Jenseits des Schleiers

Eine Superheldin im Arabischen Frühling, mythische Frauenfiguren in der Wüste: Die Ausstellung "Zwischen Zonen" zeigt zeitgenössische Kunst von Frauen aus der arabischen Welt - und verzichtet dabei bewusst auf Kopftuch-Debatten. Von Julia Hitz

Von Julia Hitz

Wenn es um das Thema Frauen und den arabischen Raum geht, beherrscht oft ein bunter Strauß an Vorurteilen den medialen und gesellschaftlichen Diskurs im Westen: Unterdrückung, Gewalt und Rückständigkeit sind oft reproduzierte und prägende Vorstellungen. Der arabisch-persische Raum ist gleichzeitig zu einem Inbegriff von Chaos, Krieg und Zerfall geworden.

Dieser zweifachen Vereinnahmung versucht sich die Ausstellung im Marta Herford konsequent zu entziehen. Sie will den Besucher öffnen für die Fragen, mit denen sich weibliche Künstlerinnen aus so unterschiedlichen Ländern wie Iran, Libyen, Jordanien und Tunesien auseinandersetzen. Die Arbeiten schärfen den Blick für Zwischenräume und Zustände des Dazwischen-Seins, die sich in den palästinensischen Flüchtlingslagern genauso manifestieren, wie in den Wüstenlandschaften, die viele dieser Länder prägen.

Leben im Ungewissen

Der Zustand des Dazwischen-Seins ist aktuell wohl keiner Gesellschaft tiefer eingebrannt als in der palästinensischen. Die in Kuwait geborene Künstlerin und Architektin Saba Innab war Teil eines Teams, das das Flüchtlingscamp Nahr el Bared im Norden Libanons wieder aufbaute.

Der komplexe Charakter des Projektes brachte die Künstlerin dazu, ihre Ausgangsfrage neu zu formulieren: Anstatt "Wie baut man ein Lager wieder auf?" fragte sie "Wie baut man ohne Land?". Auch das Werk "Time is Measured by Distance (III)" verdichtet eine Paradoxie: Eine Treppe im Raum hat ihre Funktion verloren, die Bewegungsmöglichkeiten sind erschöpft - diese Spannung wird im Objekt nicht aufgelöst, bleibt gefangen. "In den nun fast 70 Jahren der Diaspora haben die Palästinenser den Zustand des Temporären, des Flüchtigen verinnerlicht - das interessiert mich", berichtet die Jordanierin.

Die Künstlerinnen Moufida Fedhila, Ala Younis, Amina Menia, Sama Alshaibi und Saba Innab (v.l.r.); Foto: DW
Komplex und fernab von Klischees: Zu sehen sind in der Ausstellung "Zwischen Zonen" rund 70 Werke von neun Frauen, die in Ländern wie Jordanien, Algerien, Libanon oder Iran geboren sind. Zum Teil leben sie heute im Westen. Unter den Werken sind Fotografien, Videos und Installationen. Die Ausstellung ist noch bis zum 24. September 2017 zu sehen.

Die Identität von Geflüchteten

Sama Alshaibi weiß genau, wovon Saba Innabs Arbeiten handeln: "Du hast keinen Ort, an den du zurückkehren kannst, keinen Ort, wo du hin kannst. Und dort, wo du bist, bist du auch nicht willkommen." Die 1973 im Iran geborene irakische Palästinenserin hat ihr Leben zu großen Teilen als Flüchtling verbracht. Auch in den USA lebte sie lange illegal, bevor ihr politisches Asyl gewährt wurde.

"Ein Flüchtling oder Vertriebener zu sein, das ist eine eigene Identität", sagt sie. In ihren Fotografien thematisiert sie Krieg und Exil auf subtile Weise, sie will die Ausstellungsgänger nicht schockieren, sondern ihnen ein neues Narrativ anbieten: Für ihr Projekt "Sisala" reiste sie sieben Jahre in die entlegensten Wüsten im arabischen und nordafrikanischen Raum. Entstanden sind Videos und Fotografien mit Sama Alshaibis Körper als verbindendem Element.

Migration als globales Thema

Die von Alshaibi entworfene Flüchtlingswelt ist die der Wüste. Der Klimawandel ist für sie ein zentrales Thema. Umso besorgter schaut sie auf die Entwicklungen in den USA seit der Präsidentschaft von Donald Trump.

