"Wir müssen immer weiter kämpfen"

Das Militär im Sudan hat noch nie einen Krieg gegen einen Nachbarn geführt, aber bereits 17 Mal geputscht. Zehntausende Menschen riskieren ihr Leben, um das Militär friedlich zu entmachten. Über eine Revolution, die noch lange nicht zu Ende ist. Aus Khartum informiert Bernd Dörries

Von Bernd Dörries

Natürlich ist sie wieder auf die Straße gegangen, als das Militär putschte. So wie Islam Yousef immer auf die Straße gegangen ist in den vergangenen Jahren, um gegen die Militärherrschaft zu kämpfen, und für mehr Demokratie. Als die Offiziere im Oktober wieder putschten, war sie gerade auf dem Weg zu ihrer letzten Prüfung an der Universität, und kurz darauf unter den Demonstranten.. Beim zweiten Mal, am 25. Oktober, kam sie direkt aus dem Büro, schloss sich den Hunderttausenden an, die im Sudan gegen die Offiziere demonstrierten. Und von denen mindestens 44 den Kampf um ein neues Land mit dem Tod bezahlten.

So geht das im Sudan seit drei Jahren. Während manche Bürger in einigen Ländern Europas und in den USA etwas demokratiemüde erscheinen, ist das bei den meisten Menschen im Sudan anders. Seit 2018 vergeht kaum eine Woche, in der nicht für mehr Demokratie demonstriert wird. Und Menschen sind bereit, ihr Leben zu opfern. Sie haben große Erfolge erzielt, den ewigen Diktator Omar al-Baschir aus dem Amt gedrängt und ins Gefängnis. Sie haben aber auch Rückschläge erlitten, wie im Oktober, als das Militär wieder putschte, den zivilen Premierminister verhaftete und die Regierung entmachtete. "Es ist ein langer Kampf", sagt Yousef.

Immer wieder in den vergangenen Jahren hat die SZ Islam Yousef in Khartum getroffen, oder mit ihr telefoniert, den Kampf um ein anderes Land begleitet. Yousef ist 29 Jahre alt, sie hat gerade ihr Studium beendet, aber schon davor Menschen vor Gericht vertreten, denen das Militärregime übel mitspielte. Sie stand im Mai 2019 inmitten des großen Protestcamps vor dem Hauptquartier der Militärs, auf dem Hunderte Gruppen, Parteien und Initiativen ihre Stände aufgebaut hatten: Es war ein Volksfest der Demokratie, das wenig später von der Armee niedergeschossen wurde. Yousef sagte danach den Satz, den sie so oft gesagt hatte in den vergangenen Jahren: "Wir müssen immer weiter kämpfen, immer weiter."

Fast drei Jahre später sitzt sie in einem Büro in Khartum, die Sonne geht draußen gerade unter, taucht alles in ein nachsichtiges Orange. "Damals habe ich gedacht, es geht nur darum, immer wieder auf die Straße zu gehen, zu kämpfen und zu kämpfen, immer weiter. Heute weiß ich, es geht um viel mehr, um gute Führung, um Wissen, um Parteien, die gute Minister auswählen. Um so vieles."

17 Mal hat das Militär schon geputscht

 

Der Satz klingt so, als spreche da ein erschöpfter Mensch, mancher Illusionen beraubt. Manchmal ist es so, manchmal denke sie daran, in ein anderes Land zu ziehen. Manchmal ist das Gegenteil der Fall, dann ist sie sich sicher, dass sie irgendwann erfolgreich sein werden. Und sei es in vielen Jahren. Yousef und viele andere Aktivistinnen im Sudan sind zähe Kämpferinnen, die sich aber auch selbst hinterfragen; die ihr Handeln aus der Nähe betrachten und ebenso im historischen Kontext.

Verletzte bei Protesten gegen den Militärputsch im Sudan; Foto: AFP/Getty Images
Verletzte bei einer Demonstration gegen den Militärputsch in Khartum. "Während manche Bürger in einigen Ländern Europas und in den USA etwas demokratiemüde erscheinen, ist das bei den meisten Menschen im Sudan anders,“ schreibt Bernd Dörries. "Seit 2018 vergeht kaum eine Woche, in der nicht für mehr Demokratie demonstriert wird. Und Menschen sind bereit, ihr Leben zu opfern. Sie haben große Erfolge erzielt, den ewigen Diktator Omar al-Baschir aus dem Amt gedrängt und ins Gefängnis. Sie haben aber auch Rückschläge erlitten, wie im Oktober, als das Militär wieder putschte, den zivilen Premierminister verhaftete und die Regierung entmachtete.“



Der Sudan ist ein Land, das es ohne den Kolonialismus nicht gegeben hätte, wild zusammengewürfelt von den Briten. Ein Gebilde, dessen Grenzen von manchen Einwohnern eher als Gefängnis empfunden werden, weil sie nie freiwillig zum Land gestoßen sind: Da sind die arabischstämmigen Sudanesen aus dem Norden, die den Ton angeben in Politik und Wirtschaft, und die afrikanischstämmigen, die entweder benachteiligt oder gleich grausam verfolgt werden, wie in der Region Darfur.

