Weil ich eine Frau bin!

Filme iranischer Regisseurinnen ernten Preise auf allen internationalen Festivals - trotz der schwierigen Arbeitssituation für die Frauen. Fahimeh Farsaie beschreibt die Probleme, mit denen die Filmemacherinnen in Iran zu kämpfen haben.

Das Vorauswahlverfahren für das 21. internationale Filmfestival in Teheran im Februar 2003 verlief anders als sonst, nämlich ohne die Beteiligung der iranischen Cineasten und Filmemacher. Die zwanzig Spielfilme für den Wettbewerb wurden ausschließlich von fünf männlichen Regime-Funktionären ausgewählt.

Dieses Verfahren zeigt zugleich, dass das Kino in Iran nach wie vor von Männern bestimmt ist, obwohl in den letzten Jahren viele Filme bekannter Regisseurinnen auf internationalen Filmfestivals ausgezeichnet wurden: ‚Die verborgene Hälfte’ von Tahmine Milani auf den Festivals von Los Angeles und Kairo. ‚Unter der Haut der Stadt’ von Rakhschaneh Bani Etemad in Moskau. ‚Die schwarze Tafel’ von Samira Makhmalbaf in Cannes. ‚Der Tag, an dem ich Frau wurde’ von Marsieh Meschkini auf den Filmfestivals Venedig, Torento, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die beachtliche cineastische Präsenz der Frauen in einem Land, mit dem man sonst eher Frauen- und Menschenrechtsverletzungen assoziiert, ist kein Wunder, sondern die logische Reaktion auf die fatale und frauenfeindliche Politik des Gottesstaates Iran. Die islamische Regierung hat in dieser Hinsicht Geister gerufen, derer sie nun nicht mehr Herr wird. Sie propagierte während und nach der Revolution, dass sich Frauen am politischen und gesellschaftlichen Leben beteiligen sollen; gegen den Schah und den Einfluss Amerikas, für die Unabhängigkeit im Krieg gegen den Irak, für den Aufbau des Landes usw. Obwohl Frauen dieser Aufforderung verantwortungsbewusst folgten und sich dabei ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein aneigneten, setzten die Hardliner alle unter dem Schah-Regime durch harten Kampf erworbenen Frauenrechte wie das Scheidungs- und Sorgerecht wieder aus, teilten den Frauen die "heiligen familiären Aufgaben" zu und versuchten, sie "wieder nach Hause zu schicken".

Frauen wählten Khatami

Gegen diese rigide und sittenwächterische Politik wehrten und wehren sich die Frauen, insbesondere die intellektuellen. Sie kehrten 1997 dem milliardenschweren Expräsidenten Rafsandjani den Rücken, der mit seiner Öffnungspolitik in den 80er Jahren zwar den Lebensstandard der Iraner hob, an der Situation der Frauen aber nichts Wesentliches änderte. In seiner Zeit hofften Frauen, die Chance zu erhalten, ihre Persönlichkeit entfalten und ein halbwegs selbstbestimmtes Leben führen zu können. "Berechtigte Ansprüche", kommentierte Präsident Khatami in einer seiner Wahlkampfreden 1997 und gewann damit die meisten Stimmen der Frauen und gleichzeitig das Duell gegen die Hardliner in zwei aufeinander folgenden Legislaturperioden.

