Die Karten werden neu gemischt

 Erdgas-Bohrinsel vor der Insel Zypern
Erdgas-Bohrinsel vor der Insel Zypern

Europa sucht nach neuen Bezugsquellen für Erdgas im östlichen Mittelmeer, um weniger abhängig von Russland zu sein. Doch der Ukraine-Krieg führt zu neuen Konflikten um das Pipeline-Projekt EastMed. Von Ronald Meinardus

Von Ronald Meinardus

So schnell als irgend möglich will der Westen seine Abhängigkeit von russischem Öl und Erdgas beenden. Die Suche nach alternativen Bezugsquellen läuft auf Hochtouren. Ins Blickfeld ist einmal mehr das östliche Mittelmeer gerückt. Hier werden große Erdgasvorkommen vermutet. Zudem: In Europas südlicher Nachbarschaft sind die Bedingungen ideal, um Sonnenenergie in Elektrizität umzuwandeln und diese sodann in transkontinentale Stromnetze einzuspeisen.

Den Transport von Rohöl über die Ozeane besorgen vor allem riesige Tankschiffe. Erdgas wird bevorzugt über ein Netz von Pipelines zu den Verbrauchern befördert. Die Streckenführung der Röhren ist längst zu einem Politikum ersten Ranges geworden. Das zeigt beispielhaft der Streit um Nordstream 2: Die Pipeline, die russisches Erdgas nach Deutschland transportieren sollte, wurde zum Symbol für Berlins Abhängigkeit von Putin.

Eine Politisierung der Pipelines erleben wir auch im östlichen Mittelmeer. Dort steht die EastMed, der ehrgeizige Plan, Erdgas aus Ägypten, Israel und Zypern über Griechenland nach Italien zu befördern, im Zentrum eines regionalen Machtkampfes. Das Ringen um das Großprojekt hatte von Anfang an auch internationale Dimensionen, wobei die USA eine richtungsweisende Rolle spielen.

Die Region ist reich an Konflikten und Rivalitäten. Hinzugekommen sind neue Allianzen. Auch in diesem Teil der Welt sind die geostrategischen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine enorm. In die Kategorie der in diesen Tagen viel zitierten tektonischen Verschiebungen gehören die Neubewertung der mediterranen Energiereserven und vor allem die massive geostrategische Aufwertung der Türkei.

Biden wechselt die Seiten

Anfang des Jahres, Putins Angriffskrieg hatte noch nicht begonnen, lies die Regierung in Washington verlauten, dass sie den ehrgeizigen Plan einer Pipeline von Ägypten und Israel über Zypern und Griechenland nach Europa nicht länger unterstütze. Die Ankündigung des Politikwechsels erfolgte in Form eines "non paper“, das vor allem in Griechenland und der Republik Zypern großes Aufsehen auslöste, da es gleichsam über Nacht die energiepolitischen Strategien Athens und Nikosias einer zentralen Grundlage beraubte.

Zyperns Staatschef Anastasiades, der griechische Ministerpräsident Mitsostakis und Israels Regierungschef Netanjahu (v. l.); Foto: Reuters/A.Konstantinidis
Die Staatschefs von Zypern, Griechenland und Israel bei der Unterzeichnung eines Grundsatzabkommens für den geplanten Bau der EastMed-Pipeline im Jahr 2020 in Athen. EastMed galt lange als das Vorzeigeprojekt der "3 + 1 – Allianz“, eines Bündnisses der drei Länder – mit erheblichem Zutun der USA. Alle diese Länder verband eine mehr oder minder stark ausgeprägte Gegnerschaft zur Türkei. Mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat sich die geostrategische Lage verändert und Joe Biden hat dem Projekt seine Unterstützung entzogen.



Die Amerikaner führten finanzielle und ökologische Gründe ins Feld und argumentierten, die hohen Kosten – von sechs Milliarden Euro Baukosten ist die Rede – für ein Projekt zum Transport fossiler Brennstoffe seien angesichts des Klimawandels nicht mehr zeitgemäß.

