Vergewaltigungen in Indien und Pakistan
Chronik des Grauens

In Pakistan hat die jüngste Vergewaltigung und Ermordung eines Mädchens einen gewaltigen öffentlichen Aufschrei erzeugt. Beim Nachbarn Indien sorgen ähnliche Fälle für weniger Schlagzeilen. Sexuelle Gewalt ist in beiden Ländern ein Dauerproblem, wie Esther Felden berichtet.

Die 22jährige Frau ist mit dem Auto auf dem Heimweg von einer Hochzeit, gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem Schwager. Während einer Pause wird die Gruppe von vier Männern überfallen. Einer zerrt die Frau aus dem Auto und vergewaltigt sie, während die drei anderen ihre Begleiter mit Waffen in Schach halten. Mann und Schwager müssen mit ansehen, was ihr angetan wird. Nach der Tat fliehen die Männer.

Entgegen der Warnung, zur Polizei zu gehen, meldet der Ehemann das Verbrechen bei den Behörden. Wenig später können alle vier Angreifer festgenommen werden. Es ist der jüngste bekannt gewordene Fall einer Vergewaltigung im nordindischen Bundesstaat Haryana. Aber beileibe nicht der erste.

Seit Jahresbeginn sorgten Meldungen wie diese schon mehrfach für Schlagzeilen in den Zeitungen. In der vergangenen Woche veröffentlicht die Zeitung "Times of India" eine regelrechte Chronik des Grauens – und berichtet über sechs öffentlich gewordene Vergewaltigungsfälle innerhalb von sechs Tagen. Das ist selbst für Haryana eine erschreckend hohe Zahl.

Eines der Opfer ist erst drei Jahre alt. Das kleine Mädchen wird von einem 15jährigen Jungen vergewaltigt. Ein elfjähriges Dalit-Mädchen wird von zwei Nachbarn aus dem Dorf missbraucht und getötet. Danach sollen die Männer sich noch stundenlang an ihrem Körper vergangen haben. Ein 50jähriger Mann wird festgenommen, weil er einer Zehnjährigen ein Stück Holz eingeführt und ihre Geschlechtsteile verstümmelt haben soll. Zwei junge Frauen werden jeweils von mehreren Männern vergewaltigt. In einem Kanal wird die brutal verstümmelte Leiche eines 15jährigen Mädchens gefunden, teilweise sind die Organe aufgeplatzt.

Altes Problem, erschütternde Bilanz

Diese Fälle stehen stellvertretend für viele andere. Vergewaltigung ist in Indien nach wie vor an der Tagesordnung, klagt Ranjana Kumari, Leiterin des "Centre of Social Research" in Neu Delhi und eine bekannte Frauenrechtlerin. Die Situation habe sich in letzter Zeit eher noch weiter verschlechtert, sagt sie. "Wir fordern den Rücktritt des Regierungschefs von Haryana. Hier haben sich Fälle zugetragen, die noch schlimmer waren als die Gruppenvergewaltigung von 2012."

Gedenken in Indien am ersten  Todestag der nach einer Gruppenvergewaltigung verstorbenen Studentin Jyoti Singh Pandey; Foto: picture-alliance/AP
Gedenken in Indien am ersten Todestag der nach einer Gruppenvergewaltigung verstorbenen Studentin Jyoti Singh Pandey. Als Folge wurde zwar das Sexualstrafrecht in Indien verschärft. Allerdings ging die Zahl der Vergewaltigungen seitdem nicht zurück.

Damals, im Dezember 2012, ging der Fall von Jyoti Singh Pandey um die Welt. Die Medizinstudentin wurde in einem Bus in Neu Delhi von sechs Männern brutal vergewaltigt. Knapp zwei Wochen später erlag sie ihren Verletzungen. Ihr Tod löste in Indien eine Protestwelle aus, in Massen gingen zornige Menschen auf die Straße.

Als Folge wurde das Sexualstrafrecht verschärft. Allerdings: Die Zahl der Vergewaltigungen ging seitdem nicht etwa zurück. Im Gegenteil. 2015 wurden nach Angaben des "National Crime Records Bureau" knapp 35.000 Fälle bei der Polizei gemeldet, das sind fast 40 Prozent mehr als 2012 – dem Jahr, in dem die 23jährige Studentin starb. "Es gibt heute bessere Gesetze. Und trotzdem steigt die Zahl", klagt Kumari.

Frauen, Menschen zweiter Klasse?

"Besonders in Nordindien gibt es eine regelrechte Vergewaltigungs-Kultur", so die Aktivistin. Allein in dem an die indische Hauptstadt Delhi angrenzenden Bundesstaat Haryana habe es im Jahr 2017 rund 115 Gruppenvergewaltigungen gegeben. Und das habe mit der indischen Gesellschaft an sich zu tun.

In Indien ist sexuelle Gewalt gegenüber Frauen gesellschaftlich tief verankert und Teil einer umfassenden Benachteiligung und Unterdrückung. Diese schließe auch Polizei und Justiz mit ein.

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