Mit Bild und Wort für Afrika

Der Senegalese Ousmane Sembène zählte zu den Gründervätern der afrikanischen Literatur; doch da das geschriebene Wort die Menschen in Afrika nicht erreichte, wandte er sich erfolgreich dem Film zu. Ein Nachruf von Heinz Hug

Ousmane Sembène; Foto: ousmanesembene.com
Ousmane Sembène ging filmisch und literarisch stets eigene Wege und arrangierte sich nie mit den senegalesischen Eliten

​​Dass die afrikanische Literatur in die Jahre gekommen ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass von ihren Gründervätern bereits einige gestorben sind: Léopold Sédar Senghor, Mongo Beti, Francis Bebey - und nun auch Ousmane Sembène. Vergangenen Samstag ist er nach längerer Krankheit im Alter von 84 Jahren bei Dakar verstorben.

Wie die anderen trug Sembène wesentlich zum Entstehen der afrikanischen Literatur seit den fünfziger Jahren bei. 1956 veröffentlichte er "Le docker noir", seinen ersten Roman. Ein Jahr später folgte "Oh pays, mon beau peuple". Beide handelten vom individuellen Kampf gegen den bedrückenden französischen Kolonialismus.

Unter den kolonialen Demütigungen hatte der 1923 geborene Sembène zur Genüge gelitten: als Schüler, der wegen eines Konflikts mit einem korsischen Lehrer von der Schule gewiesen wurde, als Soldat in der französischen Armee, als Arbeiter bei Citroën in Paris und als Hafenarbeiter in Marseille.

In Frankreich begann er zu schreiben, fand er doch in den Bibliotheken der Confédération générale du travail und der Kommunistischen Partei - beide Organisationen waren für Sembènes Bewusstseinsbildung entscheidend - nur Bücher über Afrika, deren Perspektive er nicht teilen konnte. Dem kolonialen Blick wollte er einen authentischen entgegenstellen.

Das Kino als Schule

Der Beginn der sechziger Jahre brachte für Sembène eine Wende. Zum einen gelang ihm mit dem breit angelegten Roman "Gottes Holzstücke", der vom Streik der afrikanischen Eisenbahnarbeiter an der Linie Dakar-Thies-Bamako handelt, der literarische Durchbruch.

Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass mit Büchern nur ein kleiner Kreis seiner Landsleute zu erreichen war - zu wenig war das Lesen in französischer Sprache in Senegal verwurzelt. Wolof, die wichtigste Sprache des Landes, bildete keine Alternative. Einen Ausweg sah Sembène im Film. Er liess sich zum Regisseur ausbilden - in der Sowjetunion, obwohl er 1960 aus der KP ausgetreten war.

Insgesamt drehte Sembène rund ein Dutzend Filme, zum Teil Verfilmungen seiner Erzählungen oder Romane. Schreiben allerdings blieb für ihn "die vollständigere Kunst, in der man den Menschen in seiner ganzen Tiefe erforschen kann".

Das Kino verstand Sembène als "Abendschule", als "permanentes Forum des Künstlers und seines Publikums". Hier setzte er seinen Kampf gegen die Kolonialisierung und andere Formen der Unterdrückung fort.

​​Wie wichtig Kino für das senegalesische Bewusstsein war, hatten auch die Franzosen erfasst - in den Kolonien verschafften sie sich von Anfang an das Monopol. Sembène führte auch einen langen Kampf für die afrikanische Filmproduktion und -distribution.

Die senegalesische Unabhängigkeit veränderte Sembènes künstlerisches Engagement. An Themen fehlte es ihm, der stets Macht und Machtmissbrauch einer fundamentalen Kritik unterzog, nicht. Vor allem die (männlichen) postkolonialen Eliten in Politik, Bürokratie und Wirtschaft erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen nicht.

Von ihnen handeln Sembènes Satiren "Die Postanweisung" und "Chala", deren Verfilmung an die Geschlossenheit seines Erstlings "Borom Sarret" indes nicht herankommt. Dennoch gehören sie - wie auch "Ceddo" (1976) - zu den sehenswertesten Filmen des subsaharischen Afrika.

Starke Frauen

Mit fast achtzig Jahren erfuhr Sembènes filmische Kreativität einen neuen Höhepunkt. Wie sein jüngerer und verspielterer Kollege Dijbril Diop-Mambéty begann er unter dem Titel "L'héroïsme au quotidien" eine Trilogie der "kleinen Leute".

Ihre Hauptfiguren, Faat Kiné im gleichnamigen Fim und Maman Collé in "Moolaadé", sind eigenständige, kraftvolle Frauen, die sich in der von den Männern bestimmten Gesellschaft durchsetzen und alte Traditionen und lieb gewonnene Verhaltensweisen in Frage stellen:

Faat Kiné als alleinerziehende Mutter, die den sozialen Aufstieg schafft, und Maman Collé, die sich gegen die Genitalverstümmelung bei den Mädchen stellt und für ihre Freiheit und diejenige aller Frauen im Dorf eintritt. In beiden Filmen gelang es Sembène, Didaktik und Poetik dermassen auszubalancieren, dass Meisterwerke entstanden.

Ousmane Sembène war ein aussergewöhnlicher Intellektueller und Künstler: kein "Kind" der Kolonialschule, kein Studium in Paris oder London - er entstammte einer Familie von Fischern in der Casamance im Süden Senegals, und ging den schwierigen Weg eines Autodidakten.

Mit den senegalesischen Eliten arrangierte er sich nie, obwohl er 1993 den Grossen Preis des Präsidenten der Republik erhielt. Auch die Eliten betrachteten ihn nicht als einen der Ihren. In Birago Diops Memoiren, einer ausführlichen Beschreibung der senegalesischen Literaturszene, blieb er unerwähnt. Die afrikanische Literatur-und Filmgeschichte hat Diop längst widerlegt.

Heinz Hug

© Neue Zürcher Zeitung 2007

Qantara.de

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