Der Meister des mystischen Gesangs
Man muss es schon erlebt haben, wie Sheikh Hamza Shakkur seine Zuhörer allein durch seinen Gesang in einen geradezu tranceähnlichen Zustand versetzte. Er besaß nicht nur sängerisches Talent, sondern auch eine kräftige, klangvolle und umfangreiche Stimme, die in der Lage war, einen Gegenpart zum Orchester darzustellen und den ganzen Raum zu erfüllen.
Seine musikalische Intuition bezieht er aus einer spirituellen Kraft, die den Zuhörer in die mystische Tradition des Sufismus hineinzieht. Seine Bassstimme, die ein sehr wohl abgestimmtes Timbre hat, machte ihn zu einem der bekanntesten Sänger in der arabischen Welt.
Die Grundlagen des geistlichen Gesangs
Hamza Shakkur wurde 1944 in Damaskus geboren. Schon früh erhielt er eine gründliche Ausbildung in Gesang und Koranrezitation nach den traditionellen Regeln, wie sie in Syrien überliefert werden. Sein Vater war der Muezzin der Moschee in seinem Viertel. Er selbst brachte dem kleinen Shakkur die Grundlagen des geistlichen Gesangs bei. Bereits mit zehn Jahren übernahm Hamza Shakkur diese Aufgabe und wurde so der Nachfolger des Vaters.
Bis zum Schluss konnte er keine Noten lesen. Doch konnte er Tausende von Gesängen vortragen, deren Texte und Melodien er in seinem Gedächtnis bewahrte.
Im Kreis der Mystiker der Sufigemeinschaften begann er, sich auch mit dem Gesang der mystischen Liebe zu beschäftigen, einer Ausdrucksform, die in der arabischen Welt gesellschaftlich auch heute noch hoch angesehen ist. Nach intensiver Beschäftigung mit dem gesamten geistlichen Repertoire des Islam war er ein gefragter Sänger. Auch für den Rundfunk machte er zahlreiche Aufnahmen.
Später wurde er auch Chorleiter der Munshiddin (Rezitatoren) der Großen Moschee von Damaskus und trat dort bei offiziellen religiösen Zeremonien auf, was ihn in Syrien überaus populär machte. Die Große Moschee in Damaskus gehört zu den wichtigsten Heiligtümern des Islam überhaupt.
Die Gemeinschaft der "drehenden Derwische"
Shakkur gehörte zur traditionellen Gesangsschule von Damaskus. Er fühlte sich für den Orden der al-Mawlawiyya, der Gemeinschaft der "drehenden Derwische", verbunden und kümmerte sich um die Kontinuität ihres Repertoires. Bekannt wurde diese Gemeinschaft durch ihren rituellen Drehtanz, den Inbegriff orientalischer Mystik. In ihren weißen, weit schwingenden glockenförmigen Röcken und mit ihren kamelhaarfarbenen Filzhüten drehen sie sich zu klassischer Musik und Gesang.
Die Sufis glauben, dass sich alles Leben in einer ewigen Drehbewegung befindet, aus der alles entsteht, besteht und vergeht. Ihr ritueller Tanz symbolisiert diese spirituelle Quelle der sufischen Mystik. Gerät der Tänzer in Trance, so erlebt er sich als in der Liebe Gottes aufgehoben, als Teil dieser ewigen göttlichen Bewegung.
"Wenn das Herz vor Freude springt, die Verzückung groß ist und die Erregung kulminiert, fallen die gewöhnlichen Formen ab, der Zustand ist weder Tanz noch körperlicher Genuss, sondern das Aufgehen der Seele", schreibt der große Sufi-Meister Ibn Taymiya im 13. Jahrhundert.
Trance und Meditation durch Gesang
Diese mystische Bruderschaft traf sich an bestimmten Orten, genannt zawiya, und hütete die Originallieder, die in Suiten (waslats), in besonderen Modi (maqamat) und Rhythmen eingeteilt wurden.
Die Große Ummayyaden Moschee von Damaskus besitzt ein spezielles Gesangsrepertoire, in dem heilige Suiten als nawbat bekannt sind, ein Terminus, der ursprünglich für die weltlichen Lieder verwendet wurde, die im arabischen Andalusien entwickelt wurden und dort unter dem Namen muwashahat bekannt wurden.
Ein Sänger wie Sheikh Hamza Shakkur, der üblicherweise von einem Chor begleitet wird, nahm sich aus dem Repertoire der Moschee die Nennung des göttlichen Namens (Dhikr) und die Geburt des Propheten (mawlid) heraus und trug sie in einer sehr ausdruckstarken Weise vor, wobei er den Rhythmus in fast rigoroser Art zur Unterstützung seines Gesangs einsetzte. So gelang es ihm, die versammelten Zuhörer nach und nach in Trance oder in ein Stadium der Meditation zu versetzen.
Der Brückenschlag in den Westen
1983 gründete Hamza Shakkur mit dem Franzosen Julien Weiss das Ensemble Al Kindi, mit dem es ihm gelang, diese Musik in Europa und Amerika bekannt zu machen.
Das Ensemble hat sich auf die Musik des arabisch-andalusischen Raums spezialisiert und sein Repertoire enthält sowohl religiöse als auch weltliche Themen. Seine Interpretationen waren eng an die der Tradition angelehnt. Weiss setzte dabei ein arabisches Tacht-Ensemble mit den Instrumenten arabische Laute, Oud, die Flöte Nay, die Zither Qanoun und verschiedene Rhythmusinstrumente ein.
Dabei wählte er Lieder mit besonders abwechslungsreichen Rhythmen und Melodien aus, die die musikalische Phrasierung und das Improvisationstalent Hamza Shakkurs eindrucksvoll demonstrierten. Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass die Einheit einer Liederfolge und ihr musikalischer Modus erhalten blieben und die Lieder so gespielt wurden, wie sie traditionell überliefert waren.
Die menschliche Seele Gott näher bringen
Sheikh Hamza Shakkur war ein religiöser Mensch und trug einen religiösen Titel. Trotzdem sang er nicht nur religiöse, sondern auch profane Lieder. Er folgte der Tradition der Sufigemeinschaften, in denen die Musik geradezu ein integraler Bestandteil ihrer religiösen Zeremonien darstellt und die Musik das Medium ist, mit dessen Hilfe sich die Seele der Menschen dem Göttlichen nähern kann.
Seine besondere Vorliebe galt der gesanglichen Improvisation von Layali, Mouwashahat und Mawal. Er beherrsche die Gesetzmäßigkeiten des arabischen, gefühlsbetonten Gesangs, Tarab genannt, wie nur ganz wenige, und verstand es, sich intuitiv auf die Gefühlslage des jeweiligen Publikums einzustellen, es mitzureißen und zu begeistern.
Suleman Taufiq
© Qantara.de 2009
Diskographie:
- Sufi Songs of Damascus (Audio CD Long Distance - 2000)
- Takasim & Sufi Chants From damascus (World Network 27) (Audio CD - 2006)
- Le Chant de Les Derviches Tourneurs de Damas Le Chant du Monde/ Harmonia Mundi (CMT 574112324)
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