildern erkannt, dass der Wasserspiegel gesunken ist, aber es war natürlich nicht klar, wann er wieder steigen würde. Wir hatten also nur ein unbekanntes Zeitfenster", so die deutsche Archäologin Ivana Puljiz, Juniorprofessorin an der Universität Freiburg. 

Notgrabung bringt Großgebäude zum Vorschein

Bereits 2018 hatten die Forschenden bei einer ähnlichen Trockenphase einen festungsartigen Palast entdeckt, der etwas weiter unterhalb auf einer kleinen Anhöhe thronte und der zum abfallenden Gelände hin von einer mächtiger Terrassenmauer begrenzt wurde.

Auf den Mauerresten hatte das Team um Ivana Puljiz damals Reste von Wandmalereien in leuchtenden Rot- und Blautönen gefunden, ein vermutlich typisches Ausstattungsmerkmal von Palästen. Dass die Pigmente trotz Überflutung noch so erhalten waren, sei schon "eine archäologische Sensation", sagte Puljiz der Deutschen Welle.

"Natürlich hatten wir große Hoffnungen. Ausgehend von den Objekten, die wir schon 2018 gefunden hatten, wussten wir, dass dieser Fundort interessante Befunde bringen könnte. Aber wir wussten nicht, was genau wir dort antreffen würden", so Puljiz.

Die Hoffnungen wurden nicht enttäuscht: Bei der jetzigen Notgrabung konnten die Forschenden weitere Großgebäude freilegen, etwa eine massive Befestigungsanlage mit Mauer und Türmen, die die Stadt umgab, so die Archäologin. 

Archäologin Puljiz bei der Arbeit an der Ruine im Stausee; Foto: Karl Guido Rijkhoel/Unversität Tübingen
Die Archäologin Ivana Puljiz bei der Arbeit an der Ruine im Stausee: "Natürlich hatten wir große Hoffnungen. Ausgehend von den Objekten, die wir schon 2018 gefunden hatten, wussten wir, dass dieser Fundort interessante Befunde bringen könnte. Aber wir wussten nicht, was genau wir dort antreffen würden", so Puljiz. Die Hoffnungen wurden nicht enttäuscht: Bei der jetzigen Notgrabung konnten die Forschenden weitere Großgebäude freilegen, etwa eine massive Befestigungsanlage mit Mauer und Türmen, die die Stadt umgab, so die deutsche Archäologin. 

Mächtige Stadt beherrschte das Umland

Besonders spannend sei "ein riesiges, mehrstöckiges Magazingebäude, in dem Vorräte gelagert worden" sein müssen. "Allein die schiere Größe dieses Gebäudes zeigt, dass es ganz enorme Mengen gewesen sein müssen. Und diese enormen Mengen mussten ja erst mal erzeugt und dorthin gebracht werden." Eine Haupterkenntnis der Grabung sei, dass diese Stadt ein Umland kontrolliert haben muss, aus dem sie eben diese Güter herbeigeschafft hat, erläutert Puljiz. 

Nach ersten Erkenntnissen könnte es sich bei der ausgedehnten Stadtanlage mit Palast und mehreren Großbauten um das alte Zachiku handeln, ein wichtiges Zentrum im Großreich von Mittani (circa 1550 bis 1350 vor Christus), das weite Teile Nordmesopotamiens und Syriens kontrollierte. "Viel ist bislang allerdings nicht über das antike Zachiku bekannt", so Puljiz. "Es gibt sehr, sehr wenige Erwähnungen dieses Städtenamens in anderen Quellen, wir bringen also erst jetzt neue Erkenntnisse zu dieser Stadt ans Licht."

Keramikgefäße mit mehr als 100 Keilschriften

Die Gebäudemauern seien in einem erstaunlich guten Zustand, obwohl sie aus ungebrannten Lehmziegeln bestehen, die jahrzehntelang unter Wasser lagen. 

Als Grund für den guten Erhaltungszustand vermuten die Forschenden ein gewaltiges Erdbeben, das die Stadt gegen 1350 v. Chr. zerstörte. Herabstürzende Gebäudeteile haben so die unteren Mauerteile unter sich begraben und für die Nachwelt erhalten. 

Besonders fasziniert sind die Forschenden von fünf entdeckten Keramikgefäßen, in denen wie in einer Art Archiv über 100 Keilschrifttafeln untergebracht waren. Einige der gefunden Tontafeln steckten sogar noch in ihren Umschlägen aus Ton.

