Wachsende Aufgaben, fehlender politischer Wille

Die Intensivierung der Kooperation zwischen der EU und den südlichen Anrainerstaaten stockt. Grund dafür ist vor allem der Nahostkonflikt. Doch hat sich auch zwischen Nord und Süd noch keine als gleichberechtigt wahrgenommene Partnerschaft entwickelt, wie Daniela Schwarzer berichtet.

Mubarak, Sarkozy und Ban Ki Moon beim Gründungsgipfel der Mittelmeerunion in Paris; Foto: dpa
Ausgebliebener Quantensprung für eine regionale Kooperation? Gründungsgipfel der Mittelmeerunion am 13. Juli 2008 in Paris

​​Am 14. Juli 2009 jährt sich der Jahrestag der Gründung der Union für das Mittelmeer zum ersten Mal. Die Bilanz wird nüchtern ausfallen. Der Quantensprung in der regionalen Kooperation, den Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy forcieren wollte, ist ausgeblieben.

Die Zusammenarbeit unter der neuen Überschrift "Union für das Mittelmeer", ist von den gleichen Problemen belastet wie die bisherige Mittelmeerpolitik der Europäischen Union.

Noch keine Antworten auf große Herausforderungen

Die Herausforderungen der Mittelmeerregion sind seit Jahren klar benannt: Sie betreffen die Folgen des Klimawandels für die Region und wachsende Energieversorgungsnotwendigkeiten, das Wohlstandgefälle und den anschwellenden Migrationsdruck, den Terrorismus ebenso wie weitere Sicherheitsprobleme, die mit der repressiven Natur einiger Regimes in der Region zusammenhängen.

Außerdem bleiben die Verschmutzung des Mittelmeers, die Verknappung von Trinkwasser sowie die Zerstörung bzw. Verschmutzung natürlicher Lebensräume und Landwirtschaftsgebiete in den Küstenregionen für die allermeisten Anrainerstaaten sehr ernst zu nehmende Probleme, die nicht im nationalen Alleingang bewältigt werden können.

Wirksame politische Antworten zur Bearbeitung dieser Herausforderungen stehen trotz verschiedener bilateraler und europäischer Ansätze zur Zusammenarbeit noch aus. Dies ist auch deshalb problematisch, weil die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise insbesondere die sozialen und wirtschaftlichen Instabilitäten in der Region noch verschärfen dürfte.

Die politische Zusammenarbeit zwischen der EU und den südlichen Anrainerstaaten ist nicht neu. Bereits im Jahre 1995 intensivierte die Europäische Union ihre Politik in der Region mit der so genannten "Euro-Mediterranen Partnerschaft" (auch "Barcelonaprozess" genannt) und verstärkte die institutionalisierten Beziehung der Europäischen Union (EU) zu ihren Nachbarländern im südlichen Mittelmeerraum in Form von Handels-, Kooperations- oder Europa-Mittelmeer-Abkommen.

Überdies wurde ein permanentes parlamentarisches Kontrollgremium, die Euromediterrane Parlamentarische Versammlung, eingerichtet. Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik kamen ab 2004 intensivierte bilaterale Beziehungen der EU zu einigen Staaten des südlichen Mittelmeerrands hinzu.

Meilensteine und Hindernisse

Vor dem Hintergrund dieser bestehenden Politiken wurde im Jahr 2008 die Union für das Mittelmeer ins Leben gerufen. Hiermit sollte der Zusammenarbeit ein neuer Impuls verliehen werden, in dringlichen Politikfeldern wurden konkrete Projekte zur Verstärkung bestehender Politiken lanciert und die Strukturen der Zusammenarbeit sollten durch die Schaffung einer Doppelpräsidentschaft und eines Generalsekretariats gestärkt werden.

Karte Grafik Mittelmeer; Foto: DW
Die Mittelmeerunion, an der insgesamt 43 Staaten beteiligt sind, soll dem bereits vor 14 Jahren gestarteten Barcelona-Prozess der EU neuen Schwung geben und zu Frieden und Zusammenarbeit in der Region beitragen.

