Ohne Kooperation ist keine Lösung möglich

In Nordafrika und Nahost gibt es genug Trinkwasser für Generationen, wenn die Ressourcen sparsam und effizient bewirtschaftet werden. Fathi Zereini, ein aus Palästina stammender Frankfurter Mineraloge, erläutert im Gespräch mit Hans Dembowski die Perspektiven.

Der Jordan, Foto: dpa
Heiß umkämpft - auf das Wasser des Jordan und das seiner Zuflüsse erheben Israel, Jordanien, Syrien und der Libanon Anspruch.

​​In den letzten Jahren hörte man oft, Kriege würden künftig um Wasser und nicht um Öl geführt. Was meinen Sie?

Fathi Zereini: Es ist eigentlich genug Wasser vorhanden. Aber Wasser wird als Waffe in politischen Konflikten benutzt – beispielsweise im Nahen Osten oder in Afrika. Die Regierungen haben die Konflikte vielleicht noch unter Kontrolle, aber wir wissen nicht, wie sich die Sache weiterentwickelt.

Es gibt Streit um Jordanwasser, um Nilwasser, um Flüsse aus der Türkei ...

Zereini: In der ganzen Region gibt es Wassersorgen. Aber eine vernünftige Politik mit einer sinnvollen Infrastruktur könnte die Probleme lösen. Wichtig ist vor allem, dass Wasser nicht sinnlos verschwendet wird. Es ist Unfug, fossiles Grundwasser aus der Sahara zu verwenden, um in Libyen Getreide anzubauen. Mit fossilem, nicht erneuerbarem Wasser müssen keine Erdbeeren in Saudi-Arabien bewässert werden. Südjordanien ist eigentlich zu trocken, um dort Kartoffeln anzubauen. Würde der Preis des Wassers realistisch in Rechnung gestellt, wären alle diese Agrarprodukte unerschwinglich. Sie sollten von dort importiert werden, wo es keinen Wassermangel gibt. Aber es gibt bislang kein Gefühl für den Wert des Wassers. Die Leute denken: „Es ist da, es gehört uns, wir machen damit, was wir wollen.“ Wasser wird verschwendet – ohne Gedanken daran, was in zehn, geschweige denn in hundert Jahren passiert.

Damit das Wasser für alle Menschen reicht, muss die Bewässerungslandwirtschaft zurückgefahren werden?

Sudanesischer Bauer mit Baumwolle, Foto: dpa
Trotz Wasserknappheit werden in vielen Ländrn der Region landwirtschaftliche Produkte, wie Baumwolle, Weizen oder auch Tomaten angebaut.

​​Zereini: In der Region Nahost/Nordafrika werden 70 Prozent der Wasserreserven landwirtschaftlich genutzt. Das ist eine enorm hohe Quote. Das Kilo Tomaten wird dort für ein paar Cent verkauft. Die Bauern verdienen fast nichts daran, aber sie verbrauchen eine riesige Menge an Wasser, das sie nicht bezahlen. Wer nichts oder deutlich zu wenig zahlt, achtet nicht auf Sparmöglichkeiten.

Wenn Sie einen realistischen Preis für Wasser fordern, werden die Reichen das Wasser kaufen und die Armen nichts bekommen.

Zereini: So darf man das nicht sehen. Denken Sie an das gesamte System: Es geht darum, was Bauern für das Wasser bezahlen und was sie für ihreProdukte bekommen. Auf dieser Ebene lohnt es sich, ökonomisch zu denken. Dann wird klar, dass es Gegenden gibt, die für Landwirtschaft geeignet sind, und andere nicht. Wir müssen nicht aus der Wüste blühende Landschaften machen.

Auf einzelstaatlicher Ebene gibt es keine Lösung?

Zereini: Das ist unmöglich. Das Nilwasser ist für viele Länder wichtig. Oder nehmen Sie den Jordan, den Syrer, Israelis, Palästinenser und Jordanier nutzen. Momentan beansprucht Israel den größten Teil des Wassers. Es ist aber nicht akzeptabel, dass israelische Siedler auf der Westbank große Plantagen und sogar Zierrasen bewässern, während die Palästinenser nicht einmal genug Trinkwasser haben. Es gibt keine Lösung, wenn jeder nur seinen Nutzen maximieren will. Langfristig schadet der verschwenderische Missbrauch allen. Also muss man sich zusammen Gedanken über die Zukunft machen. Auch Kriege würden den Konflikt nicht lösen. Soll Israel wegen Wasser auch noch Syrien oder den Libanon besetzen? Oder die Türkei Syrien? Militärischer Druck wirkt allenfalls kurzfristig – und zerstört mehr, als gewonnen werden kann.