Von diesen berechtigten Ansprüchen handeln auch die Spielfilme der meisten iranischen Regisseurinnen. Seit dem Wahlsieg Khatamis 1997 ist es einfacher geworden, diese Themen cineastisch zu bearbeiten. Denn seine Anhänger sitzen nun auf den Chefsesseln der Farabi-Stiftung - die zuständige Instanz für Produktion, Vertrieb und die Auslandsrepräsentation iranischer Filme. Die Gefahr, Opfer der unberechenbaren Repressalien seitens der Hardliner zu werden, besteht dennoch weiterhin. Tahmine Milani hat es am eigenen Leib erlebt, als sie wegen ihres letzten Films ‚Die verborgene Hälfte’ im Oktober 2001 verhaftet und verhört wurde. Ihr wird die Zugehörigkeit zu einer "ketzerischen und subversiven Gruppe" vorgeworfen, weil der Film die politischen Aktivitäten der oppositionellen Organisationen nach der Machtübernahme der islamischen Regierung thematisiert. Diese turbulente Phase, die von Terrorakten und massenhaften Verhaftungs- und Hinrichtungswellen gekennzeichnet ist, wurde durch die Zensur respektive Selbstzensur völlig aus dem literarischen und cineastischen Gedächtnis Irans ausgeblendet. Tahmineh Milani ist die erste Künstlerin, die dieses brisante Thema hoch poetisch, human und mit beeindruckenden Bildern bearbeitet.

Wenige Filmemacherinnen zur Zeit des Schas

Die iranischen Filmemacherinnen sind nicht nur solchen Einschüchterungs- und den Zensurmaßnahmen der Behörden ausgesetzt. Sie haben gleichzeitig mit einer mächtigen und kulturell bedingten Sittlichkeit zu ringen. Denn sie übertreten mit ihrer Berufswahl an sich die ihnen noch immer eng gesteckten Grenzen von Tradition und Moral. Die bescheidene Anzahl der Filmemacherinnen unter dem Schah-Regime erklärt sich durch diese strengen Normen und Vorurteile, die die Frauen daran hinderten, hinter der Kamera tätig zu werden. Außer Shahla Riahi mit dem Film ‚Mardjan’ und Kobra Saiidi mit dem Film ‚Mani und Mariam’ war die zugleich berühmteste Lyrikerin Irans, Forugh Farokhzad, eine der drei Filmemacherinnen, die mit ihrem 1962 gedrehten Dokumentarfilm ‚Das Haus ist Schwarz’ international bekannt wurde. Ihre Studie über Leprakranke ist eine realistisch- poetische Anklage gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit mit einer mystischen Filmsprache, die immer noch die neuen Docu-Fiction Filme Irans prägt.Die Einstellung gegenüber den Filmschaffenden hat sich nach der Revolution und der Islamisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse (Schleierordnung, Geschlechtertrennung) relativiert. Dennoch war es nicht leicht, die Grundhaltung der Allgemeinheit zu ändern, dass keine ‚unehrenhaften Bedingungen’ im Filmbereich herrschen dürften und dass das Filmemachen kein sittenwidriger Beruf sei.

Vielleicht bewegten die gleichen Umstände den Vater der nun 41-jährigen Regisseurin Tahmineh Milani, einen sonst unkonventionellen Arzt, ihr entschieden zu verbieten, Regie zu studieren, nachdem sie ihr Abitur mit guten Noten abgelegt hatte. Die Tochter erwarb einen Studienplatz im Fach Architektur, beschäftigte sich aber gleichzeitig heimlich mit der Kinowelt. Nach all diesen Jahren kann die begabte Tochter nun, außer einem Architektur-Abschluss, bislang bereits sieben Filme vorweisen, die ihr internationalen Ruhm einbrachten.

Selbstbewusste Frauenfiguren

Dass die Frauen hinter der Kamera mit mehr Schwierigkeiten zu rechnen haben, als ihre männlichen Kollegen liegt u. a. an ihren Frauenfiguren. Diese sind meist selbstbewusst, aufgeklärt und wissensdurstig.

