Strippenzieher am Golf

Anders als bei den Umstürzen in Ägypten oder im Jemen haben die Vereinigten Arabischen Emirate im Sudan die Absetzung des früheren Präsidenten Omar al-Baschir begrüßt. Doch danach haben sie das Militär konsequent darin unterstützt, ihre Macht in der Übergangsregierung auszubauen. Eine Analyse von James M. Dorsey

Von James M. Dorsey

Im April 2019 putschte das sudanesische Militär Präsident Omar al-Baschir aus dem Amt, nachdem die Bevölkerung in Massendemonstrationen einen Regimewechsel gefordert hatte.  Das Militär sorgte allerdings von Anfang an dafür, dass es in der mit den oppositionellen politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen ausgehandelten Übergangsregelung die Oberhand behielt.

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und die USA waren sich damals einig, dass die Zeit für al-Baschir abgelaufen war. Uneins waren sie aber vermutlich darüber, was nach ihm kommen sollte. Die USA drängten auf einen Übergang zu einer von Zivilisten geführten Demokratie. Dagegen hat die Führung der VAE die Demokratie wiederholt als geeignetes Regierungsmodell abgelehnt.

Nach dem Staatsstreich von General  Abdel Fattah al-Burhan Ende Oktober hat die Regierung von US-Präsident Biden FinanzhHilfen für den Sudan in Höhe von 700 Millionen US-Dollar ausgesetzt. Aber die Differenzen mit den VAE über die politische Zukunft des Landes haben die USA nicht davon abgehalten, darauf zu vertrauen, dass die VAE die Militärführung des Sudan dazu bringen würde, nach dem Putsch in Khartum die Übergangsregelung wieder in Kraft zu setzen. So sollen die VAE maßgeblich dazu beigetragen haben, das Militär zur Freilassung des abgesetzten sudanesischen Premierministers Abdalla Hamdok zu bewegen. Hamdok war zunächst im Oktober von den Putschisten festgesetzt worden.

"Wir bemühen uns intensiv darum, die Emiratis dazu zu bewegen, ihre Verbindung zu General Burhan dazu zu nutzen, um die Freilassung der Inhaftierten zu erreichen“, erklärte ein US-Vertreter.

 

Sudans Ex-Präsident Omar al-Baschir hat den Bogen überspannt

 

Al-Baschir hatte Saudi-Arabien und die Emirate bei ihrem Jemenkrieg durch die Entsendung tausender sudanesischer Soldaten unterstützt. Im Gegenzug unterstützten die beiden Schwergewichte am Golf den Sudan lange Zeit mit Investitionen und Finanzhilfen in Milliardenhöhe. Doch waren beide Staaten in den letzten Jahren unter Bashir zunehmend darüber verärgert, dass der sudanesische Präsident sein Versprechen nicht einlöste, mit seiner islamistischen Basis und deren Unterstützern – sprich der Türkei und Katar – zu brechen.

Der stellvertretende Chef des Militärrats und Anführer der RSF General Mohamed 'Hemeti' Hamdan Dagalo bei einer Pressekonferenz in Khartum, Juli 2019 (Foto: Getty Images/AFP/E. Hamid)
Die VAE setzen auf das militärische Modell: "Bei Kontakten mit Teilen der Opposition und den Streitkräften im Jahr 2019 signalisierten die Emirate schon früh ihre Unterstützung für die Absetzung al-Baschirs. Zu jenem Zeitpunkt stritten das Militär und die Paramilitärs noch um die Machtnachfolge. Vertreter der VAE rechneten damit, dass sich das Militär und die Rapid Support Forces als dominierende Kraft im Sudan durchsetzen würden“, schreibt Dorsey.

Bashirs Spiel mit allen Seiten wurde für ihn zunehmend kritisch, als die VAE, Saudi-Arabien, Ägypten und Bahrain 2017 einen wirtschaftlichen und diplomatischen Boykott gegen Katar verhängten mit der Begründung, es unterstütze Islamisten. Als Baschir sich weigerte, dem Boykott beizutreten, stoppten daraufhin die VAE 2019 die Treibstofflieferungen und die Finanzhilfen an den Sudan, was wiederum die Wirtschaftskrise verschärfte und Massenproteste gegen die Regierung anfachte. Mit der Einstellung der Finanzhilfen unternahmen die VAE den ersten Schritt zur Flankierung eines Regimewechsels im Sudan. Sie setzten dabei allerdings auf das Militär und nicht auf die zivilgesellschaftlichen Gruppen und Oppositionspolitiker.

