Schwindende Hoffnung

Vier Monate nach dem Atomabkommen sind die UN-Sanktionen gegen den Iran zwar weitgehend aufgehoben, doch die amerikanischen Handelseinschränkungen bleiben weiterhin in Kraft. Sie hindern europäische Finanzinstitute daran, in das Iran-Geschäft einzusteigen. Im Iran macht sich Enttäuschung breit. Von Ali Sadrzadeh

Von Ali Sadrzadeh

"Vernunft und Hoffnung" – diese Worte sind gemeinhin abstrakte Begriffe. Aber nicht im Iran. Dort gehören sie zum praktischen und täglichen Sprachschatz von Politik und Journalismus. Vernunft und Hoffnung scheinen im Iran weder geistig noch unwirklich zu sein, sie haben sogar Namen und Adressen. In Medien und Ansprachen werden sie so oft benutzt wie andernorts Begriffe wie große Koalition, Regierungsmitglied oder Staatsspitze.

So sind die beiden Begriffe zum banalen Sprachwerkzeug des medialen Alltags verkommen. Und das Publikum ist wie immer gespalten. Die einen loben Vernunft und Hoffnung über alles, die anderen kritisieren sie und machen sich darüber lustig. Wiederum andere schauen weg und zucken mit den Schultern, wenn sie davon hören.

Ein raffinierter Plan

Der Grund dafür liegt darin, dass Präsident Hassan Rohani seine Regierung schon am ersten Tag auf diese beiden Begriffe einschwor. Das war, wie sich später herausstellte, kein einmaliger Vorgang, keine hingeworfene Politikerfloskel. Es war offenbar ein durchdachter Plan. Die Begriffe sind inzwischen zu einer offiziösen Bezeichnung, ja quasi zum Beinamen seiner Regierung mutiert. Seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren redet der Staatschef nicht von "meiner Regierung". Diese Vermeidung des Possessivpronomens hilft ihm – rhetorisch wie inhaltlich. Zumal es sich in der persischen Kultur und Kommunikation nicht ziemt, oft "ich" oder "mein" zu sagen. Deshalb spricht Rohani unablässig in der dritten Person, wenn er etwas mitzuteilen hat.

Das hört sich dann etwa so an: Die Regierung von "Tadbir wa Omid" – (dt. Vernunft und Hoffnung) habe diese Entscheidung getroffen, verfolge jene Politik, setze folgende Beschlüsse um – und so fort. Und weil Reporter bekanntlich Ver- und Abkürzungen mögen, liest man später in Berichten und Kommentaren häufig Formulierungen wie: "Vernunft und Hoffnung" wolle Subventionen kürzen, Steuern erhöhen oder Delegation entsenden.

Damit ist das Tor für Ironie und Verballhornung geöffnet – so weit, dass manche sich kaum noch vorstellen können, dass man die Worte Vernunft und Hoffnung anderswo mit Respekt und Demut benutzt.

Unbestreitbare Verdienste

Irans Präsident Hassan Rohani; Foto: Mehr
"Wenn es um Vernunft geht, gilt Rohanis Regierung im Vergleich zu der seines Vorgängers Ahmadinedschad durchaus als Verkörperung der Rationalität. Denn mit dem historischen Atomabkommen rettete Rohani das Land in der Tat vor der totalen Isolation, sogar vor einer militärischen Auseinandersetzung", schreibt Ali Sadrzadeh.

Wenn es um Vernunft geht, gilt Rohanis Regierung im Vergleich zu der seines Vorgängers Ahmadinedschad durchaus als Verkörperung der Rationalität. Denn mit dem historischen Atomabkommen rettete Rohani das Land in der Tat vor der totalen Isolation, sogar vor einer militärischen Auseinandersetzung.

Vor seinem Amtsantritt hörte man die Kriegsdrohung täglich, laut und von verschiedenen Seiten. In vielen Hauptstädten lagen damals ja bekanntlich "alle Optionen" auf dem Tisch. Es ist Rohanis Verdienst, den Iran mit vernünftiger Diplomatie ein Stück vom Abgrund entfernt, die verheerende Isolation des Landes gelockert zu haben.

Dass Mitglieder seines Kabinetts mehrheitlich vernünftige Technokraten sind, darin sind sich alle Beobachter einig. In keiner Regierung der Welt, außer jener in Washington, säßen so viele Absolventen von US-Unis wie im Kabinett Rohanis, schreiben iranische Journalisten, wenn sie den Staatschef loben – oder kritisieren wollen.

Jenseits, Diesseits und das Atomabkommen

Auch den Terminus "Hoffnung" wählte Rohani sehr bedacht; und er benutzt ihn bis heute sehr gezielt. Als geschulter Theologe und Prediger ist er sich der Wirkung dieses Wortes bei jedem gläubigen Schiiten bewusst. Denn das Hoffen auf den Retter, das Warten auf den verborgenen zwölften Imam ist, was das Schiitentum im Kern ausmacht. Die Islamische Republik mit ihrem Prinzip der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass ein Ayatollah stellvertretend im Namen des verborgenen Heiligen regiert, auf dessen baldiges Erscheinen jeder Schiit hoffen muss. Sonst ist er kein wahrer Gläubiger.