Die Regierungen scheinen aber weder kooperationswillig noch -fähig.

Zereini: Selbstverständlich sind die Regierungen in erster Linie verantwortlich. Aber ich denke, es lohnt sich, die Bevölkerung einzubeziehen und regional unterhalb der Regierungsebene anzufangen. Das ist ein langfristiger Schritt. Ich stelle mir gemeinsame Projekte im Jordantal mit Palästinensern, Israelis und Jordaniern vor. Da wo die Menschen miteinander auskommen müssen, werden sie auch Wege finden das zu tun. Wenn sich an der Basis das Bewusstsein wandelt, werden auch die Regierungen darauf reagieren müssen.

Sie denken an die kommunale Ebene, an Genossenschaften ...

Zereini: Wir müssen die Bevölkerung erreichen. Sie hat bislang kein Bewusstsein für den Wasserverbrauch. Sparen ist unbekannt – und wegen des gesellschaftlichen Strukturwandels im arabischen Raum. Durch die Modernisierung der Haushalte mit Waschmaschinen, Spülmaschinen, Toilettenspülungen et cetera steigt der Bedarf. Es entstehen für den Tourismus große Hotelanlagen mit immensem Wasserverbrauch. Deutschland, Europa und die Geberländer insgesamt sollten versuchen, Verständnis für Alternativen beim Wasserverbrauch zu wecken – für neue Technologien, für Abwasserreinigung, für effizientere Bewässerungsstrukturen. Statt mit dem Schlauch zu gießen, kann man auch tropfenweise bewässern. Wir müssen den Leuten sagen, dass sie sparsam mit dem Wasser umgehen müssen, dass die Wasserqualität Schutz braucht, dass das Grund- und Oberflächenwasser nicht verseucht werden darf. Wir müssen weg von dem in Regierungen geläufigen Denken, mit aufwendiger Technik jede Menge Wasser herbeizuschaffen.

Der in Westeuropa übliche Wasserverbrauch ist in der Region nicht nachhaltig möglich?

Zereini: Nein, aber wenn wir sparsam sind, haben wir keine akuten Trinkwasserprobleme. Auch in Zukunft nicht. Für die Landwirtschaft müssen wir uns Alternativen überlegen, etwa die Nutzung von Abwasser. Wir können aber auch für alternative Erwerbsmöglichkeiten sorgen. Strukturwandel mag schwierig sein, aber er ist möglich, denken Sie an die Kohleregionen in Deutschland. Warum sollen Menschen unbedingt als Bauern in klimatisch ungeeigneten Ländern leben?

Für solch einen Strukturwandel brauchen Sie weit über den Wassersektor hinaus internationale Kooperation.

Zereini: Das ist klar, das steht alles in einem Zusammenhang. Aber im Nahen Osten gibt es hervorragende Möglichkeiten zur Gewinnung von Solar- und Windenergie, das kann man doch auch im Zusammenhang mit dem Wasserbedarf sehen. Die Europäer können eine gewisse Führungsrolle übernehmen. Sie verfügen über Erfahrung, Know-how und Kapital.

Die Europäische Union versucht durchaus auf die anderen Mittelmeeranrainer Einfluss zu nehmen. Der Erfolg scheint aber eher mager.

Zereini: Aus arabischer Sicht verfolgt die EU vor allem ihre eigenen Interessen. Es geht ihr beispielsweise um die Flüchtlingsthematik. Aber gegen die Armut lassen sich keine Mauern bauen. Machtverhältnisse spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Türkei hat gute Beziehungen zur EU und ist Mitglied der NATO.

In der Türkei werden Staudämme gebaut und große europäische oder amerikanische Investitionen getätigt. Dabei ist klar, dass diese Schritte mehr oder weniger zu Lasten von Nachbarländern wie Syrien und Irak gehen.