Seit 65 Jahren ist das Land unabhängig und so lange kämpft es eigentlich um eine Staatsform, die möglichst vielen Bürgern gerecht wird. Das Militär hat nie einen Krieg gegen irgendeinen Nachbarn geführt, aber 17 Mal geputscht. In drei Revolutionen haben die Bürger darum gekämpft, sich selbst zu regieren. Zwei Mal sind sie daran gescheitert, dass viele Menschen die zivile Alternative nicht viel besser fanden.

Und jetzt, im dritten Anlauf? "Wir Sudanesen sind nicht sehr geduldig", sagt Yousef. Schaue man zurück, auf den Sudan, wie er vor 2019 war, dann habe ihre Bewegung viel erreicht. Aus einem international geächteten Terrorstaat, der Osama bin Laden Unterschlupf gewährt hatte, wurde ein Staat, dem Europa und die USA Schulden erließen und ihn von der Sanktionsliste nahmen. Mit einigen Rebellengruppen im Land wurde Frieden geschlossen. Die lokale Währung stabilisierte sich zeitweilig so sehr, dass Islam Yousef sich das erste Mal traute, eine Rechnung in sudanesischen Pfund auszustellen anstatt in US-Dollar. "Wir haben viel erreicht, aber nicht jeder spürt das im täglichen Leben, vieles wird teurer, es gibt kaum Jobs."

Der Handelsminister landet in der Einzelzelle

 

Viele im Land waren unzufrieden, mit der neuen Regierung, die nach dem Sieg über al-Baschir eingesetzt wurde. Ein Kompromiss zwischen Zivilisten und Militärs. Der Premier und das Kabinett bestanden aus Technokraten, Politikern und Aktivisten der Demokratiebewegung. Überwacht wurden sie vom Souveränen Rat, in dem die Militärs um De-facto-Staatschef General Abdel Fattah Burhan und Milizenführer Mohammed Hamdan Daglo die Mehrheit hatten, aber auch Vertreter der Revolution zu finden waren.

Manchmal waren Aktivisten dabei, die direkt von der Straße in Ämter und Ministerien gespült wurden. "Man kann nicht einfach Leute ernennen, nur weil sie auf der richtigen Seite stehen, aber gar keine Qualifikationen haben", sagt Yousef. Sie hat schon vor Jahren bei einem von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Programm für Young Leaders mitgemacht, hat gelernt, wie schwierig es ist, in einem Land, in dem das Militär jahrzehntelang regierte, eine qualifizierte Elite aufzubauen, . "Wir dachten am Anfang, wir könnten gemeinsam lernen", sagt Yousef über die Aktivisten, die an die Macht kamen, aber es nicht immer besser machten als die Herrscher davor.

Ein Übergangsparlament hatte die Einigung auf eine zivil-militärische Macht vorgesehen. Die Armee hatte ihre Abgeordneten nominiert, die Zivilisten nicht, weshalb es bis heute keine Versammlung gibt. In der demokratischen Opposition gibt es Streit, in den vergangenen Monaten wurde der Ton rauer, die Zivilisten in der Regierung drohten den Militärs. Verstehen könne man das, sagt Yousef, schließlich sind darunter Mörder und Kriminelle. Aber wo führt es hin? "Man kann nicht den Militärs jeden Tag auf Facebook sagen, dass man sie ins Gefängnis bringen wird." Am 25. Oktober putschten sie. Diejenigen, die ihnen auf die Nerven gegangen waren, kamen ins Gefängnis.

Einen Monat lang habe man ihn im Gefängnis eingesperrt, in einer Einzelzelle, sagt Madani Abbas Madani. Vor ein paar Tagen hat ihn das Militär wieder aus der Isolationshaft entlassen, jetzt sitzt er in seinem Büro, ist aber offenbar guter Dinge. Schwach fühle er sich noch ein bisschen, sagt Madani. Viel mehr möchte er darüber nicht sagen. Wie man ihn behandelt hat? "Sie haben mir keine einzige Frage gestellt", sagt Madani. Mussten sie auch nicht, denn sie wussten ja, was Madani gemacht hatte, als er noch Handelsminister war, ernannt nach dem Sturz von al-Baschir.