Vernunft und Hoffnung waren also strategische Begriffe, die Diesseits und Jenseits verbinden sollten. In der banalen Innen- und Außenpolitik ausgedrückt heißt das: Mit einer vernünftigen Außenpolitik – sprich mit einem Nachgeben in der Atomfrage – könne man reale Gefahren von der Islamischen Republik abwenden. Und das ist die höchste religiöse Pflicht, für die man, wie einst Republikgründer Khomeini sagte, sogar das tägliche Beten und das Fasten vernachlässigen dürfe.

Mit Vernunft kann man auch auf die Aufhebung der Sanktionen hoffen und ökonomisch ein besseres Leben erwarten. Hoffen und Erwarten haben auch einen irdischen Sinn.

Broschüre Investitionen im Iran auf dem deutsch-iranischen Geschäftsforum in Berlin; Foto: Getty Images/AFP/J. MacDougall
Ökonomischer Zeitenwende für den Iran? Heute geben sich in Teheran europäische Spitzenpolitiker und Wirtschaftsmanager die Klinke in die Hand. Ein Wirtschaftsmeeting folgt dem nächsten, die Zahl der Studien und Expertisen über die Möglichkeiten des Megamarkts Iran ist unübersichtlich. Seit der Aufhebung von Sanktionen gegen den Iran bemüht sich insbesondere die deutsche Wirtschaft intensiv um lukrative Aufträge aus dem Land. In den Jahren zuvor hatte sich der deutsche Export nahezu halbiert.

Drei Jahre nach seinem Amtsantritt hat Rohani die Hälfte dieses Weges gut und erfolgreich zurückgelegt. Der Islamischen Republik droht kein Krieg mehr. Auch die internationale Isolation ist weitgehend durchbrochen. Reisten etwa zu Zeiten Ahmadinedschads Abteilungsleiter europäischer Ministerien heimlich in den Iran – und nur wenn es unbedingt sein musste –, geben sich heute in Teheran europäische Spitzenpolitiker und Wirtschaftsmanager die Klinke in die Hand. Ein Wirtschaftsmeeting folgt dem nächsten, die Zahl der Studien und Expertisen über die Möglichkeiten des Megamarkts Iran ist unübersichtlich. Auch touristisch ist das Land inzwischen zu einer Art Geheimtipp avanciert.

Spott und trostlose Realität

Doch trotzdem will sich die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht erfüllen, jedenfalls nicht so schnell, wie Rohani es versprochen hat oder die Menschen es glauben wollten. Die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter, und mit ihr die Armut. Heute lebt ein Drittel der 80 Millionen Iraner offiziellen Angaben zufolge unter der absoluten Armutsgrenze.

"Die Hoffnung schwindet" – unter diesem zweideutigen Titel meldete in der vergangenen Woche die ultrakonservative Tageszeitung Keyhan zu Wort. Seit Vernunft und Hoffnung das Land regierten, seien 7.000 Fabriken mit jeweils 50 und mehr Mitarbeitern geschlossen worden.

Es ist wie eine Zeitenwende: Wollte man sich in der Vergangenheit umfassend über die iranische Wirtschaft informieren, waren dafür oppositionelle und ausländische Medien unentbehrlich. Doch heute ist das nicht mehr der Fall. Vor allem radikale Medien sind nun zum Sprachrohr der Verarmten mutiert. Die Misere der Wirtschaft ist ihr Hauptthema. "Vernunft und Hoffnung waren nichts anderes als leere Versprechen, um an die Macht zu kommen", so die Botschaft der mächtigen Hardliner, die in verschiedenen Variationen in den von ihnen kontrollierten Medien wiederholt wird.

Doch unabhängig von ihren politischen Motiven kommen die Momentaufnahmen der Radikalen der Realität doch sehr nahe. Allerdings ist Rohanis Regierung mit Sicherheit nicht oder nicht in erster Linie hierfür verantwortlich. Wollte man eine Rangliste der Gründe erstellen, wer oder was als Ursache für die Misere in Frage kommt, tauchte Rohanis Regierung darauf gewiss nicht an erster Stelle auf. Ganz oben rangierten neben den iranischen Radikalen jene Mächtigen in Washington, die Obamas Iran-Politik vereiteln wollen.

Wachmann vor petrochemischem Komplex Mahshahr, Khuzestan; Foto: picture-alliance/dpa/A. Taherkenareh
Keine rasche Hilfe für Irans kränkelnde Wirtschaft zu erwarten: Wegen der im Zusammenhang mit dem Atomstreit verhängten Zwangsmaßnahmen hatte der Iran in den vergangenen Jahren lediglich 2,85 Millionen Barrel Öl am Tag produzieren können. Auch geben sich bis heute viele europäische Finanzinstitute zurückhaltend, da längst nicht alle Sanktionen gegen den Iran aufgehoben worden sind. Vor allem in den USA sind zahlreiche Verbote weiter in Kraft. So ist derzeit die Abwicklung in Dollar noch nicht möglich.

