Auch Exiliraker können wählen

Bis zu einer Million wahlberechtigte Exiliraker könnten an den Wahlen zur vorläufigen irakischen Nationalversammlung teilnehmen. Auch in Köln gibt es ein Wahllokal. Beate Hinrichs hat sich dort umgehört.

Bis zu einer Million wahlberechtigte Exiliraker, schätzt die Internationale Organisation für Migration (IOM), könnten vom 28. bis 30. Januar an den Wahlen zur vorläufigen irakischen Nationalversammlung teilnehmen. Die IOM organisiert im Auftrag der Unabhängigen Irakischen Wahlkommission ein Auslandswahlprogramm im Nahen Osten, in Nordamerika, Australien und Europa. In insgesamt 14 Ländern sind dafür 92 Millionen US-Dollar eingeplant. In Deutschland gibt es Wahllokale in Berlin, München, Mannheim und Köln. Beate Hinrichs hat sich im Kölner Wahllokal umgeschaut

Die ehemalige Kölner Kaserne Butzweiler Hof ist schwer bewacht: Auf den Straßen ringsum herrscht Halteverbot, Polizeifahrzeuge patrouillieren, Spähpanzer stehen auf dem Gelände. Alle Gebäude wurden von Sprengstoffexperten durchsucht, Kanaldeckel versiegelt, Betonsperren aufgestellt.

Besucher werden in einer Sicherheitsschleuse durchleuchtet. Denn in einem langgestreckten, zweistöckigen Gebäude der Kaserne haben Iraker und Irakerinnen sich für die Wahl zum irakischen Parlament registrieren lassen und werden dort auch ihre Stimme abgeben.

Sicherheit gilt als höchstes Gebot, auch wenn es keine Hinweise auf mögliche Anschläge gibt. Über 80.000 Iraker leben in Deutschland; in Köln erwarten die Organisatoren rund 18.000 Wähler, zum Teil auch aus den Nachbarländern Belgien und Niederlande.

Registrierung vor der Wahl

Wahlberechtigt ist jeder, der über 18 Jahre alt ist und die irakische Staatsbürgerschaft besitzt oder Anspruch darauf hat, weil beispielsweise der Vater Iraker ist. Wer mitstimmen will, musste sich jedoch zunächst, zwischen dem 17. und 25. Januar, registrieren lassen, das heißt, Identität, Nationalität und Alter mit zwei offiziellen Dokumenten nachweisen.

Zur Stimmabgabe müssen Iraker zwischen dem 28. und 30. Januar an den Ort der Registrierung zurückehren - für viele ein zeitraubendes und teures Unterfangen. Während Wähler in Deutschland Fahrgemeinschaften bilden und irakische Organisationen den Transport unterstützen, dürfen Iraker in Dänemark beispielsweise kostenlos mit der Bahn ins Wahlzentrum nach Kopenhagen fahren.

Das dänische Außenministerium will damit die Demokratisierung im Irak unterstützen. In Deutschland dagegen, so befürchtet der Journalist und Schriftsteller Majid al-Khatib, werden einige islamistische Gruppierungen, aber auch kurdische Organisationen ihre Anhänger mit Bussen zu den Wahlen fahren und weniger finanzstarke Gruppen und Personen bei den Wahlen benachteiligt sein.

Historische Chance

Im Butzweiler Hof in Köln ist auf Plakaten der IOM zu lesen: "Iraks Zukunft hat eine Stimme: Deine!" Und: "Egal, wo ich bin, mein Herz ist in der Heimat."

Die Werbung wirkt überflüssig - die Wähler kommen von selber. Der vielstrapazierte Begriff "historisch" trifft auf diese Wahl in den Augen der meisten Iraker zu.

"Unsere Generation hat nie die Chance gehabt zu wählen", sagt Majid al-Khatib, "die nutze ich auf jeden Fall! Außerdem kann man Terror und Chaos nur mit Demokratie besiegen."

"Der Irak braucht endlich eine starke, legitime Regierung, die nicht von den Amerikanern abhängig ist", ergänzt der Übersetzer Ali Mahmoud. Das irakische Übergangsparlament wird unter anderem einen Staatspräsidenten wählen und eine Verfassung entwerfen.

"Deshalb wollen wir verhindern, dass die Islamisten an die Macht kommen", begründen Ali Mahmoud und seine Frau Nakida, warum sie zur Wahl gehen, obwohl sie seit 26 Jahren in Deutschland leben. "Und darum gehen auch die meisten unserer irakischen Freunde wählen."

Wahlhelfer wurden ausgebildet

Freunde werden sie auch im Wahllokal treffen. Denn viele arbeiten dort als Wahlhelfer. "Innerhalb von zwei Wochen haben sich drei-, vierhundert Iraker gemeldet, von denen wir dann 96 als Wahlhelfer und Ordner eingestellt haben", schmunzelt Ammar Saeed vom örtlichen Organisationsbüro der IOM.

Haschim al-Maschad ist einer der Wahlhelfer, und er ist stolz darauf. "Meine Kinder haben gelacht, als ich, ein 62jähriger Mann, zu Hause saß und auswendig lernte, welche Vorschriften ich als Wahlhelfer einhalten muss! Aber ich geniere mich nicht. Unsere Landsleute, die uns ausgebildet haben, haben das mit Geduld und Liebe gemacht."

Innerhalb von zwei Wochen mussten die zehn Kölner Mitarbeiter der IOM Wahlhelfer ausbilden, Räume anmieten, die komplette Logistik auf die Beine stellen. Denn die Bundesregierung gab erst Ende Dezember ihre Zustimmung. "Sie sehen ja, was hier los ist", sagt Ammar Saeed von der IOM mitten im Getümmel am Butzweiler Hof, "aber wir haben's geschafft."

"Das Volk trägt Verantwortung"

Bleibt das Problem für die Wähler: Wie umgehen mit einem Wahlzettel, auf dem 111 politische Gruppen und Parteien stehen? Von vielen ist kaum mehr als der Name bekannt; aus Angst vor Anschlägen machen die Kandidaten selten Angaben über sich selbst.

Schakir Ammad, Chef einer Autowerkstatt in einem Kölner Vorort, sagt pragmatisch, natürlich wisse niemand so recht, wen er da wähle. Am besten kenne man die Mitglieder der jetzigen provisorischen Regierung, mit denen könne man ja erst mal anfangen. "Aber wenn ein Volksvertreter dann nicht in Ordnung ist, dann muss das Volk ihn das nächste Mal abwählen. Das Volk trägt auch eine Verantwortung dafür."

Haschim al-Maschad, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt, ermutigt alle irakischen Freunde, wählen zu gehen. "Ich sage ihnen nicht, für wen sie stimmen sollen, sie sollen einfach teilnehmen. Ich wähle die Wahl. Wahlzettel statt Blut."

Beate Hinrichs

© Qantara.de 2005

Website des "Iraq Out-of-Country Voting Program" (engl.)