
Wie können wir Gegensätze überwinden?
In seinem bahnbrechenden Werk "Islam zwischen Osten und Westen" (auf englisch erschienen als "Islam between East and West") hat Alija Ali Izetbegovic auf brilliante Weise die Bipolarität des Islam untersucht. Er definiert diese Religion als Synthese zwischen Zivilisation und Kultur, zwischen den primitiven und ethischen Bedürfnissen des Menschen, zwischen Körper und Seele, zwischen dem Realen und dem Erhabenen – und zwischen dem intellektuellen und wissenschaftlichen Westen auf der einen und dem künstlerischen und religiösen Osten auf der anderen Seite.
Allerdings stammen seine Analysen aus den frühen 1980er Jahren, als die Welt ideologisch und militärisch noch zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen Lager aufgeteilt war. Die politischen Umwälzungen, die innerhalb von nur zehn Jahren stattfanden und zum "Triumph" des Kapitalismus und der liberalen Demokratie über ihre Gegner führten, konnte er nicht vorausahnen.
Als diese beiden Modelle über ihre "ideologisch unterlegenen" Widersacher siegten und die Grenzen des Kalten Krieges zwischen Ost und West zurückdrängten, lösten sich auch die Widersprüche auf, über die Izetbegovic ausführlich geschrieben hatte. Francis Fukuyama argumentierte damals, die weltweite Verbreitung der liberalen Demokratien, ganz zu schweigen vom freien Marktkapitalismus und Lebensstil des Westens, sei vielleicht der Endpunkt der soziokulturellen Evolution des Menschen. Er meinte, dies könnte nun die endgültige menschliche Regierungsform sein. Als Philosoph erfasste er damit genau die Stimmung der Zeit und wurde dafür sehr gelobt.
Und dann gab es da die Ideologen, die sich darüber ausließen, der Islam sei der neue Gegner. Er werde den Kommunismus in seiner Eigenschaft als Erzfeind von Liberalismus, Kapitalismus, Demokratie und aller übrigen westlichen Werte ablösen. Tatsächlich trat jetzt, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, an die Stelle der Polarität zwischen Westen und Osten, die von Izetbegovic beschrieben wurde, der uralte Gegensatz zwischen dem Islam und dem Westen.
Der Mythos vom "Zusammenprall der Zivilisationen"

Samuel P. Huntington, der als Messias dieser neuen Art des Streits um kulturelle Identität angepriesen wurde, sagte voraus, die Politik und die internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts würden durch tiefsitzende ideologische und kulturelle Differenzen geprägt sein. Von ihm inspiriert, versuchten die neoliberalen Denker im Islam das "Andere" zu finden – also das Gegenteil der westlichen Werte wie Freiheit, religiöse Toleranz und wissenschaftlichen Geist.
Damit erfanden sie die alten Mythen und Trugschlüsse neu, die bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückreichen. Ein konkretes Beispiel für diese Denkweise bot damals George W. Bush in einer seiner Reden zur Vorbereitung des Kriegs gegen den Terror.
Historisch gesehen wird das Verhältnis zwischen Ost und West, oder, präziser ausgedrückt, die Beziehung zwischen der sogenannten islamischen Welt und der euro-amerikanischen Zivilisation, oft durch das Narrativ kultureller Kriege und eines endlosen Zusammenpralls der Ideologien überschattet. Aber wohnen dieses polarisierte Dasein und dieser gegenseitige Antagonismus der Natur der beiden Zivilisationen tatsächlich unwiderruflich inne? Sind sie also dazu verdammt, auf einem unausweichlichen Kollisionskurs zu bleiben?
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