Die sieben Kuppeln der Liebe

Am 12. März jährt sich der 800. Todestag des persischen Dichters Nizami. Der Verfasser von "Chosrou und Schirin" und der berühmtesten Fassung von "Layla und Madschnun" gilt als der Vollender der mittelalterlichen persischen Versepik. Ein Nachruf von Stefan Weidner.

Porträt des Dichters Nizami; Foto: David Chamberlain
"Was vergeht, ist die Zeit, nicht aber die Liebe. Mag sonst alles nur Tand und Gaukelei und Einbildung sein: Sie ist es nicht. Denn das Kohlenbecken, auf dem sie brennt, ist die Ewigkeit selbst, die weder Anfang noch Ende hat", schrieb einst Nizami.

​​Sucht man im Orient nach einer Entsprechung für die antike und mittelalterliche europäische Versepik, muss man in den persischen Sprachraum blicken.

Dort finden wir, so Goethe, jenen "zarten, hochbegabten Geist, der die lieblichsten Wechselwirkungen innigster Liebe zum Stoffe seiner Gedichte wählt".

Oder, ebenfalls Goethe, nur schmissiger: "Dem Aas eines faulenden Hundes versteht Nizami eine sittliche Betrachtung abzulocken, die uns in Erstaunen setzt und erbaut." Nizami?

Mehr als "Tausendundeine Nacht"

Ilyas ibn Yusuf Nizami, geboren 1141 n. Chr. in Gandscha, Aserbaidschan und dort gestorben heute vor 800 Jahren gilt als der Vollender der mittelalterlichen persischen Versepik.

Ohne dass es groß aufgefallen wäre, liegen von diesem Dichter gegenwärtig über 2000 Seiten auf deutsch vor, und pünktlich zum diesjährigen Jubiläum hat der Manesse Verlag "Chosrou und Shirin" in der bewährten Übersetzung von Christoph Bürgel wiederaufgelegt. Berühmter und wohl auch zugänglicher ist jedoch Nizamis "Haft Paikar", zu deutsch "Sieben Bilder".

Dieses Epos liegt in zwei konkurrierenden Übersetzungen vor, von denen die eine in Wahrheit eine paraphrasierende, den Ton von 1001 Nacht anschlagende Nacherzählung der sieben Liebesgeschichten im Zentrum des Versepos ist. Sie stammt vom früh verstorbenen Basler Orientalisten Rudolf Gelpke und liegt unter dem Titel "Die sieben Geschichten der sieben Prinzessinnen" vor. Bei diesen Erzählungen handelt es sich allerdings um mehr als ein paar Kunstmärchen à la "Tausendundeine Nacht".

Haft Paikar: "Die sieben Bilder"

In der ersten dieser Geschichten berichtet der auf geheimnisvolle Weise in paradiesische Gefilde gelangte Erzähler, wie er jeden Abend erneut auf einem Festgelage in der Nähe der Königin verbringen darf. Doch statt seine Begierden, die sie voller Absicht weckt, zu erfüllen, verweist sie ihn auf die anderen Schönen, die sich ihm umstandslos zur Verfügung stellen.

Nach dreißig Nächten hält er es trotzdem nicht mehr aus und macht Anstalten, die Königin zu vergewaltigen – da findet er sich plötzlich im grauen Alltag wieder, unter lauter Schwarzgekleideten, die, wie er, mangels Beherrschung kurz vor dem Ziel ihrer Wünsche versagten.

Die Meisterschaft dieser längsten Erzählung erweist sich auch daran, dass sie das Frustrationserlebnis als kaum noch vermittelbares präsentiert. Es ist gleich mehrfach in erzählerische Rahmen eingebunden und erscheint als ein Ereignis, das selbst durch den einfühlsamsten Bericht nicht adäquat nachempfunden werden kann, das man nur begreift, wenn man es selbst erlebt.

Menschliche Abgründe und zeitlose Modernität

Was man von diesem Epos erst seit der integralen Übersetzung von Christoph Bürgel aus dem Jahr 1996 (erschienen im C.H. Beck Verlag) auf deutsch lesen kann, ist die mehr als die Hälfte des Textes ausmachende Rahmenerzählung:

​​Als es dem Prinzen Bahram nach etlichen Kämpfen gelingt, die Macht in seiner Heimat und schließlich über die Welt an sich zu reißen, lässt er die Kuppeln bauen und empfängt in ihnen die sieben Prinzessinnen, die ihm die Geschichten erzählen. Während sie erzählen, zerrütten Bahrams Statthalter das Reich. So zieht er hernach noch einmal aus und ordnet seine Herrschaft, um schließlich das tun zu können, was er unter den Kuppeln aus den Geschichten gelernt zu haben glaubt: Er entsagt der Welt und verschwindet während seiner letzten Jagd in einer Höhle.

Die Abgründe und die zeitlose Modernität, die Nizamis Werk weit über das Gros mittelalterlicher Versepik erheben, treten erst im Blick auf die Gesamtkomposition hervor. So wird die patriarchalisch geprägte Welt der Rahmengeschichte, in der sich alles nur zwischen Harem, Jagdausflügen, Zechgelagen und Krieg abspielt, in dem Mikrokosmos der sieben Geschichten völlig von Frauen beherrscht.

Komplexe Stoffgeschichte

Vom Stoff her sind die meisten Versepen Nizamis im wesentlichen Fortdichtungen altbekannter vorderorientalischer Legenden. So ist Nizamis "Layla und Madschnun" die persische Fassung einer der ältesten arabischen Legendenstoffe (deutsch ebenfalls in der Übertragung von Rudolf Gelpke).

"Chosrou und Schirin", Nizamis viertes Versepos, das jetzt bei Manesse wieder aufgelegt worden ist, schildert das Schicksal eines weiteren klassischen Liebespaars der orientalischen Literatur, das zwei Jahrhunderte vor Nizami der persische Nationaldichter Firdausi in seinem Shahname, dem "Königsbuch", bereits einmal vorkommen lässt.

Noch komplexer ist die Vorgeschichte von Nizamis längstem Versepos, dem "Alexanderbuch" (Eskandarnameh). Es ist eine hochverdichtete Aufbereitung der auch im europäischen Mittelalter kursierenden Alexandererzählungen, die alle auf eine gemeinsame griechische Version zurückgehen.

Anklänge an orientalische Märchen

Liest man heute in der Übersetzung die Werke Nizamis, sind es freilich weniger der virtuose Umgang mit der Tradition und die stilistische Komplexität, die den Leser ansprechen, als die Anklänge an die orientalischen Märchen. Erst sie lassen uns den Anknüpfungspunkt finden, von dem aus wir tiefer in sein Werk eindringen können.

Einsteiger sind daher mit der erwähnten Nacherzählung Rudolf Gelpkes gut bedient. Wer sich dann packen lässt, wird für die genaueren und poetischeren Übersetzungen Christoph Bürgels umso dankbarer sein.

Stefan Weidner

© Qantara.de 2009

Die Werke von Nizami liegen im Manesse Verlag und im C.H. Beck Verlag auf deutsch vor.

Qantara.de

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