[embed:render:embedded:node:28202]Probleme spitzen sich jetzt zu, die schon lange existierten. "Das Gute ist vielleicht, dass sich nun der allgemeine Fokus auf die Flüchtlingsproblematik richtet", so Alshaibi. Als junges Mädchen sei sie oft frustriert gewesen, dass sich nur Wenige für die Problematik interessierten. "Zumindest das hat sich jetzt geändert und ermöglicht eine ganz andere Auseinandersetzung."

Die Kriege im Nahen Osten sind in der Ausstellung nur hintergründig präsent. "Viele Arbeiten handeln von Gewalt aber nur in einer sehr subtilen ästhetischen Weise", so der Kurator Michael Kröger. Moreshshin Allahyari nimmt beispielsweise mit ihren Arbeiten die Zerstörungswut des so genannten Islamischen Staats (IS) in den Fokus: Die im Iran geborene und heute in den USA lebende Künstlerin hat 3D-Skulpturen von Artefakten rekonstruiert, die der IS 2015 zerstört hat.

Aber nicht nur das: Die Informationen zum Re-Print der Skulpturen sind digital in den Skulpturen eingelassen - als Memory-Card und Flash-Drive. Sie beinhalten die kompletten Informationen ihrer Materialrecherche: Bilder, Karten, pdf-Dateien und Videos von den Monaten vor der Zerstörung des jeweiligen Objektes.

Wacklige Freiheit

Mit humorvollen, aber auch provokanten Performances und Interventionen macht Moufida Fedhila auf Missstände in ihrem Heimatland Tunesien aufmerksam. Das Land war die Wiege des Aufbruchs, hier begann der sogenannte Arabische Frühling: "Die ersten Monate war es, als hätte sich die Tür zum Paradies geöffnet, eine totale Freiheit, in der sich jeder alles vorstellen konnte - künstlerisch und für die Zivilgesellschaft."

Moufida Fedhila als "Super-Tunisian", Foto: privat
Moufida Fedhila als "Super Tunisian Woman": Kurz nach Beginn des Arabischen Frühlings 2012 machte die Künstlerin eine Performance im öffentlichen Raum in Tunesien. Die Tunesier diskutierten gerade, ob und wie die Verfassung geändert werden soll. Im Kostüm des Comic-Helden "Superman" sind sie und andere junge Tunesier in der Performance "Super-Tunisian" zu sehen. Sie hinterfragen die tunesische Politik und animieren zum Protest. Ein Video davon gibt es in der Ausstellung.

In der Performance "Super-Tunisian" forderte sie - stilecht im Superwoman-Cape - ihr Publikum dazu auf, sich an den Protesten gegen die Staatsmacht zu beteiligen. Mittlerweile hat sich in Tunesien Ernüchterung eingestellt und auch die neueren Arbeiten von Moufida Fedhila zeigen ein gespaltenes Verhältnis zum Staat Tunesien. Mit ihren Arbeiten taucht sie in die Zivilgesellschaft ein, sucht den direkten Kontakt. "Ich glaube an die transformative Kraft von Kunst", so Moufida.

Von den subtilen Arrangements der jordanischen Künstlerin Ala Younis bis zu den vielschichtigen Bedeutungsebenen der Fotografien von Amina Media aus Algerien - die Schau im Marta Herford zeigt die Arbeiten neun sehr unterschiedlicher Künstlerinnen. Warum aber eine Ausstellung nur mit Frauen? Das schreckte die beteiligten Künstlerinnen zunächst ab. Kurator Dr. Michael Kröger musste harte Überzeugungsarbeit leisten.

"Ich war zuerst sehr skeptisch - eine Ausstellung, die nur Frauen zeigt?", erinnert sich Saba Innab mit hoch gezogenen Augenbrauen. "Natürlich stehe ich ganz und gar für weibliches Empowerment ein. Aber hier musste ich mir zuerst die Frage stellen: Werden wir zu Objekten gemacht? Zu einer Gruppe von Exotinnen?" Moufida Fedhila und Sama Alshaibi ging es zunächst ganz ähnlich. Es war die Auswahl der teilnehmenden Künstlerinnen, die schließlich den Ausschlag gab, so Alshaibi. "Ich kannte Arbeiten der anderen Künstlerinnen, alles sehr eigenständige, smarte, starke Werke - eine solche Ausstellung kann es leisten, dem Publikum zu vermitteln, wie unterschiedlich, komplex und fernab von Klischees Kunst von Frauen aus dieser Region sein kann."

Julia Hitz

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