Die Qual des Schriftstellers

Vom ägyptischen Autor Waguih Ghali, der mit seinem Bestseller-Roman "Beer in the Snooker Club" bekannt wurde, wusste man, dass von ihm handschriftlich verfasste Tagebücher existierten. Diese hat nun May Hawas entziffert und daraus eine äußerst lesenswerte zweibändige Publikation zusammengestellt. Von Marcia Lynx Qualey

Von Marcia Lynx Qualey

Seine Fans warten seit vier Jahrzehnten auf den ersten Band der "Tagebücher von Waguih Ghali". Der einzige Roman des ägyptischen Schriftstellers erschien 1964 unter dem Titel "Beer in the Snooker Club" und wurde von der Kritik positiv aufgenommen.

Die halbautobiographische Roman blieb Ghalis einziger großer Erfolg, aber sein Verfasser geriet nicht in Vergessenheit, sondern blieb über Jahrzehnte hinweg ein Kultautor, bewundert wegen seines variantenreichen Humors und seiner Beschreibung der Verhältnisse im Ägypten und Großbritannien der 1950er Jahre. Nach 2011 flackerte das Interesse an "Beer" wieder auf, als es sich anbot, eine Parallele zwischen Ghalis Darstellung der ägyptischen Revolution von 1952 und den aktuellen Ereignissen zu ziehen.

Der Untertitel des ersten Bandes, "An Egyptian Writer in den Swinging Sixties" (Ein ägyptischer Schriftsteller in den wilden Sechziger Jahren), ist als Einstieg in die Tagebücher etwas irreführend. Der Band enthält Einträge aus den Jahren 1964 bis 1966 - einer Zeit, in der Ghali in der deutschen Kleinstadt Rheydt lebte und arbeitete. Ein zutreffenderer Untertitel hätte lauten können: "Eine Abhandlung über Depressionen, Trunksucht und gescheiterte Liebesbeziehungen im Nachkriegsdeutschland", oder schlicht "Eine Selbstzerstörung".

In einem der späteren Einträge schildert Ghali, wie er eine schicke Party in Düsseldorf besucht, sich der freizügigen Lebensauffassung seiner Umgebung anpasst und eine ganze Reihe von Frauen küsst. Doch als Vorbemerkung zu der Episode schreibt er: "Ich mache mir eigentlich nicht viel aus diesen Dingen".

Repräsentativer sind Szenen mit dem betrunkenen Ghali, den rassistischen, gehässigen Eltern seiner jungen Freundin und der deutschen Provinzpolizei. Hätte Ram, der Protagonist von "Beer in the Snooker Club" diese Vorfälle geschildert, hätten wir Rams scharfsinnigen schwarzen Humor erwarten können. Aber der Erzähler in den Tagebüchern steht nicht über dem Geschehen. Er ist im Gegenteil rettungslos verstrickt in seine Obsessionen, seine Verzweiflung und sein Gefühl von Machtlosigkeit.

"The Diaries of Waguih Ghali: An Egyptian Writer in the Swinging Sixties, Volume 1" (published by AUC Press)
Der Untertitel des ersten Bandes seiner Tagebücher, "An Egyptian Writer in den Swinging Sixties", ist als Einstieg in die Tagebücher etwas irreführend. Der Band enthält Einträge aus den Jahren 1964 bis 1966 - einer Zeit, in der Ghali in der deutschen Kleinstadt Rheydt lebte und arbeitete. Ein zutreffenderer Untertitel hätte lauten können: "Eine Abhandlung über Depressionen, Trunksucht und gescheiterte Liebesbeziehungen im Nachkriegsdeutschland".

Als Erzähler des eigenen Lebens ist Ghali weniger Ram als Dostojewskis Kellerlochmensch, besessen von Liebesaffären, dem deutschen Volk, seinem eigenen Schreiben und der lähmenden Depressionen, die ihn im Januar 1969 in den Selbstmord trieben.

Zwischen Manie und Depression

Die Tagebücher beginnt Ghali im Mai 1964 mit der erklärten Absicht, seine geistige Verfassung zu stabilisieren und seine Depressionen in den Griff zu bekommen. Auch wenn ihm die heutige Terminologie noch nicht zur Verfügung stand, war er sich sehr wohl bewusst, dass er zwischen zwei Polen pendelte: "Manchmal", schreibt er "überkommt mich dieses herrliche joie de vivre - ein Hochgefühl, das ich zu beherrschen und zu dämpfen versuche, weil ich merke, dass es nicht normal ist". Auf Anfälle von Lebensfreude folgen Phasen erdrückender Depressivität.