Das war – wie gesagt – vor Beginn des Ukraine-Krieges. Mit dem Aufflammen der Feindseligkeiten, die vielerorts neue energiepolitische Planspiele auslösten, witterten die EastMed-Befürworter eine neue Chance – wohl vergeblich, wie wir inzwischen sehen.

Hatte Washingtons Nein zu EastMed im Januar eher inoffiziellen Charakter, kam es doch in der Form eines vertraulichen "non paper“ daher, hat die Biden-Administration ihre ablehnende Haltung nun in aller Deutlichkeit auf hohem politischen Niveau an die interessierten Parteien – und die Öffentlichkeit – kommuniziert. Anfang April besuchte US-Außenstaatssekretärin Victoria Nuland Athen, Ankara und Nikosia. Neben der Abstimmung der Anti-Russland-Strategie ging es dabei vor allem um Energiethemen und an erster Stelle die EastMed-Pipeline und wieso diese für Washington kein Thema mehr ist: "Wir müssen nicht zehn Jahre warten und Milliarden Dollar für dieses Zeug ausgeben. Wir müssen das Gas jetzt befördern. Und wir müssen Gas jetzt für den Übergang zu einer grüneren Zukunft einsetzen. In zehn Jahren wollen wir keine Pipeline haben. In zehn Jahren wollen wir grün sein,“ so die Politikerin in einem Interview der Athener Tageszeitung Kathimerini.

Massive Aufwertung der Türkei

Neben den ökologischen Bedenken und der langen Bauzeit hat Washingtons Kehrtwende in der Pipeline-Politik im östlichen Mittelmeer einen weiteren – in der Gesamtschau wohl entscheidenden - Grund. Dieser hängt zusammen mit der nur als dramatisch zu bezeichnenden Aufwertung der Türkei im Zuge des Krieges in der Ukraine.

In den zurückliegenden Wochen ist es zu einer deutlichen Verbesserung der Beziehungen zwischen Washington und Ankara gekommen. Sie ist zum einen auf die geostrategische Sonderlage des anatolischen Landes im Vorhof des Kriegsgeschehens zurückzuführen, sodann auf das geschickte politische Manövrieren des türkischen Präsidenten, der sich gern als unverzichtbarer Vermittler zwischen den Fronten sieht und dafür auf der internationalen Bühne erhebliche Statusgewinne einstreicht.

"Es versteht sich von selbst, dass das Verhältnis der Türkei zum Westen eine strategische Transformation erlebt“, kommentiert der führende Erdogan-Erklärer Burhanettin Duran selbstbewusst und verweist auf die lange Liste von westlichen Spitzenpolitikern, die Erdogan in diesen Tagen ihre Aufwartung machen. Dabei stehen neben der Ukraine stets auch Energiefragen auf der Themenliste.

Karte geplanter Verlauf der Eastmed-Pipeline; Quelle: DW/ecfr.eu; Edison
Geplanter Verlauf der Pipeline EastMed: Mit dem Großprojekt sucht der Südosten Europas nach Alternativen zu russischem Gas. Ob es sich wirtschaftlich rentiert und ökologisch vertretbar ist, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander. Bis zum Jahr 2030 will die EU ihre CO2-Emissionen um 55 Prozent senken. Deshalb gelten Neuinvestitionen in Pipelines oder Gaskraftwerke als verpönt. Doch Erdgas wird in den kommenden Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil im Energiemix Europas bleiben.

Erdogan hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass für ihn die geplante Streckenführung der ostmediterranen Pipeline ein rotes Tuch ist. Ankara besteht darauf, dass das Gas nicht an der Türkei vorbei, sondern über Anatolien nach Europa fließt.

Washingtons Schwenk ist ein Zugeständnis an die Türkei und ein Beleg für eine neue Phase in den bilateralen Beziehungen. Dieses neue Kapitel haben die beiden Regierungen Anfang April mit einem sogenannten "strategic mechanism“ besiegelt, das Schritt um Schritt zu einer Aufwertung des Verhältnisses führen soll.