Luftbild der 3400 Jahre alten Stadt am Tigris; Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen /KAO
Erst aus der Luft lässt sich das Ausmaß der einst mächtigen Stadt erahnen. Nach ersten Erkenntnissen könnte es sich bei der ausgedehnten Stadtanlage mit Palast und mehreren Großbauten um das alte Zachiku handeln, ein wichtiges Zentrum im Großreich von Mittani (circa 1550 bis 1350 vor Christus), das weite Teile Nordmesopotamiens und Syriens kontrollierte und über das bisher nur wenig bekannt ist.



"Wenn man bedenkt, dass diese Tontafeln, die ja nicht gebrannt sind, sondern einfach aus festem Ton bestehen, so lange unter Wasser waren und das Ganze überstanden haben und hoffentlich auch bald von einem Philologen oder einer Philologin gelesen werden können, dann ist das natürlich wirklich eine Sensation", begeistert sich Puljiz.

Unbekanntes Großreich der Mittani

Entstanden sind diese Tontafeln in mittelassyrischer Zeit, also kurz nach dem verheerenden Erdbeben. Vermutlich ließen sich also wieder Menschen auf den Trümmern der antiken Stadt nieder.

Möglicherweise geben die gefundenen Keilschrifttexte Aufschluss über das Ende der Stadt aus der Mittani-Zeit und den Beginn der assyrischen Herrschaft in dieser Region. Denn nach wie vor gilt das Reich von Mittani als eines der am wenigsten erforschten Reiche des Altertums. 

Während seiner Blütezeit Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus erstreckte sich das Herrschaftsgebiet der Mittani von der Mittelmeerküste über das heutige Syrien bis in den Norden des heutigen Irak. Die mittanischen Könige pflegten einen regen Austausch mit den ägyptischen Pharaonen und den babylonischen Herrschern.

Tongefäße an einem Fundort der 3400 Jahre alten Stadt am Tigris; Foto: Universitäten Freiburg und Tübingen /KAO
Bedeutender Fund: Die Forschenden entdeckten fünf Keramikgefäße, in denen wie in einem Archiv über 100 Keilschrifttafeln untergebracht waren. Einige der gefunden Tontafeln steckten sogar noch in ihren Umschlägen aus Ton. "Wenn man bedenkt, dass diese Tontafeln, die ja nicht gebrannt sind, sondern einfach aus festem Ton bestehen, so lange unter Wasser waren und das Ganze überstanden haben und hoffentlich auch bald von einem Philologen oder einer Philologin gelesen werden können, dann ist das natürlich wirklich eine Sensation", begeistert sich die Archäologin Ivana Puljiz.

Kerngebiet der Mittani liegt im Dunkeln

Um 1350 vor Christus allerdings erlebt das Großreich Mittani seinen Niedergang und die benachbarten Hethiter und Assyrer eroberten die Gebiete. Was zum Untergang führte, ist weiter unklar. Um mehr über das Großreich der Mittani zu erfahren, müssten die Forschenden das Zentrum des ehemaligen Reichs, das wahrscheinlich im heutigen Nordsyrien gelegen war, intensiver untersuchen, erläutert Archäologin Puljiz.

Aufgrund der langjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen sind archäologische Untersuchungen in diesem Gebiet nicht möglich. "Ohne nennenswerte Textfunde aus dem Zentrum des Reiches ist es sehr schwer, sich ein Bild darüber zu machen, wie es funktionierte, was es zusammengehalten hat oder welche Pflichten die Vasallen hatten. Wir verfügen bislang nur über einzelne schlaglichtartige Quellen aus Randgebieten, wie jetzt aus dem wahrscheinlich antiken Zachiku", so Puljiz. "Entsprechend bleibt dieses Kerngebiet im Dunkeln".

Bevor die aufgetauchte Ruinenstadt wieder im Stausee versank, wurden die ausgegrabenen Gebäude mit einer eng anliegenden Plastikfolie umkleidet und durch eine Kiesschüttung bedeckt. Sie sollen die Funde vor weiteren Schäden schützen. Vielleicht taucht die versunkene Stadt der Mittani ja bei einer weiteren Dürre erneut auf. 

Alexander Freund

© Deutsche Welle 2022

 

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