General Abdel Fattah al-Burhan; Foto: Marwan Ali/AP/dpa/picture alliance
Sudans starker Mann und De-facto-Staatschef General Abdel Fattah Burhan. Das Militär im Land hat nie einen Krieg gegen irgendeinen Nachbarn geführt, aber 17 Mal geputscht. In drei Revolutionen haben die Bürger darum gekämpft, sich selbst zu regieren. Zwei Mal sind sie daran gescheitert, dass viele Menschen die zivile Alternative nicht viel besser fanden. Die Armee hatte nie die Aufgabe, das Land vor einem Angriff von außen zu beschützen oder aus anderen Gründen in den Krieg zu ziehen. Sie hat immer dem jeweiligen Herrscher gedient, der meist aus ihren Reihen kam und sich vor allem selbst bereichert. Wie groß ihr Reichtum genau ist, darüber gab es bisher nur Schätzungen.

Die Armee diente nicht dem Volk, sondern den eigenen Interessen

 

Davor hatte er in der Bürgerrechtsbewegung gearbeitet, in der Regierung wollte er den Bürgern zu ihrem Recht verhelfen, was den Putschisten nicht gefiel. "Die fürchten sich davor, dass die Opposition ihnen wegen der Menschenrechtsverletzungen den Prozess macht. Sie fürchten aber vor allem um die politische Ökonomie." Die Armee und die Milizen im Sudan hatten nie die Aufgabe, das Land vor einem Angriff von außen zu beschützen oder aus anderen Gründen in den Krieg zu ziehen. Es hat immer dem jeweiligen Herrscher gedient, der meist aus ihren Reihen kam. Die Armee dient nicht dem Volk, sondern ihren eigenen Interessen, dem Machterhalt und der Vermehrung ihres Reichtums. Wie groß der ist, darüber gab es bisher nur Schätzungen.

Madani wollte das ändern. Als Minister machte er sich auf die Spur der vielen Firmen, an denen das Militär beteiligt ist, und für deren Gewinne es nicht mal Steuern zahlt, deren Strukturen nie veröffentlicht wurden. "Wir mussten im Finanzministerium nach Unterlagen suchen und im Gewerberegister. Manche Firmen sind direkt auf das Militär registriert, manche auf ihre Generäle." Manche Firmen produzieren Waffen, manche Medikamente, manche bauen Autos zusammen.

Madani sagt, er habe eine Liste von 250 Firmen erstellt, die er mit dem Premierminister und den Generälen besprochen habe. Das Ziel: Die Firmen wieder in Staatsbesitz zu bringen oder in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Auch ein Public-Private-Partnership und andere Modelle seien denkbar gewesen. "In den Treffen sagte das Militär: Okay, kein Problem, wir brauchen die Firmen nicht, wir geben sie zurück. Hergegeben haben sie aber nur eine Goldmine, die Verluste macht."

Madani kann diese Geschichte nur erzählen, weil sich das Militär mit einem Teil der zuvor amtierenden Zivilregierung auch auf internationalen Druck hin verständigen musste. General Burhan und Premier Abdalla Hamdok hatten sich darauf geeinigt, dass vieles wieder so wird wie vor dem Putsch, dass der Premier wieder ins Amt und Minister ernennen darf. In vielen Gremien haben die Soldaten die Zeit aber genutzt, um sie mit ihren Günstlingen zu besetzen, weshalb Hamdok bei seinen Unterstützern den Rückhalt verliert, manchen gar als Verräter gilt. "Wir verhandeln nicht mit dem Militär", sagt Ex-Minister Madani. "Jeder Übergang sollte nur von Zivilisten geleitet werden. Das ist der Ruf der Straße, den können wir nicht ignorieren."

Es ist der Ruf der Zehntausenden Demonstranten, die wieder jede Woche auf die Straße gehen, denen die Zugeständnisse nicht reichen. Die glauben, das Militär werde die Macht nicht freiwillig hergeben. Im Jahr 2023 soll gewählt werden, auch die Milizen oder sogar die Generäle könnten sich zur Wahl stellen.

Der Kampf wird weitergehen, sagt Islam Yousef. Er wird auf der Straße weitergehen, aber auch in den Institutionen. Es gehe darum, politische Führer auszubilden, das nächste Mal die richtigen Leute an die richtige Stelle zu setzen. An Parteien mangelt es nicht im Sudan, sagt Yousef, an kompetenten aber schon. Sie werde immer wieder gefragt, warum sie nicht ihre eigene Bewegung gründen wolle. "Ich denke darüber nach", sagt sie.

Bernd Dörries

© Süddeutsche Zeitung 2021