​​ Erste Meilensteine bei der Einrichtung der Union für das Mittelmeer wurden Ende vergangenen Jahres erreicht. So ist die neu eingerichtete Doppel-Präsidentschaft von Frankreich und Ägypten im Amt.

Seit dem Treffen der Außenminister der beteiligten Staaten im November 2008 ist überdies Barcelona als Sitz des Generalsekretariats beschlossen. Vorbereitungen für die ersten Projekte in Ergänzung zum Barcelonaprozess wurden begonnen, etwa zur maritimen Sicherheit oder zur Gewinnung von Solarenergie.

Doch über Monate lag die Zusammenarbeit praktisch brach. Die Eskalation des Nahostkonflikts Ende 2008 führte dazu, dass nicht nur die politischen Treffen, sondern auch die Kooperation auf Arbeitsebene auf Eis gelegt wurde. "Aufgrund der Nahost-Krise finden derzeit keine Treffen im Rahmen der Mittelmeerunion statt", hieß es in einer Stellungnahme des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag im Februar 2009.

Heikle diplomatische Beziehungen

Tatsächlich wurden auf Druck einiger arabischer Länder Treffen auf politischer wie auf Arbeitsebene zunächst ausgesetzt. So tagt im ersten Quartal 2009 auch der "Ständige Gemeinsame Ausschuss" in Brüssel nicht, ein Gremium, das der Gründungsgipfel schuf, um ein schnelles Zusammentreten im Krisenfall zu gewährleisten.

Beim Pariser Auftaktgipfel zur Union für das Mittelmeer im Juli 2008 hatten sich die 43 Teilnehmerstaaten um das Thema Nahostkonflikt herum gerettet, indem sie von einer politischen Erklärung absahen. Das Außenministertreffen im November 2008 wurde um Kompromisse zwischen der israelischen und der arabischen Seite gerungen:

Erstens wurde auf Drängen einiger arabischer Staaten der Sitz des Generalsekretariats nicht in ein arabisches Land gelegt – was aus Sicht dieser Länder ein Zuviel an Normalisierung der Beziehungen zu Israel bedeutet hätte.

Zudem wurde der Status der Arabischen Liga geklärt: Sie kann bei allen Treffen im Rahmen der Mittelmeerunion dabei sein, verfügt aber über keine Abstimmungsrechte. Für dieses Zugeständnis bekam Israel den Posten eines stellvertretenden Generalsekretärs versprochen. Doch diese anfängliche Kooperationsbereitschaft der arabischen und der israelischen Seite zerfiel in Folge der israelischen Bombardierung des Gazastreifens im Dezember 2009.

Keine gleichberechtigte Partnerschaft

Vier weitere Herausforderungen neben dem Nahostkonflikt belasten die Zusammenarbeit im Mittelmeerraum. So hat sich erstens keine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen den nördlichen und den südlichen Anrainern etabliert.

Ägyptens Premier Mubarak und Frankreichs Staatschef Sarkozy auf der Abschlusspressekonferenz des Gipfels in Paris; Foto: dpa
Die Mittelmeerunion wird noch immer vornehmlich als Projekt der EU, wenn nicht sogar als Projekt französischer Interessenpolitik wahrgenommen.

​​ Noch immer wird die Mittelmeerunion im südlichen Raum vornehmlich als Projekt der EU, wenn nicht sogar als Projekt französischer Interessenpolitik wahrgenommen.

Dies ist teilweise sicherlich der Herangehensweise und Kommunikation des französischen Staatspräsidenten geschuldet, liegt aber ebenso an mangelnden Initiativen und der derzeitigen Blockadehaltung einiger Länder am südlichen Mittelmeer.

Zudem verhält sich die Türkei zurückhaltend, die als umstrittener EU-Beitrittskandidat verhindern will, dass mit der Mittelmeerunion eine Alternative zu einer EU-Mitgliedschaft aufgebaut wird.

Zweitens ist fraglich, ob der derzeit verfolgte Ansatz gesellschaftlichen und politischen Wandel in der Region ausreichend unterstützt, der nötig sind wird, um dauerhaft die Stabilität und politische Verlässlichkeit in der Region zu steigern.

