Gefährliches Dreiländereck in Libyen

Die EU unterstützt libysche Grenzsicherungskräfte in der Region Ghadames. Doch Militärs vor Ort klagen über unklare Strukturen und mangelhafte Ausstattung. Die Schuld daran trage vor allem die Regierung in Tripolis. Valerie Stocker informiert.

Von Valerie Stocker

"Die Algerier wollen nicht mehr mit Libyen zusammenarbeiten. Sie sagen, unsere Grenzwache bestünde aus kriminellen Milizen, die mit den Schmugglern Geschäfte machen", beklagt Siraj Al-Muwafeq, der Bürgermeister der libyschen Oasenstadt Ghadames. "Damit haben sie wohl nicht Unrecht".

Ghadames war bereits während der Revolution gegen Muammar al-Gaddafi ein umstrittener Stützpunkt. Die kleine Ortschaft mit etwa 10.000 Einwohnern liegt im Dreiländereck zwischen Libyen, Tunesien und Algerien. Der Ort wirkt zwar ruhig, doch die umliegenden Gebiete entziehen sich jeder Kontrolle. Selbst für den Besuch der nahe gelegenen Sanddünen empfiehlt der Bürgermeister von Ghadames Polizeischutz: Man wisse ja nie, was passiert. Denn extremistische und kriminelle Netzwerke verbreiten sich in der Region.

"Drogen strömen ein, Waffen strömen aus"

Die libysche Armee befindet sich mehr als zwei Jahre nach der Revolution gegen Muammar al-Gaddafi noch im Aufbau - und hat es nur bedingt geschafft, die damaligen Rebellen zu integrieren. Sie ist mit dem Grenzschutz überfordert: "Weite Teile der 1000 Kilometer langen Grenze zu Algerien sind nahezu unzugänglich. Das Dreiländereck ist eine zusätzliche Herausforderung. Wie sollen wir diese ganze Zone überwachen?" fragt ein Kommandeur der Grenzwache in der Region von Ghadames, der anonym bleiben möchte.

Ein Mann und ein Mädchen in der libyschen Wüste; Foto: Valerie Stocker/DW
The European Union is supporting Libyan officials in working out a strategy for border management as part of the EU's border assistance mission, EUBAM. Yet the security situation in Libya remains unstable

Die Grenzwache ist Teil der Armee, besteht jedoch bislang vor allem aus mehr oder weniger autonomen Brigaden. Der Kommandeur versucht nicht, die Lage zu beschönigen: "Drogen strömen ins Land, Waffen aus. Auf der algerischen Seite tummeln sich Al-Kaida-Kämpfer und profitieren davon."

Luftabwehrraketen aus Gaddafis Arsenal in den Händen von Extremisten?

Ghadames ist rund 600 Kilometer von der Hauptstadt Tripolis entfernt. Südlich der Oase beginnt die Rote Hamada, eine unbewohnte Steinwüste, in der Öl gefördert wird - und nördlich geht die Wüste in eine Berglandschaft über: Das erschwert die Arbeit der Grenzwache. "Die Schmuggler kennen sich bestens aus und wählen unvorhersehbare Routen durch Dünen und Bergtäler", sagt der Kommandeur. Im Unterschied zu der Zeit vor der Revolution seien sie heute schwer bewaffnet. "Wären wir besser ausgestattet, könnten wir zumindest in der näheren Umgebung Konvois stellen."

Diese Probleme sind den Behörden in Tripolis und ihren internationalen Partnern bekannt. Derzeit erwägt die libysche Regierung den Kauf eines satellitengesteuerten Überwachungssystems für die Grenzzonen. Bislang sei die militärische Aufklärung nicht sehr effizient, denn die hin und wieder über der Region kreisenden Kampfjets könnten die Schmugglerkonvois von der Luft aus gar nicht ausmachen, meinen Grenzwächter. Hubschrauber seien dafür besser geeignet, könnten aber auch leichter vom Boden aus abgeschossen werden. Tausende von tragbaren Luftabwehrraketen aus Gaddafis Arsenal seien verschollen und man befürchtet, dass viele davon in den Händen extremistischer Gruppen gelandet sein könnten.

Kritik an Regierung in Tripolis und internationaler Kooperation

Die libysche Regierung will vor allem die Bodentruppen stärken. Mehr als 1000 Grenzsoldaten durchlaufen derzeit eine mehrmonatige Ausbildung, Hunderte von Kadetten habe diese bereits abgeschlossen und sollen nun die Brigaden ersetzen. Ob letztere bereit sein werden, Verantwortung abzugeben, ist noch offen.

Altstadt Ghadame, Libyen; Foto: Valerie Stocker/DW
UNESCO declared Ghadames' historic old town as a World Heritage site in 1986, but tourists have been scared off from visiting

Die Europäische Union unterstützt im Rahmen der zivilen Grenzschutzmission EUBAM die libyschen Behörden bei der Ausarbeitung einer integrierten Strategie für Grenzmanagement. Auch das Bundeskabinett hat im Sommer beschlossen, dass sich Deutschland mit Beamten der Bundespolizei sowie der Polizei der Länder an der Mission beteiligt. In Ghadames haben EUBAM-Sicherheitsexperten bereits mehrere Fachtrainings für Zollbeamte und Grenzpolizisten durchgeführt.

"Die Briten, die Deutschen, die UN: Alle möglichen Delegationen waren bereits hier. Aber konkrete Ergebnisse gibt es bis heute nicht", sagt der Kommandeur aus Ghadames. Schuld daran sei aus der Sicht des Militärs in erster Linie die Staatsführung, die sich in Tripolis in Sicherheit wiege und keine klaren Strukturen vorgebe. Von der internationalen Gemeinschaft erhofft man sich dennoch weitere technische und logistische Hilfe.

UNESCO-Weltkulturerbe ohne Besucher

Am offiziellen Grenzübergang zu Algerien, 15 Kilometer von Ghadames entfernt, passiert wenig. Die Schmuggelrouten führen hier nicht vorbei. "Der Tagesdurchschnitt liegt bei zwei Fahrzeugen, die die Grenze überqueren", sagen die Polizisten, die sich im Schatten eines Gebäudes ausruhen. Migranten sind dabei nicht mitgezählt. Nach Angaben der libyschen Grenzwache kommen täglich Dutzende Menschen zu Fuß aus Algerien an. Aufgehalten werden sie selten: Kaum jemand scheint bereit zu sein, die Verantwortung dafür zu übernehmen.

Am einstigen Knotenpunkt von Karawanenrouten Ghadames wird heute kaum noch Handel getrieben. Der Ort lebt von der Landwirtschaft und vielen staatlichen Subventionen. Vor der Revolution war auch der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. Die UNESCO hatte die Altstadt von Ghadames 1986 zum Weltkulturerbe erklärt. Doch wegen der anhaltenden Sicherheitsrisiken werden die Touristen kaum in absehbarer Zeit zurückkehren. Während die Stadt inmitten der Palmenhaine schlummert und die Bewohner auf bessere Zeiten hoffen, herrscht draußen in der Wüste weiterhin Gesetzlosigkeit.

Valerie Stocker

© Deutsche Welle 2013

Deutsche Welle Redaktion: Alexandra Scherle/ Qantara.de Redaktion: Arian Fariborz