Für die Amerikaner stellt die Hinwendung zu den Türken in der Pipeline-Frage eine Gratwanderung dar, hatte das Röhrenprojekt doch bis vor gar nicht langer Zeit die politische Rückendeckung Washingtons. EastMed galt lange als das Vorzeigeprojekt der "3 + 1 – Allianz“, eines Bündnisses zwischen Griechenland, Zypern und Israel – mit erheblichem Zutun der USA. Eine wichtige Rolle spielte – und spielt in diesem Zusammenhang Ägypten. Alle diese Länder verbindet – korrekterweise sollte man sagen: verband – eine mehr oder minder stark ausgeprägte Gegnerschaft zur Türkei.

Tatsächlich hatte es Erdogan mit seiner aggressiven Außenpolitik in der Region geschafft, mehr oder minder alle Nachbarländer gegen sich aufzubringen. Wenig Wunder, dass die Türkei dann auch nicht eingeladen wurde, als im Januar 2020 die politischen Anführer Griechenlands, Zyperns und Israels in einer feierlichen Zeremonie in Athen den EastMed-Vertrag unterschrieben.

Die Regierung in Athen will das "Nein“ aus Washington (noch) nicht für bare Münze nehmen. "EastMed ist quicklebendig“, sagte der griechische Außenminister dieser Tage auf dem Delphi Economic Forum. Der zypriotische Präsident Nikos Anastasiadis wies derweilen darauf hin, dass es sich bei dem Röhrenprojekt um ein europäisches Vorhaben handle, die USA – so der Hinweis zwischen den Zeilen – sich zurückhalten sollten. Es wäre aber naiv anzunehmen, dass sich die Amerikaner, allemal in diesen turbulenten Zeiten und in einer strategisch derart bedeutsamen Frage, einer Position in dieser Frage enthalten. Auch energiepolitisch ist Europa von der vielbeschworenen "strategischen Autonomie“ Lichtjahre entfernt.

 

 

Entspannung mit Israel

Derweil verfolgt die Regierung in Ankara ihren alten Plan einer Pipeline zwischen Israel und der Türkei, die die Gasfelder des östlichen Mittelmeers mit den türkischen Netzwerken verbinden soll. Hierbei kommt Erdogan die Entspannung in den Beziehungen zu Israel entgegen, die mit dem Besuch des israelischen Präsidenten Isaac Herzog für alle sichtbar wurde. Erdogan nannte wenig später die Zusammenarbeit im Erdgasbereich "einen der wichtigsten Schritte, die wir gemeinsam für unsere zwischenstaatlichen Beziehungen unternehmen können“.

Doch die Lage ist wesentlich vertrackter, als es den Anschein haben mag. Denn der Streit über die Pipeline-Führung ist überlagert vom Konflikt über Hoheitsrechte und Kontrollzonen. Hier liegen vor allem Athen und Ankara, aber auch Nikosia und Ankara über Kreuz. Wo die maritimen Grenzen verlaufen, ist in hohem Maße umstritten. Der Konflikt hat Griechenland und die Türkei 2020 an den Rand eines Krieges geführt. Damals hat die Europäische Union (EU) Ankara unter Androhung von Sanktionen zu einem Moratorium verpflichtet.

Bevor eine Pipeline das wertvolle Gas aus dem Süden nach Europa befördert, müssen vor allem Griechen und Türken einen Ausgleich finden. Zwar hat es im Zuge des Ukraine-Krieges eine behutsame Annäherung gegeben. Ob Ankara und Athen – von den Zyprioten ganz zu schweigen – die politische Kraft für einen historischen Kompromiss in Bezug auf die Hoheitsrechte im Meer haben, ist eher zu bezweifeln.

Ronald Meinardus

© Qantara.de 2022

Dr. Ronald Meinardus ist Senior Research Fellow der "Hellenic Foundation for European and Foreign Policy” (ELIAMEP) in Athen