Ihrer Meinung nach verfolgt die Europäische Unionfortschrittliche Ansätze nicht konsequent genug?

Zereini: Die Entwicklungshilfe aus Europa ist meistens an Konditionen geknüpft. Ein Beispiel sehen wir jetzt nach den Wahlen in Palästina. Plötzlich heißt es, Ihr kriegt kein Geld, wenn Ihr nicht dies und jenes macht. Es wirkt immer so, als wollten die Europäer ihren Kopf durchsetzen, sich aber nicht wirklich mit den Problemen der Region auseinandersetzen.

Sehen Sie denn Chancen, mit der Hamas vernünftig zusammenzuarbeiten?

Zereini: In der Politik ist alles möglich. Arafat wurde als Terrorist bezeichnet und hat später den Friedensnobelpreis bekommen, Begin war ebenfalls ein so genannter Terrorist und hat sich dann mit Sadat ausgesöhnt. In Palästina haben wir das Oslo-Abkommen und ich nehme an, die Völker wollen das auch.

Es kommt aber auch auf die Ergebnisse an. Die palästinensische Bevölkerung will Fortschritte sehen – etwa, dass man sich von Dorf A zu B bewegen kann, ohne drei Stunden vor einer israelischen Militärkontrolle zu stehen.

Wenn sie Fortschritte sehen, werden sie die Leute, die das erreicht haben, wiederwählen. Wenn sie aber merken, dass die Bewegungsfreiheit beispielsweise im Gazastreifen immer weiter eingeengt wird, dass es immer noch nicht genug Medikamente gibt, dann wählen sie eben die Opposition. Palästinenser und Israelis müssen aber miteinander reden, sie haben keine andere Möglichkeit. Europäer und Amerikaner haben Mittel, um Druck auszuüben, sowohl auf die Palästinenser als auch auf die Israelis.

Aber wenn der Druck immer nur auf eine Seite ausgeübt wird, kommt es zu Gegenreaktionen. Seit Oslo sind 15 Jahre vergangen und die Bevölkerung in den palästinensischen Gebieten wird immer ärmer. Das ist keine friedliche Entwicklung.

Wichtige Politiker der Region verharren aber in pauschalen Vorstellungen von Gut und Böse. So lässt sich kein kohärenter Plan für alle entwickeln.

Zereini: Wir müssen langfristig denken. Wir müssen an einem Projekt oder einer Vorstellung arbeiten, wie diese Region sich in den nächsten Jahrzehnten weiterentwickeln kann. Darüber müssen wir mit den Regierungen und der Bevölkerung weiter diskutieren.

Die Geber haben Druckmittel und sollten sie konstruktiv nutzen, sie müssen aber darauf achten, dass sie glaubwürdig wirken. Bisher stehen ihre eigenen Partikularinteressen zu sehr im Vordergrund.

Gibt es denn Ansprechpartner für solch einen langfristig angelegten
Dialog?

Zereini: In den betroffenen Ländern leben Menschen, die denken wie ich, die wissen, dass es auf Dauer nicht so weiter geht wie bisher. In dem Buch, das ich mit Wolfgang Jaeschke zum Thema herausgegeben habe, stehen Aufsätze von Autoren aus Israel, Palästina, Jordanien und vielen anderen Ländern. Im Herbst veranstaltet unsere Gesellschaft eine internationale Konferenz über Wasser- und Luftqualität im Libanon.

Die Zusammenarbeit darf sich nicht auf die Regierungsebene beschränken, sie muss auch die Wissenschaft einbeziehen. Was die heute diskutiert, ist das Alltagswissen von morgen. Auch andere Gesellschaftsgruppen sollten beteiligt werden. Große Infrastruktur-Projekte sind für das Image und das Ego von Regierungen wichtig. Aber es sind die kleinen Schritte des Bewusstseinswandels, die wirklich weiterführen.

Hans Dembowski

© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 2006

Prof. Dr. Fathi Zereini lehrt an der Universität Frankfurt Mineralogie. Er ist der Vorsitzende der Deutsch-Arabischen Gesellschaft für Umweltstudien.

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Website Deutsch-Arabische Gesellschaft für Umweltstudien