Erster öffentlicher Muezzin-Ruf in Köln

Rund 3.000 Menschen sind heute zum ersten öffentlichen Muezzinruf an der Ditib-Zentralmoschee in Köln gekommen. Die Stimmung war andächtig und freudig. Doch es gab auch Kritik.

Dicht gedrängt steht eine Traube von Menschen um Muezzin Mustafa Kader. Es ist 13.25 Uhr, als der Imam auf dem Innenhof der Ditib-Zentralmoschee in Köln seinen Gebetsruf anstimmt, der auch über zwei Lautsprecher auf der Freifläche ertönt. Kader wird genau 2 Minuten und 36 Sekunden rufen - und damit die von der Stadt vorgeschriebene Höchstdauer von 5 Minuten deutlich unterschreiten. Zahlreiche Smartphones filmen den Religionsbeauftragten, einige Anwesende haben Tränen in den Augen.



Schätzungsweise 3.000 Menschen sind zu der Premiere am Freitag gekommen - dem ersten öffentlichen Muezzinruf in Köln. Dass die Gebetsaufforderung nun auch außerhalb der Moschee ertönen darf, empfänden sie als Ehre, sagen zwei junge Frauen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Ich finde das fair, weil in vielen muslimischen Ländern ja auch die Kirchenglocken klingen", ergänzt ein junger Mann.



"Heute sehe ich das Lächeln auf den Gesichtern der Gemeindemitglieder", so der Direktor des Moscheeforums Murat Sahinarslan. Die Mühe, sich bei einem Pilotprojekt der Stadt Köln zu bewerben, habe sich gelohnt. "Man ist euphorisch und sehr, sehr glücklich darüber."

 

#Muezzinruf an der @DITIBkoln-Moschee in #Köln. #KNAvorOrt pic.twitter.com/QhJuz9z3P9

— KNA (@KNA_Redaktion) October 14, 2022





Vor rund einem Jahr hatte die Stadt das Projekt gestartet, wonach der Muezzinruf unter Auflagen einmal pro Woche für maximal fünf Minuten ertönen darf. Interessierte Gemeinden müssen vorab ein Schallgutachten vorlegen, die Nachbarschaft informieren und eine Person für Beschwerden ernennen. Bislang hat nur die Zentralmoschee die nötigen Schritte ergriffen; etwa zehn weitere Gemeinden haben Interesse bekundet.



Die Stadt begründete ihr Projekt vor allem mit der Religionsfreiheit. Dennoch hagelte es Kritik. Dass ausgerechnet an einer Einrichtung der Ditib der erste öffentliche Muezzinruf ertönen durfte, sorgte weit über Stadtgrenzen hinaus für Unmut. Der deutsch-türkische Moscheeverband verfolge die Agenda des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, warnte zum Beispiel Islamexperte Ahmad Mansour im Deutschlandfunk.



Solche Argumente weist Ditib-Vertreter Zekeriya Altug zurück. Der Verband leide unter einem "falschen Image", sagte er bei einer Infoveranstaltung am Donnerstagabend. Seiner Schätzung nach gibt es deutschlandweit bereits etwa 250 Moscheen, an denen der Muezzin offiziell ruft. Köln sei also kein Pionier, die Zentralmoschee habe jedoch einen hohen Symbolwert.



Das dürfte auch daran liegen, dass Erdogan 2018 zur offiziellen Eröffnung des Gebetshauses an den Rhein reiste. Dem Besuch waren Auseinandersetzungen mit der Stadt- und Landespolitik vorangegangen. Erdogans Präsenz verstanden weite Teile der deutschen Gesellschaft als Machtdemonstration.



 

 

Proteste, wie sie die Zentralmoschee zum Besuch des türkischen Präsidenten erlebt hatte, bleiben während des Muezzinrufs aus. In der Nähe des Gebetshauses erinnert lediglich ein gutes Dutzend Demonstranten an die religiös begründete Unterdrückung von Frauen im Iran. Ihre Rufe - und der Verkehrslärm der viel befahrenen Venloer Straße - übertönen den Muezzin fast vollständig. Außerhalb des Moscheegeländes darf sein Ruf den Auflagen der Stadt gemäß 60 Dezibel nicht überschreiten. Das ist etwa so laut wie ein Gespräch.



Anwohnerinnen und Anwohner finden sich kaum unter den Schaulustigen. Auch zu der Infoveranstaltung am Donnerstagabend (13.10.2022) waren nur wenige Menschen aus der Nachbarschaft gekommen. Eine Frau beschwerte sich, Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) habe das Modellprojekt "aus der Hinterhand" umgesetzt. "Warum ist man da nicht im Vorfeld im Dialog gewesen?", fragte sie. An der Ditib oder dem Ruf an sich gab es zumindest an diesem Abend jedoch keine Kritik.



An der Zentralmoschee darf der Ruf des Muezzin nun zunächst für zwei Jahre über die Lautsprecher erklingen. Die beiden 55 Meter hohen Minarette sind ohnehin nicht begehbar. Nach Auslaufen des Vertrags wollen Kommune und Ditib die Lage bewerten. "Eine Vorreiterrolle zu spielen und zu sehen, dass der Dialog mit der Stadt klappt, ist eigentlich nur toll", meint Murat Sahinarslan. "Der Muezzinruf gibt den Menschen das Gefühl, dass sie in Köln und in Deutschland angekommen sind." (KNA)

 

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