Das dürfte heute der maßgebliche Grund dafür sein, dass die VAE und Ägypten den Militärputsch bisher nicht verurteilt haben, bei dem General Abdel Fattah al-Burhan die durch Premierminister Hamdok vertretene zivilgesellschaftliche Seite der Übergangsregierung ausgeschaltet hat. Hamdok war entschieden gegen die Dominanz der von den VAE unterstützten sudanesischen Militärs in Schlüsselsektoren der Wirtschaft und somit den Streitkräften ein Dorn im Auge.

Nach dem Staatsstreich betonte das Außenministerium der Emirate "die Notwendigkeit, die erzielten politischen und wirtschaftlichen Errungenschaften (im Sudan) zu bewahren... Man wünsche sich so bald wie möglich eine Stabilität, die den Interessen und Bestrebungen des sudanesischen Volkes nach Entwicklung und Wohlstand gerecht wird“, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur WAM.

 

Die VAE setzen auf das Militär im Sudan

 

Diese "Bestrebungen“ werden in den Augen der VAE durch General Abdel Fattah al-Burhan und General Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, verkörpert, dem Chef der berüchtigten Rapid Support Forces (RSF) mit langjährigen Verbindungen zu den VAE und Saudi-Arabien. Beide Männer inszenieren sich erfolgreich als anti-islamistische Bollwerke.

Bei Kontakten mit Teilen der Opposition und der Streitkräfte im Jahr 2019 signalisierten die Emirate schon früh ihre Unterstützung für die Absetzung al-Baschirs. Zu jenem Zeitpunkt hatten Militär und die Paramilitärs bereits eine Absetzung Bashirs erwogen. Die VAE-Führung rechnete damit, dass sich das Militär und die Rapid Support Forces als dominierende Kräfte im Sudan durchsetzen würden.





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Etwa zeitgleich besuchte Salah Gosh, der Chef des sudanesischen Geheimdienstes,  inhaftierte Baschir-Gegner, um ihre Unterstützung für einen vom Militär gelenkten Wandel zu gewinnen. Berichten zufolge erklärte Gosh den inhaftierten Oppositionsführern, er komme gerade aus Abu Dhabi, wo man ihm versichert habe, die VAE würden die Absetzung al-Baschirs unterstützen, indem man die Treibstofflieferungen wieder aufnehme und einer neuen Regierung finanzielle Hilfe anbiete.

Präsident al-Baschir hatte es damals abgelehnt, sich auf eine von den VAE unterstützte Lösung einzulassen, die es ihm ermöglicht hätte, sein Gesicht zu wahren. Danach hätte er für eine Übergangszeit an der Macht bleiben sollen, um dann den Weg für Wahlen frei zu machen. Im Gegenzug hätte al-Baschir allerdings die Führung der Nationalen Kongresspartei abgeben müssen und sich nicht zur Wiederwahl stellen dürfen.

 

Finanzhilfe gegen militärische Unterstützung im Jemen

 

Als das Militär al-Baschir im April 2019 aus dem Amt putschte, sagten die VAE und Saudi-Arabien umgehend drei Milliarden US-Dollar an Hilfsleistungen zu. Im Gegenzug versprachen die sudanesischen Militärs und mit ihnen General "Hemeti“, Abdallah Hamdoks Entscheidung, die sudanesischen Truppen aus dem Jemen abzuziehen, rückgängig zu machen.

Die Armee und die Rapid Support Forces haben davon profitiert, dass ihre Kämpfer an der Seite der VAE und Saudi-Arabiens in Libyen und im Jemen eingesetzt waren, wo sudanesische Soldaten einen Großteil der Bodentruppen der "Anti-Huthi-Allianz“ stellen. Der stellvertretende Premierminister der VAE, Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan, – Bruder des Kronprinzen von Abu Dhabi Mohammed bin Zayed und Hauptanteilseigner von Manchester City – bemühte sich unmittelbar nach der Absetzung Baschirs, Oppositions- und Rebellengruppen für die Machtübernahme zu gewinnen.

Laut sudanesischen Quellen soll Scheich Mansour dabei von dem in Abu Dhabi ansässigen General Abdelghaffar al-Sharif unterstützt worden sein, einem ehemaligen Chef des sudanesischen Geheimdienstes. Nach der Absetzung von Bashir gingen die VAE schnell dazu über, vor allem ihre  eigenen Interessen zu verfolgen, unabhängig davon, welche Auswirkungen dies auf die politische Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung des Sudan haben könnte. Dazu zählte auch das Bemühen, der Sudan solle Israel anerkennen, nachdem die VAE 2020 diplomatische Beziehungen mit dem jüdischen Staat aufgenommen hatten, obgleich ein Großteil der politischen Elite und ein bedeutender Teil der Öffentlichkeit in den Emiraten dagegen waren.