Als Frankreich seine ersten Vorschläge zur Mittelmeerunion formulierte, frappierte Beobachter der scheinbare Abschied von politischer Konditionalität in der Herangehensweise – also der Versuch, die Zusammenarbeit mit den südlichen Anrainerstaaten an Auflagen (etwa hinsichtlich der Einhaltung rechtstaatlicher Normen) zu knüpfen.

Bruch mit den Ansprüchen des Barcelonaprozesses

Fahnen der EU und Türkei; Foto: AP
Reservierte Haltung der Türkei: Als umstrittener EU-Beitrittskandidat will Ankara verhindern, dass mit der Mittelmeerunion eine Alternative zu einer EU-Mitgliedschaft aufgebaut wird.

​​Die Union für das Mittelmeer privilegierte entsprechend von Anfang an Projektzusammenarbeit vor großen politischen Vorstößen, etwa hinsichtlich des Respekts der Menschenrechte und der Umsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien.

Dies stellt einen Bruch mit den Ansprüchen des Barcelonaprozesses dar, der das europäische Engagement in der Region vor allem auch als Beitrag zur Transformation der wirtschaftlichen und politischen Systeme in der Region verstand.

Doch die im Rahmen der projektbezogenen Zusammenarbeit vonstatten gehende Entpolitisierung der Kooperation, gepaart mit einer nur unzureichend entwickelten Einbindung der Zivilgesellschaft in den südlichen Anrainerstaaten, dürfte die Transformationskraft der EU-Mittelmeerpolitik nicht fördern, vielleicht sogar reduzieren.

Eine Politik, die Transformationsprozesse nicht ernsthaft unterstützt, dürfte aber den mittel- und langfristigen Sicherheitsinteressen der EU-Mitgliedsstaaten entgegenlaufen.

Schließlich stellt die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise eine Herausforderung für den Erfolg der Mittelmeerpolitik dar: Ein Großteil der zu lancierenden Projekte basiert darauf, dass Förderkredite, private Gelder und Staatsfonds in der Region mobilisiert werden.

Doch die Krise hat die Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft reduziert. Das bestehende Budget für die Mittelmeerpolitik der EU – rund 16 Milliarden Euro im Haushalt 2007 bis 2013 – dürfte daher nicht maßgeblich durch zusätzliche Gelder ergänzt werden.

Die wirtschaftlichen und sozialen Spannungen in der Region und unter anderem der darauf resultierende Migrationsdruck dürften hingegen – aufgrund der unmittelbaren Folgen der Krise – deutlich zunehmen.

Hinzu kommen könnte in Folge knapper Staatsfinanzen eine reduzierte Investitionsbereitschaft in Umwelt, Infrastruktur, Energie und Bildung in der Region. Dies würde sich negativ auf die Entwicklungschancen der südlichen Anrainerstaaten auswirken.

Wechselnder Fokus

Die Zukunft der Mittelmeerpolitik hängt nicht nur von den Entwicklungen direkt in der Region ab, sondern auch mit davon, welche Bedeutung die EU ihren jeweiligen Nachbarschaftsräumen in Zukunft beimisst. Traditionell schwankt die Aufmerksamkeit zwischen Süden und Osten, je nachdem, welches EU-Land den Ratsvorsitz hält.

Unter deutscher Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 galt die Aufmerksamkeit fast ausschließlich dem Osten. 2008 richtete sich der Fokus unter Pariser Regie auf den Süden.

Nun wird das Pendel in Richtung Nordosten zurückschwenken, wenn die derzeitige tschechische und ab Juli 2009 die schwedische Ratspräsidentschaft die von Schweden und Polen vorgeschlagene "Östliche Partnerschaft" voranbringen werden.

Diese regionale Fokussierung ist aufgrund der jeweiligen geopolitischen Interessen der EU-Mitgliedstaaten nachvollziehbar. Die Herausforderung bleibt jedoch, eine für alle europäischen Partner akzeptable Balance zwischen den geografischen Räumen zu finden und die größten Kooperationshürden zu überwinden.

Daniela Schwarzer

© Qantara.de 2009

Daniela Schwarzer leitet die Forschungsgruppe EU-Integration der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Qantara.de

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  • Forschungsgruppe EU-Integration der SWP