"Europa hat einen Migrationshintergrund"

Europa hat einen Migrationshintergrund, genau wie das Christentum. Beide haben starke Wurzeln im Orient und in Jahrtausende alten Kulturen. Der Kulturhistoriker Bernhard Braun lädt zu einer Entdeckungsreise.

Was macht die Identität Europas aus? In einer Zeit, in der Rechte und Rechtskonservative das "christliche Abendland" wiederentdecken, die Angst vor einer islamistischen Bedrohung umgeht und auch innerhalb Europas nationalistische Abschottungstendenzen sichtbar werden, gibt der Kulturhistoriker und christliche Philosoph Bernhard Braun eine klare Antwort: "Die Beschäftigung mit der europäischen Kulturgeschichte hat mir gezeigt, wie konstitutiv und befruchtend für jede Kultur und jedes Selbstverständnis die Begegnung und der Austausch mit dem Fremden sind."

In seinem jetzt bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienenen Buch "Die Herkunft Europas. Eine Reise zum Ursprung unserer Kultur" lädt der in Innsbruck und Salzburg lehrende Kulturhistoriker die Leser zu einer weiten und unterhaltsamen Reise durch die oft überraschende Geschichte der europäischen Kultur und ihrer orientalischen Wurzeln.

Die orientalischen Wurzeln europäischer Kultur

Braun verbindet religionsgeschichtliche Aspekte wie die Entstehung von Judentum, Christentum und Islam mit Entwicklungen in Kunst, Wissenschaft und Philosophie. Er beleuchtet orientalische Hochkulturen wie die Sumerer, Perser und das Alte Ägypten und zeigt, wie Gottes- und Jenseitsvorstellungen, Mythen wie die Jungfrauengeburt oder der Titel "Sohn Gottes" durch die Religionen wandern und sich bis heute halten.

Buchcover: Die Herkunft Europas. Eine Reise zum Ursprung unserer Kultur, Darmstadt 2022. Foto: Verlag Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Das Verhältnis von Orient und Okzident im Wandel der Zeiten: Europa ist nicht nur ein Kontinent, sondern auch ein Kulturraum mit einer Jahrtausende alten Geschichte. Doch wo liegen seine Wurzeln? Welche Vorstellungen und Bilderwelten prägten die frühen Zivilisationen? Und wie hat das „Morgenland“ unser „christliches Abendland“ geprägt? In seinem Buch „Die Herkunft Europas. Eine Reise zum Ursprung unserer Kultur“ erzählt der Philosoph Bernhard Braun die faszinierende Geschichte von der Herkunft der europäischen Kultur aus dem Orient. Bernhard Braun verdeutlicht im Spiegel der Geschichte, wie viel Orient und Okzident miteinander verbindet. In erzählerischer, leicht zugänglicher Form wirft er einen neuen Blick auf die Identität Europas.

So kamen beispielsweise Himmelfahrts-Vorstellungen im fünften vorchristlichen Jahrhundert aus iranischen Quellen in die griechische und dann in die christliche Welt. Braun beschreibt auch die komplizierte Entwicklung von den polytheistischen zu den monotheistischen Religionen und von den erdverbundenen Naturgottheiten - die Sumerer kannten 3.000 meist personifizierte Naturmächte - zu den himmlischen Göttern. Verbunden damit war eine religionsgeschichtliche Verschiebung vom reinen Kult zu dem, was man Theologie nennt.

Das Christentum ist eine orientalische Religion

Eine klare Absage erteilt der Autor vor diesem Hintergrund den abgrenzenden Vorstellungen von einem christlichen Abendland. Schon Europa, die von Zeus entführte junge Frau, sei eine Phönizierin aus dem Nahen Osten und Tochter eines orientalischen Handelsmagnaten gewesen, verweist der Autor auf den kulturübergreifenden Mythos. Und wer sich auf die Spuren des entstehenden Christentums begebe, komme um eine Reise durch Syrien, Ägypten und die Türkei, aber auch durch Persien, Georgien und Armenien nicht herum. "Das Christentum ist eine orientalische Religion."

Letztlich setzte sich das Christentum auf dem in der Spätantike so bunten "Jahrmarkt der Religionen" - der römische Götterhimmel hatte stark an Überzeugungskraft verloren - durch und übernahm viele Vorstellungen. Der Autor nennt eine Reihe von Gründen für den Erfolg: Monotheismus, eine historische Gründungsgestalt, die Verheißung eines glücklichen Lebens nach dem Tod für das Individuum gleich welchen Standes, hohe moralische Ansprüche, universelle Ausrichtung und die Nutzung von Bildern als Propagandamittel.

Bis weit ins Mittelalter blieb der christliche Westen eher der Teil der Welt, der vom Orient profitierte: von islamischen Gelehrten, die das Wissen der Griechen und Römer aus Philosophie, Astronomie, Mathematik oder Medizin weitergaben und ausbauten. Braun bezeichnet den Islam als Teil Europas, wie er anhand zahlreicher Beispiele ausführt.

Erst seit dem 14. Jahrhundert büßt der Orient seine Vorreiterrolle ein. "Unter der Herrschaft der Osmanen erlebte der islamische Orient ein ähnliches Überhandnehmen der religiösen Autorität, wie Europa es in der Renaissance abzuschütteln imstande war", schreibt der katholische Theologe. Der Islam verhärtete sich, erließ Denkverbote, verhinderte den Druck von Büchern und den Bau von Observatorien.

Europa dagegen stieg auf: Trennung von Staat und Religion sowie von öffentlicher und privater Sphäre, die Idee der Gewaltenteilung, eine immer freier werdende Wissenschaft.

Braun sieht im Wettbewerb von Ideen und Märkten sowie dessen Zähmung durch Regeln und Gesetze den wichtigsten Motor für diese Entwicklung. Zugleich entwickelte Europa erst jetzt eine Vorstellung von sich selbst - auch angesichts der Entdeckungen und Eroberungen in anderen Erdteilen. (KNA)

 

Literaturhinweis:

Bernhard Braun: Die Herkunft Europas. Eine Reise zum Ursprung unserer Kultur, Verlag Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2022.

 

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