Der Notenbankchef als Zeuge der Anklage

Die Sanktionen gegen den Iran sind offenbar nur auf dem Papier aufgehoben, im realen Geschäftsleben gibt es noch immer fast unüberwindbare Hindernisse, verursacht durch das US-Finanzministerium. Denn Geschäfte auf Dollarbasis sind den iranischen Banken seit 2008 untersagt, so dass der Iran nicht an sein Geld im Ausland herankommt, obwohl das Land dort genug Dollarkonten besitzt.

Weil dieses Verbot weiterhin in Kraft ist und es auch die Dollar-Konten bei europäischen Banken betrifft, kam es vor zwei Wochen am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington zu einem Eklat. Valiollah Seif, der Notenbankchef des Iran, der sonst eher als sanft und gelassen gilt, griff mit ungewöhnlich scharfen Worten die US-Administration an. Es sei Raub und Erpressung, wenn iranische Banken nach wie vor nicht an ihre Guthaben im Ausland herankämen und ihnen zahlreiche Geschäfte verwehrt blieben. Dies widerspreche den Vereinbarungen im Rahmen des Atomdeals, so Seif. Seit seinem bemerkenswerten Auftritt in Washington gilt der Notenbankchef den Hardlinern als Zeuge der Anklage gegen "Vernunft und Hoffnung".

Die ersten 33 iranischen Banken wurden zwar mittlerweile wieder in das Swift-System aufgenommen. Doch von Dollar-Transaktionen sind sie weiterhin ausgeschlossen. Und es spielt dabei keine Rolle, ob ein iranisches Geldinstitut Auftraggeber oder Empfänger von Zahlungen ist.

Bis heute macht sich eine europäische Bank in den USA strafbar, wenn sie im Auftrag eines iranischen Kunden Euro in Dollar oder umgekehrt wechselt. So sieht die Realität nach der Aufhebung der Sanktionen aus. Und das in einer Zeit, wo der größte Teil des internationalen Warenverkehrs immer noch in Dollar abgewickelt wird.

Außenminister Javad Zarif (l.) wird nach dem historischen Atomabkommen von iranischen Abgeordneten am 17. Januar 2016 im Teheraner Parlament beglückwünscht; Foto: Getty Images/AFP/A. Kenare
Verfrühter Jubel: Irans Außenminister Javad Zarif (l.) wird nach dem historischen Atomabkommen von iranischen Abgeordneten am 17. Januar 2016 im Teheraner Parlament beglückwünscht. Heute appelliert er an die USA: Niemand solle glauben, im Nahen Osten breche eine bessere Zukunft an, "wenn wir scheitern".

Blockierende Republikaner

Das US-Finanzministerium hatte zwar zugesagt, diese Regelung aufzuheben, doch bisher ist nichts dergleichen geschehen. Die Unsicherheit bleibe, weil den Banken nicht klar sei, welche Geschäfte sie wann machen dürften, sagen Banker in Europa. Um Probleme mit der US-Justiz und Milliardenstrafen zu vermeiden, lassen viele deshalb lieber ganz die Finger vom Iran-Geschäft.

Das Wall Street Journal hatte vor zwei Wochen berichtet, das US-Finanzministerium wolle europäische Banken mit Sondergenehmigungen ausstatten, um Dollar-Deals mit dem Iran zu erlauben. Kaum war diese Meldung in der Welt, da verkündeten einige republikanische Senatoren, man werde im Kongress einen Gesetzesvorschlag einbringen, um die Dollar-Sperre gegen den Iran aufrechtzuerhalten.

"Vernunft und Hoffnung" seien in Gefahr, schrieb vor Kurzem wörtlich der iranische Außenminister Javad Zarif in einem Gastbeitrag für die Washington Post. Der Artikel liest sich wie ein Hilferuf an die Mächtigen in Washington. Niemand solle glauben, im Nahen Osten breche eine bessere Zukunft an, "wenn wir scheitern", schrieb Zarif dort flehend und warnend zugleich.

Wenn die Amerikaner selbst mit dem Iran keine Geschäfte machen wollten, sei das ihr Problem: "Aber sie sollten die Europäer nicht daran hindern, mit uns Handel zu treiben."

Diesen Satz wiederholte Zarif in jüngster Zeit Dutzende Male in Washington. Wird er gehört? Schwer zu sagen. In Teheran jedenfalls hat Rohani zunehmend Schwierigkeiten, seinen Gegnern und Anhängern klar zu machen, dass "Vernunft und Hoffnung" doch noch Früchte tragen könnten.

Ali Sadrzadeh

© Iran Journal 2016