Ghali versucht zwar, sein selbstzerstörerisches Verhalten im Zaum zu halten – vor allem bemüht er sich, mit dem Trinken aufzuhören und häufiger zu schreiben –, aber dies gelingt ihm nur selten. Einmal will er zur Wurzel des Übels vordringen und konfrontiert seinen Arzt mit einer Eigendiagnose:

"Lachen Sie mich nicht aus", sagte ich. "Das Leiden ist unerträglich." Er lachte nicht, weil ich ihn gewarnt hatte, aber er lächelte.

Nein, erklärte er, meine Krankenkasse käme für so etwas wie eine psychiatrische Behandlung nicht auf. Die Menschen in Westdeutschland leiden gewöhnlich nicht an so etwas.

Der Ghali, der "Beer in the Snooker Club" schrieb, hätte diesen Dialog künstlerisch bearbeitet und ausgestaltet und das ganze absurde Potential ausgeschöpft, das in ihm steckt. Doch hier schreibt der real existierende Ghali, und die Lage ist ernst. Ghali ist dankbar für die Serontonin-Pillen, die ihm der ahnungslose Arzt verschreibt. Und für kurze Zeit scheinen die Tabletten zu wirken.

Die Tagebücher vermitteln uns auch einen Eindruck, wie verantwortungslos und manchmal grausam Ghali sich verhielt und wie sehr ihn der Selbsthass umtrieb. Wenn er Geld hat, verspielt er es oder gibt es aus für Alkohol, Schallplatten oder sein geliebtes Auto. Seine Freundinnen behandelt er solange geringschätzig, bis sie das Interesse an ihm verlieren. Liebe kann er nur dann empfinden, wenn sie hoffnungslos und unerwidert ist. Ghali sieht die Muster ebenso klar wie wir, aber er kann sie nicht ändern.

In den zwei Jahren, die hier nachgezeichnet sind, schreibt Ghali eine Kurzgeschichte, die im Guardian unter dem Titel "The Roses are Real" veröffentlicht wird, und ein Fernsehspiel, das, wie er selbst sagt, von "Rassendiskriminierung in Deutschland, dem spanischen Bürgerkrieg und der deutschen Gesellschaft" handelt. Eine Zeit lang arbeitet er an einem Roman, aber er bringt ihn nicht zu Ende.

Humorlose und kaltherzige Frau gesucht

Die Tagebücher sind bisher nur auf Englisch erschienen, aber sie wären sicher auch für deutsche Leser von Interesse, zumindest für solche Leser, die bereit sind, sich die sprunghafte und widersprüchliche Kritik zuzumuten, die Ghali an der westdeutschen Gesellschaft der 1960er Jahre übt. Gelegentlich fühlt er sich bemüßigt, ausnahmslos alle Deutschen mit herber Kritik zu überziehen, dann wieder zeichnet er liebevolle Porträt seines Vermieters, verschiedener Freunde und anderer Personen aus seiner Bekanntschaft.

Ghalis selbstzerstörerische Tendenzen manifestieren sich nicht nur in Alkohol, ungesunden Beziehungen und seiner Spielsucht. Einmal antwortet er auf die Kontaktanzeige einer deutschen Frau, die folgendes geschrieben hatte: "Humorlose, unglückliche, kaltherzige Frau sucht ihresgleichen". Hätte Ghali länger gelebt, wäre aus dieser Begebenheit – die schlecht ausging, wie man sich denken kann – womöglich ein Roman geworden. In einem der Einträge behauptet Ghali, er habe sich während seiner Zeit in Rheydt als Jude ausgegeben. Auch das nahm kein gutes Ende.

Beim Schreiben las Ghali seine älteren Einträge mindestens ein halbes Dutzend Mal und war abwechselnd zufrieden und deprimiert. Ganz offensichtlich stellte er sich vor – oder hoffte zumindest –, dass sein Tagebuch später einmal in Buchform erscheinen würde. Gleichzeitig machte er sich Sorgen, dass wir, die Leser seine privaten Gedanken, uns über ihn lustig machen könnten. "Für mich ist das so ungefähr das Grausamste, was mir zustoßen kann."

Er hätte sich deswegen keine Sorge zu machen brauchen. Auch wenn diejenigen Leser, die sich für "Beer in the Snooker Club" begeistern, von dem sehr anderen Ton der Tagebücher enttäuscht sein mögen, müssten sie schon völlig verhärtet sein, um das Unglück des Autors zu belächeln.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2017

Aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff