Politisches Denken in der arabischen Welt

In seinem Buch "Zeitgenössisches politisches Denken in der arabischen Welt" gibt der Nahostexperte Amr Hamzawy Einblicke in die Debatten, welche die arabische Welt bis heute prägen: Diskussionen um Zivilgesellschaft, Globalisierung und islamische Reform. Von Ines Braune

Mann vor Wahllokal in Saudi-Arabien, Foto: AP
In seinem Buch zeigt Hamzawy die zahlreichen auf Arabisch geführten intellektuellen Diskurse und Denkrichtungen in der islamischen Welt der 90er Jahre bis heute auf

​​Die Themen, die Hamzawy in seiner Analyse Zeitgenössisches politisches Denken in der arabischen Welt. Kontinuität und Wandel behandelt, werden im Spannungsverhältnis des gesellschaftspolitischen Wandels betrachtet. Dieser manifestiert sich einerseits durch eine neue Generation junger Intellektueller und durch erstarkte islamistische Positionen sowie andererseits durch eine gewisse historische Kontinuität.

Drei vorherrschende Denkrichtungen

Diese Kontinuität wird deutlich anhand der sich bereits in den 80er Jahren beginnenden Veränderungen, in den wiederkehrenden Strukturen intellektueller Streitkultur in der islamischen Welt und in der Dominanz der Denkströmungen (säkular, islamistisch, reformorientiert), welche die Debatten in den 90er Jahren bis heute bestimmen.

Die Auswahl der Themen richtet sich nach der Kontroverse und Vielzahl der vorgebrachten Argumente, um dadurch einen Überblick über die "Charakteristika intellektueller Interaktionen" zu gewähren.

Dafür werden ausschließlich arabischsprachige Veröffentlichungen berücksichtigt, da die Qualität der auf Arabisch geführten Debatten wesentlich höher ist und sich die Argumentation derselben Autoren in Englisch oder Französisch unterscheidet.

Das Buch behandelt den Zeitraum der Invasion des Iraks in Kuwait (1990) und dem darauf folgenden Zweiten Golfkrieg bis zu den Anschlägen des 11.September 2001 und der "Zweiten Intifada".

Säkularismus versus Islamismus

Hamzawy zeigt die Diskussionen um die Zivilgesellschaft in der islamischen Welt auf, die vor allem von den säkularen Intellektuellen bestimmt werden. Sie verbinden damit letztlich die Hoffnung, eine Lösung für alle negativen Entwicklungen der politischen Systeme in der Region bieten zu können.

Die Einführung des Begriffes der Zivilgesellschaft ermöglicht es der säkularen Denkrichtung, die Parameter der Diskussion zu bestimmen: Die "Säkularen" erkennen die westlichen Modelle als universell gültig an und machen für die Probleme in der arabischen Welt den Rückgriff auf die - als rückständig verstandenen - religiösen Traditionen verantwortlich.

Auf der anderen Seite formulieren islamistische Intellektuelle das Gegenteil, denn sie sehen im Rückgriff auf die Tradition die Lösungen der gesellschaftlichen und politischen Probleme.

Während sich die Fronten zwischen diesen Denkrichtungen in der Diskussion über die Zivilgesellschaft verhärten, gelingt es in der Globalisierungsdebatte, den polemisch geführten "Grabenkampf" aufzuweichen, der zunächst um das Begriffspaar "Moderne" versus "Authentizität" weitergeführt wird.

Gemeinsamkeiten beim Thema Globalisierung

Später rücken aber die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse der Globalisierung in den Mittelpunkt. Reformorientierte Kräfte bedienen sich dabei sowohl säkularen, als auch islamistischen Vokabulars, verbinden rationales Denken und Glauben und weisen damit zugleich auf die Konstruiertheit des Gegensatzpaares "Moderne" versus "Authentizität" hin.

Interessant an der Debatte über islamische Reform ist die "partielle Befreiung von der Bürde der stets wiederkehrenden Konfrontation mit wuchtigen säkularen Auffassungen", schreibt Hamzawy. Der Autor kann hier die Lebendigkeit und Vielfalt islamistischer Positionen darstellen, die sich nicht gegenüber bereits gesetzten Parametern behaupten müssen.

Hamzawy gelangt zu der Auffassung, dass der Rückgriff auf idealtypische, frühislamische Zustände eine Suche nach Erneuerung und eine Antwort auf aktuelle Probleme beinhaltet und keinesfalls als Rückwärtsgewandtheit bzw. Wiederherstellung frühislamischer Zustände zu verstehen ist.

Einerseits kann Hamzawy in seinem Buch diese Debatten klar strukturiert und transparent aufzeigen. Andererseits wird jedoch den Diskursen eine gewisse Dynamik entzogen, zumal nicht immer ersichtlich ist, inwiefern und in welchem konkreten Fall sich die Intellektuellen der verschiedenen Denkrichtungen auseinandergesetzt und aufeinander bezogen haben.

Nichtsdestotrotz eröffnet Hamzawy mit seinem Buch einen umfassenden und analytischen Einblick in die auf Arabisch geführten intellektuellen Diskurse und macht sie so einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Ein sehr empfehlenswertes Buch – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie mit falschen Vorstellungen, dass einzig islamistische Stimmen die gegenwärtigen Debatten in der arabischen Welt dominieren, gründlich aufräumt.

Ines Braune

© Qantara.de 2006

Amr Hamzawy (2005): "Zeitgenössisches politisches Denken in der arabischen Welt. Kontinuität und Wandel. Hamburg: Deutsches Orient-Institut."

Der Politikwissenschaftler und Nahostexperte Amr Hamzawy arbeitet heute als Mitarbeiter am Carnegie Endowment for International Peace in Washington.

Qantara.de

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