 

Keil in der sudanesischen Übergangsregierung

 

Mit ihrer Einflussnahme zugunsten einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel vergrößerten die VAE die Kluft zwischen dem militärischen und dem zivilgesellschaftlichen Flügel in der sudanesischen Übergangsregierung. Die VAE vermittelten im Februar 2020 in Uganda ein geheimes Treffen zwischen General Burhan und dem damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, und zwar ohne Beteiligung seines sudanesischen Amtskollegen Ministerpräsident Abdallah Hamdok.

"Die ausschließliche Zusammenarbeit Israels mit dem sudanesischen Militär dient letzterem zur Legitimierung seiner Macht und zur Schwächung der zivilgesellschaftlichen Kräfte in der Regierung. Die Strategie Israels, mit Militär und Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten, mag in einigen nordafrikanischen Ländern und im Nahen Osten funktioniert haben. Im Sudan dürfte das allerdings nicht der Fall sein“, urteilt der Politikwissenschaftler Mohy Omer.



Das Drängen der VAE auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Sudan und Israel erfolgte zeitgleich mit der Weigerung der VAE, das zuvor zugesagte Hilfspaket in Höhe von drei Milliarden US-Dollar vollständig auszuzahlen. Auch dieser Schritt zielte offenbar darauf ab, das Militär und General Hemeti zulasten des zivilgesellschaftlichen Teils der Regierung zu stärken.

Abdel Fattah al-Burhan und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu in Uganda, vor dem Sitz des Ministerpräsidenten in Khartum, Sudan am 4. Februar 2020 (Foto: picture-alliance/AA/M. Hajaj)
Vorrang für die Interessen der VAE: Dazu zählte auch das Bemühen, der Sudan solle Israel anerkennen, nachdem die VAE 2020 diplomatische Beziehungen mit dem jüdischen Staat aufgenommen hatten, obgleich ein Großteil der politischen Elite und ein bedeutender Teil der Öffentlichkeit in den Emiraten dagegen waren. Die VAE vermittelten im Februar 2020 in Uganda ein geheimes Treffen zwischen General Burhan und dem damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, und zwar ohne Beteiligung seines sudanesischen Amtskollegen Abdallah Hamdok. "Die ausschließliche Zusammenarbeit Israels mit dem sudanesischen Militär dient letzterem zur Legitimierung seiner Macht und zur Schwächung der zivilgesellschaftlichen Kräfte in der Regierung. Die Strategie Israels, mit Militär und Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten, mag in einigen nordafrikanischen Ländern und im Nahen Osten funktioniert haben, im Sudan dürfte das allerdings nicht der Fall sein“, so der Politikwissenschaftler Mohy Omer.

Anstatt an einer Stabilisierung der Verhältnisse mitzuwirken, sorgten die Vereinigten Arabischen Emirate nun dafür, dass das Militär kein Interesse an einem demokratischen Übergang hatte. Denn bei diesem Übergang wären die Militärs unter zivile Kontrolle gestellt und in ihren Möglichkeiten eingeschränkt worden, Staatsgelder, die sie in die eigene Tasche gesteckt haben, auf Konten bei emiratischen Banken umzuleiten.

 

Öffentliche Gelder auf ausländische Konten umgeleitet

 

Der ehemalige sudanesische Finanzminister und Ex-Weltbanker Ibrahim al-Badawi,  erhob im Juni 2020, wenige Wochen vor seinem Rücktritt, den Vorwurf, die Armee habe Einnahmen aus dem Fleischexport nach Saudi-Arabien veruntreut und ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz habe die Einnahmen der Zivilluftfahrtbehörde abgezweigt und auf ein Konto in den Vereinigten Arabischen Emiraten umgeleitet. Nach Angaben von al-Badawi leiten rund 200 vom Militär kontrollierte Unternehmen mit einem Umsatz von rund zwei Milliarden US-Dollar öffentliche Gelder in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar am Finanzministerium vorbei.

Die Nichtregierungsorganisation International Crisis Group wurde vermutlich nicht zuletzt durch diesen Hinweis des Finanzministers zu der Warnung veranlasst, dass eine mangelnde Unterstützung für Abdallah Hamdok "den Übergang gefährden könnte, was tragische Folgen für die Menschen im Sudan und in der Region hätte". Vier Monate nach Ausgabe dieser Warnung kam es im Sudan zum Staatsstreich. Heute mahnen die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union, die Vereinigten Staaten und sogar Saudi-Arabien die Rückkehr zu einer zivilen Regierung an. Vor diesem Hintergrund klingt die damalige Warnung umso lauter.

James M. Dorsey

© Qantara.de 2021

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers

James M. Dorsey ist mehrfach ausgezeichneter Journalist und Wissenschaftler, Senior Fellow am Middle East Institute der National University of Singapore und Autor der Kolumne und des Blogs The Turbulent World of Middle East Soccer.