Zu Beginn der 90er Jahre war es schwierig, eine unkonventionelle Frauenfigur darzustellen. Tahmineh Milani hätte das ‚freche’ Mädchen ihres Filmes ‚Was gibt' s Neues’ (1992) in einen Jungen verwandeln müssen, wenn sie finanzielle Unterstützung bekommen wollte. Milanis freches Mädchen ist eine Studentin, die in einer Phantasiewelt lebt und aufgrund ihrer neuartigen Recherche von ihrem Literaturstudium ausgeschlossen wird. Die Kollision zwischen Tradition und Modernität ist eigentlich das Hauptthema des Filmes. Die konservativen Zeitungen kritisierten den Film gnadenlos, nachdem Milani ihn doch mit dem frechen Mädchen und einem Berg von Schulden privat produzierte. Sie befürchteten "eine fatale westlich orientierte kulturelle Auswirkung auf die Jugendlichen, auf ihr Benehmen und ihre Lebenseinstellung."

Inzwischen ist es selbstverständlich, nicht nur immerzu weinende und betende Dienerinnen als Leitbilder der Frauen in Filmen darzustellen. Die Filmemacherinnen müssen dennoch um ihren guten Ruf bangen, wenn sie sich für eine engagierte Frauenfigur entscheiden. Denn sie werden dann als westlich orientierte Feministin und Männerhasserin eingestuft und damit disqualifiziert. "Ich bin nur gegen das in unserer Gesellschaft dominante patriarchalische System. Das bedeutet aber nicht, dass ich etwas gegen Männer hätte", so die 47-jährige Regisseurin Derakhschandeh Bani Etemad, die bislang bereits sieben zum Teil preisgekrönte Filme drehte. Vehement beklagt auch sie die Diskriminierung in ihrem Beruf: "Im Vergleich zu den Männern habe ich als Filmemacherin mehr Schwierigkeiten, von meinen männlichen Kollegen und der Gesellschaft akzeptiert zu werden." Das gilt auch für ihren Filmstab: "Ich darf z. B. beim Drehen einer Szene mit 30 Komparsen nicht laut werden. Es wird mir übel genommen. So was passiert bei meinen männlichen Kollegen nicht."

Strenge und barsche Regisseurin

Ähnliche Erlebnisse hatte auch die Filmemacherin Milani, als sie ihren ersten und zweiten Film drehte: "Es war ersichtlich, dass viele meiner Mitarbeiter nicht einsehen konnten, dass eine junge Regisseurin über alles in der Szene bestimmt. Um unnötige Konflikte zu vermeiden, musste ich gegen meine Natur ganz streng und barsch mit ihnen umgehen. Daraufhin haben sie dann Unwahrheiten über mich verbreitet und gesagt, dass ich zickig bin oder Minderwertigkeitsgefühle habe ... Das hat mir nicht viel ausgemacht, weil ich mit meiner Haltung vorwärts kommen konnte."

Vorwärts kam die 52-jährige Film- und Fernsehregisseurin Pouran Darakhschandeh nicht, als sie einen mehrteiligen Dokumentarfilm über die Drogensucht und die damit verbundene Jugendkriminalität drehen wollte. Sie durfte die Schlafsäle der männlichen Jugendlichen im "Zentrum für Erziehung und Rehabilitation" nicht betreten. "Weil ich eine Frau bin", sagt die Filmemacherin, die bislang bereits sechs z. T. mit Preisen ausgezeichnete Spielfilme und zahlreiche Dokumentationen fürs Fernsehen drehte. "Oft stoßen wir auf Hindernisse, die so hoch sind wie eine Mauer, obwohl die Gesellschaft nun eingesehen hat, dass Frauen Schulter an Schulter mit den Männern arbeiten können. Das heißt, wir müssen auch überallhin Zugang haben."

Aber nicht zu den Schlafsälen der jungen Männer und nicht als Mitglied zu dem höchsten cineastischen Auswahlausschuss. Noch nicht!

Fahimeh Farsaie

Fahimeh Farsaie, geb. in Teheran/Iran, lebt und arbeitet in Deutschland. Veröffentlichungen (Auswahl): Die gläserne Heimat, Erzählungen (1989). Vergiftete Zeit, Roman (1991). Die Flucht und andere Erzählungen (1994). Hüte Dich vor den Männern mein Sohn, Roman (1998, Dittrich-Verlag - Übertragung Monika Matzke).