«Abraham-Abkommen» mit Israel - Wachstumsmotor und Achse gegen Iran

Über Jahrzehnte war Israel regional isoliert und unterhielt nur mit Ägypten und Jordanien einen «kalten Frieden». Unter US-Vermittlung gelang dann 2020 eine Normalisierung mit gleich vier weiteren arabischen Staaten. Wie sieht nun ein Jahr später die Bilanz aus? Von Sara Lemel und Johannes Sadek, dpa

Tel Aviv/Kairo. Lange galt Israel der arabischen Welt als Fremdkörper, ja sogar als «Stachel im Fleisch». Es gab zwar Friedensverträge mit den Nachbarn Ägypten und Jordanien, aber die Beziehungen blieben kühl. Vor einem Jahr dann die erstaunliche Wende: In Washington unterzeichnete Israel feierlich Abkommen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE).



Auch Marokko und der Sudan rückten seitdem unter Vermittlung der USA näher an die innovative «Startup-Nation» Israel heran. Als Motor der Annäherung gelten wirtschaftliche Interessen, mit den Golfstaaten verbindet den jüdischen Staat aber auch der gemeinsame Feind Iran.



Für Israel seien die Verträge mit den Golfstaaten ein «beachtlicher Erfolg», sagt der israelische Politikwissenschaftler Yoel Guzansky. «Die Normalisierung mit den Emiraten schreitet schneller voran und hat sich als besonders fruchtbar erwiesen, vor allem wirtschaftlich.»



Das Handelsvolumen beider Länder stieg nach Angaben des israelischen Statistikbüros seit der Annäherung rasant: Von umgerechnet 43 Millionen Euro in der ersten Hälfte des Jahres 2020 auf 518 Millionen Euro im Vergleichszeitraum 2021.



Auch in vielen anderen Bereichen entwickelt sich eine enge Zusammenarbeit, darunter Bildung und Kultur, Umweltschutz und Wasserwirtschaft sowie Medizin und Cybersicherheit. Israel und die Emirate haben etwa in diesem Jahr ein gemeinsames Organspende-Programm gestartet. Doch Guzansky, Sicherheitsexperte am Israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv, macht auch klar: «Die gemeinsame regionale Bedrohung durch den Iran war und bleibt das wichtigste Motiv für die Abraham-Abkommen.»



In der arabischen Welt fällt die Bilanz zu den Abkommen etwas durchwachsener aus. Denn die Verträge brachen mit dem jahrzehntelangen Grundsatz, dass vor einer Annäherung an Israel dessen Konflikt mit den Palästinensern gelöst werden muss.



Solidarität mit den Palästinensern gehörte lange zu den außenpolitischen Eckpfeilern in den Golfstaaten und bei anderen arabischen Verbündeten - auch, wenn dies vielen nur als Lippenbekenntnis galt. Die Zuwendung zu Israel wurde von Teilen der Bevölkerung der Emirate und Bahrains deshalb als Verrat gewertet.



Gelegen kam daher die Idee von Jared Kushner, Schwiegersohn des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, die Abkommen vor allem als wirtschaftlichen Erfolg zu verkaufen. Mit Beteiligten aller Seiten war bei einem Workshop in Bahrain im Juni 2019 von Investitionen die Rede, von Wirtschaftswachstum und Unternehmergeist. Diese Lesart kam «frischer, griffiger und modischer» daher als alte Formulierungen der Diplomatie, schreibt Elham Fakhro von der International Crisis Group.



Die Frage der Palästinenser - die eine Kooperation ablehnten – sei dann irgendwann ganz auf der Strecke geblieben. Ohnehin spielt das Schicksal der Palästinenser für viele Anführer in der Region nur noch eine untergeordnete Rolle. Das zeigte auch der elftägige Waffengang zwischen Israel und militanten Palästinensern im Gazastreifen im Mai, der als ein erster «Stresstest» der neuen Beziehungen galt.



Es gab dabei zwar harte Kritik an Israels Vorgehen, und auch in der arabischen Bevölkerung kochte die Wut über Israel vielfach wieder hoch. In Bahrain gab es etwa Forderungen mehrerer politischer Gruppen, das Band mit Israel wieder zu kappen. Wirklich infrage stellte die neuen Beziehungen aber keines der vier Länder. Vor allem Bahrain und die Emirate sehen im Erzfeind Iran heute die größte Bedrohung. Marokko wiederum wollte mit dem Schritt seinen Anspruch auf die Westsahara durch die USA anerkennen lassen – im Gegenzug für eine nur schwache Anerkennung Israels.



Der Sudan wiederum stimmte dem Abkommen unter Druck vor allem zu, um endlich schmerzlichen US-Sanktionen zu entkommen. Den Emiraten wurde die Annäherung an Israel nach Medienberichten auch mit einem Deal zur Lieferung von F-35-Kampfjets und Drohnen durch die USA versüßt.



Die neue US-Regierung von Präsident Joe Biden unterstütze zwar die Normalisierung zwischen Israel und arabischen Staaten, zeige aber insgesamt weniger Bereitschaft, stark in die Abraham-Verträge zu investieren, sagt Experte Guzansky. Bidens Verhandlungsbereitschaft gegenüber dem Iran schwäche zudem die Achse der Gegner. Es gebe in der Region eine Reihe weiterer potenzieller arabischer und muslimischer Partner für Israel, das vor allem im Bereich der Technologie viel anzubieten habe. «Sie sitzen jetzt vorsichtig auf dem Zaun und warten ab.»



Der vage Begriff «Normalisierung» könne fast alles bedeuten und problemlos rückgängig gemacht werden, bemerkt die US-Denkfabrik Atlantic Council. Es wurde eine Art künstlicher Frieden geschaffen zwischen Staaten, die sich nie wirklich im Krieg befanden – anders als etwa die Einigung von Camp David, die 1978 den Frieden zwischen Israel und Ägypten einleitete. Ein Abkommen zwischen Saudi-Arabien, dem Schwergewicht am Golf, und Israel scheint vorerst nicht in Sicht. Hinter den Kulissen arbeitet aber auch Riad - ähnlich wie zuvor die Emirate - in Sicherheitsfragen längst mit Israel zusammen. (dpa)